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Gesundheit: Helden ohne Atem

Zwei Jahre nach dem Kollaps des World Trade Centers leidet noch jeder zweite Helfer an Gesundheitsproblemen

Sie gelten als Helden. Tausende von Feuerwehrmännern, Polizisten, Arbeiter und freiwillige Helfer haben am 11. September 2001 alles gegeben. Im Inferno der zusammenstürzenden Zwillingstürme wollten sie Leben retten und dachten nicht an den eigenen Schutz.

Was damals nebensächlich erschien, ist für viele Helfer zum Hauptthema geworden. Welchen Schaden hat die eigene Gesundheit genommen? Schließlich ist ein in Menge und Zusammensetzung einmaliges Gemisch an giftigen Stoffen in die Körper der Helfer gelangt. Und Untersuchungen zeigen mittlerweile: fast die Hälfte der rund 40000 Helfer schlägt sich mit gesundheitlichen Problemen herum.

Was haben nun Staub, Schwermetalle, Asbestfasern und die giftigen Verbrennungsgase angerichtet? „Die brennenden Ruinen des World Trade Centers erzeugten giftige Gase wie eine chemische Fabrik“, stellte jetzt Thomas Cahill von der Universität von Kalifornien fest. Baustoffe und Inventar, einschließlich der vielen Computer setzten mindestens sechs Wochen lang giftige Schwermetalle, Säuren und organische Schadstoffe frei.

Benzole, Dioxine und Polychlorierte Biphenyle (PCB) gelten als krebserregend. Aus PVC entsteht Salzsäuregas, das die Atemwege verätzen kann. Schaumstoffe setzen Blausäure frei. Asbestfasern, die sich tief in der Lunge verhaken, können noch Jahrzehnte später zu Tumoren führen. Die größte akute Belastung für die Lunge war der Staub. Ungeheure Mengen von zerborstenem Beton, pulverisiertem Glas, Schwermetallpartikeln oder fein zerriebenem Dämmmaterial sind bei dem gigantischen Crash frei geworden. Besonders gefährlich ist Feinstaub unter fünf Mikrometer (tausendstel Millimeter) Durchmesser. Die mikroskopisch kleinen Teilchen landen in den winzigen Verästelungen der Lunge.

„Bis zu einem gewissen Grad schafft es die Lunge, mit Schadstoffen fertig zu werden. Die Atemwege sind mit einer Schleimhaut bedeckt, die von Flimmerhärchen bedeckt ist. Diese transportieren schadstoffbeladenen Schleim zurück. Mit Luft, die nicht mehr als ein Milligramm Schadstoffe pro Kubikmeter enthält, kann die Lunge gerade noch fertig werden“, sagt Xaver Baur, Direktor des Zentralinstituts für Arbeitsmedizin am Hamburger Universitätsklinikum. Diese Grenze wurde im Feuersturm auf Ground Zero bei weitem überschritten. Doch auch bei niedrigeren Konzentrationen können Schäden an den Atemwegen entstehen, wenn die Substanzen aggressiv genug sind. Vergiftungen und Verätzungen sind akute Folgen, später können Entzündungen oder Geschwüre auftreten. Dies betrifft auch Arbeiter, die Trümmer beseitigten oder den verseuchten Boden auf Staten Island abluden.

„Viel hängt vom allgemeinen Gesundheitszustand des Betroffenen ab", sagt Gustav Schäcke vom Institut für Arbeitsmedizin an der Freien Universität Berlin. Bei einem Teil der Betroffenen würden die Symptome nach und nach zurückgehen, ansonsten könne sich auch Asthma oder eine chronische Bronchitis entwickeln. Bei Rauchern oder immunschwachen Personen beispielsweise haben die Schadstoffe leichteres Spiel. Wie wirksam der Schadstoffmix war, zeigen Studien des Mount Sinai Hospital in Manhattan. Am Zentrum für Umwelt- und Arbeitsmedizin werden seit Juli 2002 unentgeltliche Untersuchungen für die Helfer angeboten.

„Knapp die Hälfte der Probanden wies mindestens ein Symptom an der Lunge auf“, berichtete Stephen Levin, Direktor des Arbeitsmedizinischen Zentrums. Ebenso häufig waren Beschwerden im Bereich von Hals, Nasen und Ohren. Jeder Zweite erwies sich als psychisch angeschlagen. Jeder Fünfte litt an „Post-Traumatischen-Belastungs-Störungen“. Experten sprechen bereits vom „World Trade Center Syndrom“.

Mittlerweile ist die Zahl der Getesteten auf mehr als 6500 angewachsen. „Das Ausmaß von Atemwegsproblemen und psychischer Schwierigkeiten ist gleich hoch geblieben“, sagte Levin jetzt dem Tagesspiegel. Nur bei den kürzlich Untersuchten zeige sich eine leichte Abnahme der Atemwegsbeschwerden.

Aufgrund dieser – so Levin – „alarmierenden“ Ergebnisse fordern die Experten bessere medizinische Betreuung für die Betroffenen, denn damit liegt es – auch wegen der oft fehlenden Krankenversicherung – im Argen. Nur ein Drittel der Studienteilnehmer war zuvor wegen der WTC-Symptome behandelt worden. Das Geld reiche nur aus, um etwa 9000 der rund 40000 Betroffenen einmalig zu untersuchen. sagt Levin. Nach Ansicht der Experten müssen aber weitere Untersuchungen folgen, um festzustellen, ob die Beschwerden chronisch werden und um eine adäquate Behandlung zu garantieren.

Paul Janositz

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