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Gesundheit: Harvard fordert George W. Bush heraus

Die Hochschule richtet ein Zentrum für die Forschung an embryonalen Stammzellen ein – und einer ihrer Wissenschaftler stellt 17 neue Stammzell-Linien her

Douglas Melton ist Zellforscher an der Harvard-Universität im amerikanischen Cambridge. Und er ist Vater eines zwölfjährigen Jungen. Sam, sein Sohn, ist zuckerkrank, seit er sechs Monate alt ist. Melton will ihm helfen, ebenso wie Millionen anderen Diabetikern, die auf Insulinspritzen angewiesen sind und Spätfolgen ihrer Krankheit befürchten müssen. Bei der Bekämpfung der Zuckerkrankheit setzt Melton auf embryonale Stammzellen. Eines Tages sollen sie als Quelle für Zelltherapien dienen. Für Menschen wie Sam.

Dabei hat Melton jetzt ein Zeichen gesetzt: 17 neue Kulturen mit embryonalen Stammzellen („Linien“) erzeugte der Wissenschaftler in seinem Labor. Mit privaten Mitteln, denn die staatliche Förderung ist in den USA auf Stammzell-Linien beschränkt, die vor August 2001 erzeugt wurden. Forscher wie Melton signalisieren US-Präsident George Bush damit: Wir brauchen dein Geld nicht! Melton steht nicht allein da, denn die Harvard-Universität errichtet ein großes Zentrum zur Stammzellforschung. Fördermittel in Höhe von 100 Millionen Dollar sollen in das „Harvard Stem Cell Institute“ fließen.

Menschliche embryonale Stammzellen lassen sich im Labor unbegrenzt züchten und sind extrem wandlungsfähig. Als Quelle für Ersatzgewebe könnten sie nicht nur bei Diabetes, sondern zum Beispiel auch bei der Parkinson-Krankheit (Schüttellähmung) und dem Nervenleiden multiple Sklerose in Frage kommen. Das Problem: Um embryonale Stammzellen zu gewinnen, muss ein wenige Tage alter, etwa 100 Zellen umfassender menschlicher Embryo zerstört werden. Gewöhnlich werden dazu übrig gebliebene Embryonen aus der Reagenzglas-Befruchtung benutzt, die nicht mehr benötigt werden und andernfalls vernichtet würden.

Mit seiner für amerikanische Verhältnisse strengen Regelung zur Stammzellforschung war Bush den Kritikern der Stammzellforschung – Abtreibungsgegnern, Kirchenvertretern und Konservativen – entgegengekommen. Bush hatte behauptet, dass den Forschern immerhin 60 existierende Stammzell-Linien zur Verfügung stehen würden. Dann stellte sich heraus, dass nur 15 dieser Stammzell-Kulturen brauchbar waren. Und auch sie sind mit vielen Problemen behaftet, sagte Leonard Zon, Präsident der Internationalen Stammzell-Gesellschaft, der Zeitung „Boston Globe“. Seine Gesellschaft schätzt die Zahl der brauchbaren Kulturen auf nur acht bis zehn. Damit konnte Amerika unmöglich an der Spitze der Forschung bleiben.

Jetzt aber haben die Labors Stammzell- Nachschub direkt aus dem Mekka der Medizinforschung, der Harvard-Universität erhalten. Denn Melton hat bereits angekündigt, seine Stammzellen nach Ausfüllen eines Formulars Wissenschaftlern unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. „Unsere Zell-Linien sind robust, wachsen gut und sind pflegeleicht“, sagte Melton.

Einzige Voraussetzung: Wer in den USA neue Stammzellen aus Embryonen gewinnt oder mit ihnen arbeitet, darf dazu keine staatlichen Mittel in Anspruch nehmen, etwa für Personal Räume und Geräte. Dieses Problem aber lässt sich überwinden, wie Harvard nun demonstriert. Denn anders als in Deutschland sind die führenden US-Hochschulen mit wenigen Ausnahmen ohnehin private Institutionen, ebenso wichtige Förderorganisationen. Der Harvard-Forscher Melton etwa arbeitet unter dem Dach des Howard-Hughes-Medizin-Instituts, einer gemeinnützigen Stiftung.

Das Harvard-Zentrum für Stammzell-Forschung wird komplett „privat“ und in eigenen Räumen untergebracht werden. Dabei will man eng mit dem Massachusetts General Hospital zusammenarbeiten, dem Lehrkrankenhaus der Universität. Ein Ziel dürfte es sein, Grundlagenforscher und Ärzte zusammenzubringen und so die Anwendung von Zelltherapien beim Menschen zu forcieren. „Harvard hat die Mittel, Harvard hat die Breite, und, um offen zu sein, Harvard hat die Verantwortung, die Leine in die Hand zu nehmen, die die Regierung schleifen ließ“, sagte George Daley von der Harvard Medical School, einer der Planer des Zentrums.

Die Hochschule steht längst nicht mehr allein da. Im Dezember 2002 verkündete Stanford, neben Harvard eine der führenden US-Hochschulen, mit einer Spende von zwölf Millionen Dollar Krebsforschung an menschlichen embryonalen Stammzellen zu betreiben. Auch an der Universität von Wisconsin in Madison, der Universität von Minnesota und der Universität von Kalifornien in San Francisco gingen Spenden für Forschung an embryonalen Stammzellen ein.

In Deutschland ist die Gewinnung embryonaler Stammzellen streng verboten. Dafür setzt man hier zu Lande auf die Forschung an „adulten“ Gewebe-Stammzellen, wie sie sich überall im Körper finden. Damit werde man einen eigenen, ethisch unbedenklichen Weg finden, hoffen die Verfechter des „deutschen Modells“. Das könnte sich allerdings als Wunschdenken erweisen. Denn embryonale Stammzellen haben aus Expertensicht ein viel höheres Potenzial für die Medizin.

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