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Gesundheit: Gute Universitäten sind teuer

Thilo Sarrazin sagt, Berliner Hochschulen seien besser ausgestattet als andere. Ein Vergleich unter technischen Unis zeigt: Sie sind es nicht.

Als man in Deutschland noch ohne zu erröten die Vereinigten Staaten als Vorbild preisen konnte, kam einer ihrer erfolgreichsten Universitätspräsidenten in die Bundesrepublik und erklärte den Deutschen, was sie in der Hochschulpolitik falsch machen. Eine seiner wichtigsten Botschaften lautete: Gute Universitäten sind teuer. Gerhard Casper hatte damals im Jahr 2001 seine Amtszeit als Präsident der Stanford University beendet, als er im Berliner Wissenschaftskolleg diese Zahlen bekannt gab: Die Stanford University, eine der besten in den USA, hatte im Jahr 2000 einen Etat von 2,2 Milliarden Dollar und begrenzte die Zulassung ihrer Studenten auf 14 000. Die Studiengebühren lagen bei 34 000 Dollar. Berlin gab damals für acht staatliche Hochschulen insgesamt 2,2 Milliarden Mark aus. Das war genau die Hälfte des Etats der Stanford University, und mit diesem Betrag wurde die Ausbildung von 130 000 Studenten in der Stadt bezahlt. Mit der Hälfte des Betrages von Stanford bildete Berlin neunmal so viele Studenten aus.

Kein Fass ohne Boden

Finanzsenator Thilo Sarrazin hätte sich freuen können, aber er tut es bis heute nicht. Als Casper seine Botschaft „Gute Universitäten sind teuer“ verkündete, wurden die Berliner staatlichen Hochschulen gerade von einer Sparwelle überzogen: Eine Milliarde Mark sollten sie opfern, und das bedeutete einen Abbau von 30 000 Studienplätzen. Heute steht eine neue Sparwelle ins Haus, und wiederum sollen die Universitäten ein großes Opfer bringen. Finanzsenator Thilo Sarrazin spricht offen von 300 Millionen Euro, der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit bietet als Kompromiss 200 Millionen Euro an und Wissenschaftssenator Thomas Flierl versucht die Hochschulleiter damit zu trösten, dass er Einsparungen in Höhe von nur 100 Millionen Euro anstrebt.

Inzwischen werden die Universitäten mit Ausstattungsvergleichen vom Finanzsenator sturmreif geschossen. 1,3 Milliarden Euro pro Jahr für acht staatliche Hochschulen sind ihm zu viel, und er vergleicht die Berliner Situation mit den Hochschulen in Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, um zu dem Schluss zu kommen, die Kosten pro Professur seien in Berlin viel zu hoch. Was ist von solchen Ländervergleichen zu halten? Wenig. Sarrazins Vergleiche betrachten einseitig die Universitäten lediglich als Kostenfaktor, gewissermaßen als Fass ohne Boden, in dem Millionen Euro versacken. Hochschulen sind aber auch Leistungsträger. Ihre Leistung sind die Ausbildung der Studenten und damit die Dienstleistung, die sie für die Wirtschaft, Verwaltung und den Staat erbringen. Vielleicht würde das der Finanzsenator deutlicher sehen, wenn die SPD in der Stadt Studiengebühren einführen würde, was sie aber nicht tut.

Nicht genug damit: Keine Universität würde ihre Leistung allein nach der Ausbildung der Studenten bemessen. Gleichrangig daneben steht die Forschungsleistung der Universitäten, und die zieht Sarrazin in sein Kostenszenario nicht mit ein. Und was den dritten Leistungsbereich der Universitäten angeht, die Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses, ist Sarrazins Sicht geradezu abenteuerlich. Seinen Unternehmensberater Roland Berger lässt er dazu aussagen: Zu viele wissenschaftliche Mitarbeiter seien wegen ihres niedrigen Lehrdeputats kostentreibend. In der Tat haben wissenschaftliche Mitarbeiter ein niedriges Lehrdeputat, weil sie sich zum Professor weiterbilden sollen und daher genügend Zeit für ihre Promotion und die Forschung benötigen.

Beschränken wir den Leistungsvergleich lediglich auf die Technischen Universitäten, weil deren zentrales Fächerspektrum mit den Ingenieur- und Naturwissenschaften gut überschaubar ist. Unter den technischen Universitäten scheint dem Finanzsenator die TU-Berlin im Vergleich mit Bremen, Rostock und Hamburg-Harburg zu teuer zu sein. Stimmt dieser Vergleich? Schon von der Zahl her klaffen Welten zwischen den Universitäten in Norddeutschland und Berlin. Die Bremer Hochschule ist gar keine technische Universität im klassischen Sinn. Sie ist eine Universität eigener Art, die so nur in der Hafenstadt vorhanden ist - mit dem Schwerpunkt in den Geistes- und Sozialwissenschaften und einem Anhängsel von Natur- und Ingenieurwissenschaften ausgestattet, das den Bedürfnissen der Hansestadt entspricht. Das zeigen die Zahlen: von 18 965 Studenten an der Universität Bremen studieren nur 4833 in den Natur- und Ingenieurwissenschaften.

