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Gesundheit: Herbert Kroemer im Interview: Die Nobelpreis-Idee kam in einer Minute

Herbert Kroemer (72) erhielt im vergangenen Jahr den Nobelpreis für Physik. Seine Forschungen waren grundlegend für die Entwicklung von Lasern in CD-Playern oder die Kommunikation über Glasfasern.

Herbert Kroemer (72) erhielt im vergangenen Jahr den Nobelpreis für Physik. Seine Forschungen waren grundlegend für die Entwicklung von Lasern in CD-Playern oder die Kommunikation über Glasfasern. Kroemer wurde in Weimar geboren und promovierte in Göttingen. Danach ging er in die USA, heute ist er Professor in Santa Barbara. Am Montagabend war er Gast im Einstein Forum in Potsdam.

Herr Kroemer, Sie haben gerade Ihr altes Gymnasium in Weimar besucht. Dort sitzen Schüler heute vor Tischcomputern. 1946, als Sie im letzten Schuljahr waren, wurde der erste programmgesteuerte Elektronenrechner der Welt gebaut. "Eniac" wog fast 30 Tonnen. Was empfinden Sie, der Sie maßgeblich an der späteren Entwicklung elektronischer Bauelemente mitgewirkt haben, wenn Sie Schüler heute mit einem kleinen Notebook arbeiten sehen?

Wissen Sie, das ist heute Teil des Lebens geworden. Für uns gab es damals auch Dinge, die neu und genauso aufregend waren. Ich habe allenfalls eine Bewunderung für die Schnelligkeit der Entwicklung.

Was wird diese Entwicklung der nächsten Schülergeneration bringen?

Jede solche Vorhersage ist ein Glücksspiel. Man übersieht dabei leicht wichtige Dinge. Man kann bestenfalls eine Richtung für die nächsten fünf oder sechs Jahre angeben.

Welche Trends können Sie ausmachen?

Ich kann zum Beispiel vorhersagen, dass in fünf Jahren alle Verkehrsampeln in Berlin eine neue Technologie verwenden werden, nämlich Leuchtdioden. In Stockholm können Sie das heute bereits sehen. Und ich bin erstaunt, dass es sie in Berlin noch nicht gibt.

Welche Vorteile bieten diese Leuchtdioden im Vergleich zu der Glühlampe?

Sie brauchen nur 15 Prozent des Stroms und haben eine beliebig lange Lebensdauer, verursachen also keine Wartungskosten. Die treibende Kraft ist dabei die Wirtschaft.

Warum sind Sie mit anderen Vorhersagen so zurückhaltend?

Ich war an der Entdeckung des Heterostruktur-Lasers beteiligt ...

also eines Lasers, der aus verschiedenen Materialschichten aufgebaut ist. Damals wurde mir erklärt, dass es gar keinen Sinn hätte, diese Technologie zu entwickeln. Dafür gäbe es garantiert keine Anwendung. Aber ich bin nicht der Erste, dem das passiert ist. Es ist ein Phänomen, das immer wieder aufgetaucht ist und auftauchen wird. Man beurteilt neue Technologien und neue Physik immer wieder danach, was sie für bereits bestehende Anwendungen bedeuten. Die wirklichen Anwendungen kommen aber meist viel später. Und sie werden von Leuten geschaffen, die an der Entdeckung selbst nicht beteiligt waren. Da sitzt irgendwo jemand, der diese neue Entdeckung sieht und sagt: "Mensch, das ist genau das, was ich brauche."

Sie selbst hatten nach der Entdeckung noch nicht die kleinen Laser im Kopf, wie man sie heute im CD-Spieler oder im Strichcodeleser im Supermarkt findet?

Als ich mich mit dem Heterostruktur-Laser befasste, da habe ich nicht an Compact-Disc-Player gedacht. Es war für mich einfach eine neue Art von Laser. Ein anderes Beispiel ist die Kommunikation über Glasfasern. Das Kupferkabel ist tot. Es hat nicht die nötige Bandbreite für Internet, Fernsehen und diesen ganzen Kram. Aber wir wussten doch damals nicht, als wir unsere Ideen für den Heterostruktur-Laser entwickelten, dass da woanders jemand an Glasfasern arbeitete. Und demjenigen hat man sicherlich auch erklärt, dass die Glasfaser ein völliger Unsinn sei. Denn es gab ja keine Lichtquelle für die Datenübertragung, also keinen Laser. Diese beiden Gebiete mussten erst zueinander finden.

Sie sind - wie viele deutsche Wissenschaftler und spätere Nobelpreisträger - bald nach Ihrer Promotion in die USA gegangen.

Wenn man bei diesen Themen mitarbeiten wollte, und zwar nicht als Nachläufer, sondern als Vorreiter, dann musste man in die USA. Diese Art Forschung wurde damals dort in der Industrie betrieben.

Sie haben sich in den späten 50er und frühen 60er Jahren Gedanken darüber gemacht, welche Vorteile es bieten könnte, elektrische Bauteile wie den Transistor nicht aus einem einzigen Material wie Silizium zu bauen, sondern aus mehreren Stoffen. Können Sie das erläutern?

