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Gesundheit: Heile alte Welt

HU-Präsident Markschies will die Zukunft der Uni entwerfen, kennt aber nur die Geschichte

Christoph Markschies, Präsident der Humboldt-Universität, hat sich in Kirchengeschichte habilitiert. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass er sich seinen Themen gerne über die Vergangenheit nähert. Heißt das aber, dass seine Universität und die Öffentlichkeit nicht auch zeitgemäße Antworten auf drängende Probleme der Gegenwart von ihm erwarten dürfen? Wer darauf bei seinem Vortrag am Montag im Rahmen der „Guardini Vorlesungen“ der HU gehofft hatte, wurde enttäuscht. Markschies’ Überlegungen zum Thema „Was heißt Verantwortung für die Universität heute?“ erschöpften sich fast ausschließlich in Gedanken zur Universitätsentwicklung im 19. Jahrhundert. Streifte der Präsident doch einmal die Gegenwart, blieb es bei theoretischen Exkursen. Schließlich gab es vor zweihundert Jahren ja auch noch keinen Studentenberg. Wer die heutige Verantwortung der Universität allein aus ihrer Geschichte herleiten will, hat für heutige Probleme dann auch keine Ideen.

Im Einzelnen: Die Maßstäbe für „gelebte Verantwortung“ sieht Markschies in den Werten Wahrheit und Freiheit. Denn nur ein Rekurs auf starke Werte könne die Universität davor schützen, Ideologien zu erliegen. Als Gründungsauftrag sei der Berliner Universität seit dem Jahr 1810 die Verantwortung für gute Wissenschaft aufgegeben worden. Dass die Universität auch eine Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen habe, darüber sei in den Gründungstexten überraschend wenig gesagt, erklärte Markschies. In der Verantwortung für die gute Wissenschaft seien sich Professoren und Studenten jedoch gleich gewesen.

Markschies setzte wie schon in anderen Vorträgen den Theologen Friedrich Schleiermacher an die erste Stelle der Gründungsväter der Berliner Universität. Schleiermacher habe die Erziehung zum philosophischen Geist mit der Ausbildung des individuellen Talents verbinden wollen. Jedes Fach sei für gute Wissenschaft und damit für die gesamte Universität verantwortlich. Diese Leitidee gilt für Markschies bis heute. Den Beitrag Humboldts für die Universitätsgründung von 1810 ordnete Markschies so ein: Humboldt habe für die Ministerialbürokratie die Grundgedanken Schleiermachers in einer Kurzfassung komprimiert, indem er die Wissenschaft als etwas noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes definiert hätte.

Markschies zitierte als weitere Maßstabgeber berühmte Rektoren der Friedrich-Wilhelms-Universität wie Ferdinand von Helmholtz und Rudolf Virchow: Helmholtz habe in seiner Antrittsrede als Rektor 1877 die Freiheit in den Mittelpunkt gerückt – die Freiheit der Studenten, das zu hören, was sie wollten, und die Freiheit der Lehrenden, die Themen in Forschung und Lehre selbst zu bestimmen. Virchow habe 1893 als Rektor das Zeitalter der Naturwissenschaften ausgerufen. Im Experiment habe er die wahren Antworten auf die Wirklichkeit gesehen, nicht mehr in der Philosophie.

Für Markschies sind diese Maßstäbe mit den Ideologien des Nationalsozialismus und des Marxismus-Leninismus nach 1945 zerstört worden. Alfred Bäumler hatte 1933 den Lehrstuhl für politische Pädagogik an der Berliner Universität erhalten und 1936 den „neuen Geist“ verkündet: Der Nationalsozialismus blicke nicht mehr zu den Werken der Vergangenheit auf, sondern setze sich seine Maßstäbe selbst. Nach 1945 schließlich seien die Maßstäbe für Wissen und Wahrheit von den Interessen der Arbeiterklasse abgeleitet worden. Aus diesem Rekurs auf die Vergangenheit leitete Markschies die Forderung für die Gegenwart ab: Die Universität trage die eigentliche Verantwortung für gute Forschung und Lehre. Nützlichkeit für den Staat sei nicht grundsätzlich schlecht, solange Lehre und Forschung nicht ausschließlich der Nützlichkeit dienen sollten.

Wie will Markschies als Universitätspräsident die hehren Grundsätze von Freiheit, Wahrheit und reiner Wissenschaft mit den Problemen der nächsten Zukunft in Einklang bringen? Die Aufstellung der HU als Eliteeinrichtung der Forschung fällt in eine Zeit, da sie zugleich Massenuniversität sein muss. Ist die Öffnung für die starken Jahrgänge bis zum Jahr 2020 eigentlich Sozialpolitik, für die die Universität keine Verantwortung übernehmen will und der sie mit einem rigiden Numerus clausus begegnen will? Oder muss sie an diesem Beispiel ihre Verantwortungsbereitschaft für die Gesellschaft beweisen? Markschies wusste auf diese Fragen nur eine Antwort: Er wolle sich um Kompromisse zwischen den zitierten Grundsätzen und der realen Herausforderung bemühen. Dass er die Humboldt-Universität zu ihrem 200-jährigen Jubiläum im Jahr 2010 in Schleiermacher-Uni umbenennen will, sagte er hingegen nicht.

Uwe Schlicht

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