Die Universität Rostock umfasst von den Geisteswissenschaften über die Sozialwissenschaften bis zur Medizin ein weites Spektrum. Aber von den 12 000 Studenten der Universität Rostock sind nur 3000 in den Natur- und Ingenieurwissenschaften eingeschrieben. Ähnlich ist das Größenverhältnis in Hamburg-Harburg. Die dortige technische Universität begreift sich als Forschungsuniversität. Entsprechend gering sind ihre Studentenzahlen: 5900 Studenten in Harburg, gegenüber 30 000 Studenten an der Berliner Technischen Universität.

In einem Artikel im Tagesspiegel spricht Finanzsenator Sarrazin davon, dass die durchschnittlichen Berliner Kosten für einen Professor mit 434 000 Euro im Ländervergleich zu hoch seien. Zunächst sollte man wissen, dass ein Professor keinesfalls 434 00 Euro im Jahr verdient. Sonst hätte er einen Traumjob, der ihn schnell zum Millionär machen würde. In Wirklichkeit handelt es sich um die Ausstattung einer Professur mit entsprechendem Personal. Wenn man in die Untersuchung blickt, die hinter Sarrazins Zahlen steckt (den Ländervergleich der HIS GmbH), erscheint dem Finanzsenator damit die Ausstattung einer Berliner Professur mit zwei Assistenten und zwei Verwaltungsangestellten zu hoch und zu teuer zu sein.

Personal: TU Berlin im Mittelfeld

Stimmt das? Nein. Wie Recherchen des Autors unter den führenden technischen Universitäten in Deutschland ergeben haben, sind Ausstattungen mit sieben bis neun Personalstellen für eine C4-Professur in den wichtigsten Natur- und Ingenieurwissenschaften die Regel. Die Spitzenuniversitäten statten einen Lehrstuhl mit einer C4-Professur, einer C3-Professur sowie meistens vier oder fünf Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter und mit vier Stellen für Techniker oder Laboranten aus. Hinzu kommt eine Sekretärin. Das ist in München, Aachen, Stuttgart und Karlsruhe der Fall.

Der Wissenschaftsrat arbeitet zur Zeit an einem Ausstattungsvergleich unter den Technischen Universitäten in Deutschland im Fach Maschinenbau. Das vorläufige Ergebnis: Unter 20 technischen Universitäten kommt die Berliner TU in der Personalausstattung auf den elften Platz. Sie bewegt sich damit nur im Mittelfeld. Anders als mit einer guten Personalausstattung kann die zeitintensive Betreuung von Studenten und vor allem von Geräten nicht bewältigt werden. Schließlich gibt es keine Professur in den Ingenieurwissenschaften ohne Werkstätten und nur wenige Professuren in den Naturwissenschaften ohne Labor. Selbst die Mathematiker und Informatiker verfügen über Computer und damit über Arbeitsgeräte. Spart man hier am Personal, so hat das direkte Auswirkungen auf die Forschung und die Ausbildung der Studenten.

TU-Präsident Kurt Kutzler schildert die Zusammenhänge: Sobald weniger Assistenten oder Techniker zur Verfügung stehen, müssen Gruppen zusammengelegt werden. In den Ingenieurwissenschaften stellt sich schnell die Frage, ob dann eine Werkstatt oder ein Labor geschlossen werden muss. Denn Werkstätten und Labore erfordern einen bestimmten Personalbestand nicht nur zur Arbeit am wissenschaftlichen Fortschritt oder zur Anleitung der Studenten in Experimenten, sondern auch zur Einhaltung von Sicherheitsbestimmungen. Weniger Personal, weniger empirische Forschung, weniger Sicherheit, weniger Ausbildungsplätze für die Studenten. Allein schon die Geräteausstattung für einen neu zu berufenden Professor in den Natur- und Ingenieurwissenschaften kostet Beträge zwischen 500 000 und einer Million Euro.

Aber bei dem Ländervergleich, den Sarrazin zugrunde legt, geht es nicht um die Geräteausstattung, sondern die Personalausstattung. Und die ist in den führenden deutschen Technischen Universitäten so hoch, dass sich Sarrazin die Augen reiben würde, wäre er Finanzsenator in München, Stuttgart, Aachen oder Karlsruhe. In Aachen zum Beispiel kostet die Ausstattung eines Lehrstuhls in Maschinenbau und Elektrotechnik mit einer C4-Professur, einer C3-Professur, sieben Assistenten und acht Technikern sowie einer Sekretärin über eine Million Euro im Jahr. In den Naturwissenschaften bei einer nicht ganz so günstigen Ausstattung liegen die Kosten bei 500 000 Euro im Jahr. Da kann die Berliner TU nicht mithalten.

