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Gesundheit: Harvard ohne Chef

Mit der Uni verkracht: Der umstrittene Präsident Lawrence H. Summers tritt zurück

Puritanisch-bescheiden mutet die Backsteinarchitektur auf dem Campus der Harvard-Universität an. Sein Mangel an solcher Zurückhaltung ist dem Präsidenten der US-Spitzenuniversität nun zum Verhängnis geworden. Nach langen Querelen hat Lawrence H. Summers am Dienstag seinen Rücktritt angekündigt.

Der Starökonom, der mit 28 Jahren Lehrstuhlinhaber für Ökonomie in Harvard wurde und danach unter anderem als Finanzminister unter Bill Clinton arbeitete, spaltete die Universität seit seinem Amtsantritt vor viereinhalb Jahren. Bereits 2001 hatte Summers’ Konflikt mit dem schwarzen Theologen und Bürgerrechtler Cornel West und der anschließende Wechsel des populären Wissenschaftlers an die Universität Princeton für Wirbel gesorgt.

Vor einem Jahr schließlich spekulierte Summers auf einer Konferenz öffentlich darüber, ob die mangelnde Repräsentanz von Frauen in Spitzenpositionen in Naturwissenschaft und Technik nicht durch „intrinsische“ Eignungsunterschiede zwischen Männern und Frauen zu erklären sei. Angeborenes Talent und divergierende Lebensentwürfe seien wohl für die Schwierigkeiten von Frauen auf der Karriereleiter bedeutender als Diskriminierung. Was als „Provokation“ gedacht war, kam für die Universität einem medialen Super-GAU gleich und beschädigte das Verhältnis des Präsidenten zur Universitätsgemeinde nachhaltig. Die Mehrheit der Professoren der „Faculty of Arts and Sciences“, die den Kern der Hochschule bildet, sprach Summers im März letzten Jahres ihr Misstrauen aus – ein in der Universitätsgeschichte beispielloser Vorgang.

Nach seinem „Gendergate“ (New York Times) bekam Summers kein Bein mehr auf den Boden. So nahmen seine vielen Gegner seine Äußerungen zum Anlass für eine grundsätzliche Abrechnung mit Person und Agenda des Wissenschaftlers. Die Autorität des Autokraten, sie war dahin. Vor allem bei der einflussreichen „Faculty of Arts and Sciences“, dessen Dekan, William C. Kirby, Ende Januar zurücktrat – begleitet von Gerüchten, Summers habe ihn gefeuert.

Als sich Summers Anfang Februar weigerte, der Fakultät Auskunft über seine Rolle in einem Betrugsskandal um einen mit ihm befreundeten Ökonomieprofessor zu geben, war eine weitere Eskalationsstufe erreicht. Die aufsässige Fakultät beraumte für den 28. Februar eine Abstimmung über ein erneutes Misstrauensvotum an. Bei einer Niederlage in diesem Showdown wäre Summers vermutlich auch für die Harvard Corporation, das siebenköpfige Leitungsgremium der Uni, nicht mehr haltbar gewesen.

Seiner Demission kam Summers nun zuvor, als er am Dienstag die Bombe platzen ließ. Per E-Mail an die gesamte Universität gab er bekannt, sein Amt zum 30. Juni abzugeben. Er begründete seinen Schritt damit, dass es ihm die Spannungen mit der Fakultät „unmöglich“ machen würden, seine für die Zukunft Harvards essenzielle „Agenda der Erneuerung“ voranzubringen. Dies sei nur unter „neuer Führung“ möglich. Gerüchte, er sei von der Harvard Corporation zum Rücktritt gezwungen worden, wies er zurück.

Summers, der den Ruf, sich im universitären Mikrokosmos wie ein Elefant im Porzellanladen zu bewegen, nicht mehr los wurde, wollte die weltweite Spitzenposition der US-Kaderschmiede durch ehrgeizige Reformen weiter ausbauen. Dabei hatte er sich – trotz unstrittiger Erfolge – viele Feinde gemacht. So war er vehement für eine Stärkung der Naturwissenschaften und mehr universitätsinternen Wettbewerb eingetreten. Forsch trieb er zudem die Errichtung eines neuen Campus im Bostoner Stadtteil Allston voran, der der Universität ein völlig neues Gesicht geben würde.

Kommissarisch das Ruder übernehmen wird nun Derek C. Bok, der die Universität bereits zwischen 1971 und 1991 leitete. Unterdessen teilte Harvard mit, die Suche nach einem neuen Präsidenten habe bereits begonnen. Summers, der auch während seiner Amtszeit Seminare gab und den Kontakt zu den Studenten suchte, kündigte ungeachtet aller Streitigkeiten an, der Universität nach einem Sabbatjahr wieder als Professor zur Verfügung zu stehen.

Leonard Novy

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