Und das bekommt sie bereits bei den Berufungsverhandlungen mit neuen Professoren zu spüren. Bis zum Jahre 2006 muss die Technische Universität 160 Professuren neu besetzen - von diesen sind bereits heute 100 vakant. Überall ist der große Generationswechsel im Gange, weil etwa die Hälfte der Professoren in Deutschland in den Ruhestand geht. Da können die reichen Universitäten im Süden und Westen Deutschlands mit Geld und Ausstattung locken, und sie wissen, dass sie mit Geld punkten müssen. Denn die Universitäten konkurrieren nicht nur in Deutschland um die besten Köpfe – auch die amerikanischen Universitäten mischen mit. Die Diskrepanz verdeutlicht TU-Präsident Kutzler an dem Beispiel eines Biotechnologen, der vor kurzem von Berlin an eine bayerische Universität gewechselt ist. In Berlin war seine Professur mit drei Stellen wissenschaftlichen Personals, drei Technikern und einer Sekretärin ausgestattet. In Bayern bekam dieser C4-Professor noch eine C3-Professur angeboten und dazu 15 Stellen für die Personalausstattung. Für neue Geräte stand ihm ein Investitionsvolumen in Höhe von zwei Millionen Euro zur Verfügung.

Der Traum von der Spitze

Kein Politiker in Berlin hat bisher bestritten, dass die Technische Universität in Charlottenburg wieder zu den besten in Deutschland gehören soll. Der vor einem Jahr verstorbene Präsident Jürgen Ewers wollte die Berliner Technische Universität sogar in die Liga der besten zehn in der Welt aufrücken lassen. Da ist sein Nachfolger Kurt Kutzler wesentlich bescheidener. Kutzler sagte im Juni 2002: „Es müssen schon sehr widrige Ereignisse eintreten, die uns vom langfristig anvisierten Weg an die Spitze der deutschen Technischen Universitäten abhalten können. Was heute ein Traum ist, muss in 10 bis 15 Jahren Wirklichkeit werden.“ Ahnte er damals schon etwas von Sarrazins Zahlenspielen? Kutzler sagt heute: „Ich sehe die Technischen Universitäten in München, Aachen und Stuttgart als die Hauptkonkurrenten an. Sie sind im Augenblick bei der Einwerbung von Sonderforschungsbereichen und Drittmitteln besser als die TU Berlin.“

Aber auch Karlsruhe und Dresden sind der Berliner Technischen Universität nahe auf den Leib gerückt (siehe Tabelle). Bei diesem Leistungsvergleich stehen weniger die Studenten in der Regelstudienzeit und die Absolventenzahlen im Vordergrund, sondern die Forschungsergebnisse, gemessen an der Zahl der Drittmittel, der Sonderforschungsbereiche und Graduiertenkollegs zur Förderung der Doktoranden. Die Technische Universität München steht deshalb an der Spitze in Deutschland, weil sie nicht nur mit herausragenden Forschungsbilanzen glänzt, sondern auch die meisten Studenten in verträglichen Zeiten zu einem Abschluss führt. In Bayern kommt man durchschnittlich nach elf oder zwölf Semestern zum Abschluss, in Berlin erst nach 13, 14 oder 15 Semestern. Trotzdem hält der Kanzler der Technischen Universität München, Ludwig Kronthaler, eine „Leistungsbeurteilung einer Universität nach den Kosten pro Studienplatz und Absolvent für Quatsch. Wie will man die Anteile, die pro Person auf die Forschung entfallen, bei der Kostenberechnung von denen trennen, die der Lehre zukommen? Forschung und Lehre sind bei uns gleichberechtigt. Eine Ausrichtung einer Universität nur nach der Lehrbelastung ist für uns unvorstellbar. Wenn wir Spitzenforschung erreichen wollen, brauchen wir eine kritische Masse an Personal.“

Die Technische Universität München bietet diese kritische Masse. Damit dürfte sie pro Professur weit über den Berliner Kosten von 434 000 Euro liegen und sich den Durchschnittskosten von Aachen nähern (siehe Tabelle). Noch ein Argument steuert Kanzler Kronthaler zur Berliner Diskussion bei: Roland Berger hatte im Auftrag von Finanzsenator Sarrazin die Ausstattung einer Professur mit zu vielen Assistentenstellen als kostentreibend bezeichnet. Assistenten haben nämlich eine geringere Lehrverpflichtung als die Professoren. Kronthaler kommentiert: „In den Nachwuchs muss man investieren. Die Universitäten sägen sich den eigenen Ast ab, wenn sie nicht die besten Studenten für die Assistentenlaufbahn gewinnen können. Die Nachwuchsförderung ist eine essenziell wichtige Aufgabe für die Hochschulen.“

In Hamburg muss an den Hochschulen wesentlich weniger gespart werden als in Berlin. Die Konzeption dafür hat eine hochrangig besetzte Expertenkommission unter Vorsitz des früheren Bildungs- und Wissenschaftsministers Klaus von Dohnanyi. Die Experten schreiben: „Auch wenn finanzstatistische Vergleiche schwer zu ziehen sind, kann dennoch kein Zweifel darüber bestehen, dass norddeutsche Hochschulen in der Konkurrenz um exzellente Wissenschaftler immer wieder unterliegen. Entweder sie verfügen nicht einmal über eine konkurrenzfähige Grundausstattung und wissenschaftliche Infrastruktur, oder sie können mit Ausstattungsangeboten konkurrierender Hochschulen weder im personellen noch im sachlichen Bereich Schritt halten.“

Uwe Schlicht

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