Sie fangen auf der linken Seite mit einer Legierung A an und enden auf der rechten Seite mit einer Legierung B. Ich hatte erkannt, dass die Eigenschaften in den Zwischenbereichen nicht einfach eine Mischung aus A und B sind. Es kommt zu einer neuen Kraft, die auf die Elektronen einwirkt. Die Elektronen wollen von einer Seite auf die andere, als ob sie den Berg hinunterlaufen würden. Das war eine Erkenntnis, die über die Jahre weiterentwickelt wurde.

Aus der auch der von ihnen erwähnte Laser hervorgegangen ist.

1963 kam mir schlagartig die Idee dazu. Ein Kollege von mir hielt einen Vortrag über den neu entdeckten Halbeiterlaser. Das schien ein interessantes Forschungsthema ohne praktische Bedeutung zu sein. Die ersten Laser funktionierten nur bei sehr tiefen Temperaturen und mit ganz kurzen Impulsen. In dem Vortrag erklärte er auch, warum es prinzipiell unmöglich sei, über diese Hürden hinauszukommen. Er war noch nicht ganz fertig, da sagte ich: Das ist doch Quatsch! Die Idee zu dem Heterostruktur-Laser entstand ungefähr eine Minute, nachdem mir klar gemacht worden war, dass es da ein Problem gab.

Sie arbeiteten damals als junger Forscher in einer US-Firma. In Deutschland gelten eine Karriere in der Industrie und eine in der Wissenschaft als sehr unterschiedliche Ziele.

Man kann in Deutschland nicht ohne Weiteres von einem zum anderen überwechseln - wovon ich in meiner Laufbahn in den USA sehr profitiert habe.

Diese fehlende Transparenz wird hierzulande beklagt. Insbesondere junge Forscher springen an den Hochschulen von Assistentenstelle zu Assistentenstelle und stehen dann vor dem "Alles oder Nichts". Die Zuspitzung auf sehr wenige begehrte Professorenstellen und das Fehlen eines breiteren akademischen Mittelbaus entmutigen viele junge Leute. Gibt es dieses Problem auch in den USA?

Nicht in dem Maße.

Woran liegt das?

Das ist schwer zu sagen. Es ist eine andere Tradition.

Die auch Sie davon abgehalten hat, nach Deutschland zurückzukommen?

Ich bin ja mal nach Deutschland zurückgekommen, aus Heimweh. Das war 1957. Ich habe bei der Firma Philips gearbeitet.

Aber Sie sind sehr bald wieder in die USA zurückgekehrt. Warum?

Irgendwie hatte man in der USA die größere persönliche Freiheit. Da brauchte man kein polizeiliches Anmeldeformular auszufüllen, wenn man um die Ecke zog. Kurz gesagt: Es gibt dort weniger Staat.

Was könnte man in Deutschland tun, um wieder mehr Spitzenforscher aus den USA, China oder Bangladesch anzulocken und talentierten Nachwuchs hier zu behalten?

In der Industrie wurde in Deutschland nie so viel Forschung betrieben, wie das in den USA der Fall war. Die Industrie hat sich hier mehr auf Anwendungen konzentriert. Ich habe bei einzelnen Herrn aus der Industrie einen entsetzlichen Konservatismus beobachtet. Sie sagten: "Wozu sollen wir Forschung machen, wir kaufen das von den Japanern." Darüber bin ich erschrocken. Denn damit ist die Zweitrangigkeit garantiert.

In den USA gibt es da noch die eine oder andere Ausnahme wie die Bell-Laboratorien, die Grundlagenforschung ganz groß schreiben.

Noch! Aber es ist auch dort nicht mehr so wie noch vor zehn Jahren.

Wie beurteilen Sie die Lage an den Universitäten?

Ich mache mir vor allem Sorgen um die jungen Forscher, darüber, wie lange sie in Deutschland warten müssen, bis sie wirklich unabhängig sind. Es gibt hier irrsinnig lange Promotionszeiten. Und dann gibt es da diesen Unfug, genannt: die Habilitation. Die jungen Menschen verbringen also ihre intelektuell fruchtbarsten Jahre in Abhängigkeit von Leuten meines Alters.

Die neue Bundesregierung führt nun eine Juniorprofessur ein.

Ich halte das für einen ausgezeichneten Schritt. Aber ich wünschte mir, die Reform ginge noch weiter.

Wie weit?

Ich glaube, dass die Hierarchie noch zu viel Gewicht auf die einzelnen Institute und Lehrstühle setzt, statt auf die Fachbereiche. Bei uns in den USA sind die Fachbereiche nicht unterteilt in Starkstromtechnik und Schwachstromtechnik etc. Es gibt nur ein riesiges Department. Wenn sich dann die Schwergewichte in der Forschung verschieben, dann werden frei werdende Stellen in diesem aufstrebenden Gebiet besetzt. Man braucht also keine Institute neu zu schaffen oder abzuschaffen. Das halte ich für eine der großen Stärken des amerikanischen Universitätssystems.

Sie haben sich gegen Vorhersagen ausgesprochen. Die US-Computerexperten Bill Joy und Ray Kurzweil waren da offensiver und haben Prognosen zur Entwicklung der Nanotechnologie gemacht, die für einiges Aufsehen sorgten. Sie sagten voraus, dass Computer im Jahre 2019 in einem Gespräch wie Menschen agieren können, also nicht mehr als Maschine erkennbar sein werden. Glauben Sie, das wird sich bewahrheiten?

Ich halte es nicht für unmöglich. Das ist letztlich ein Software-Problem. Der Appetit auf größere Komplexität und größere Schnelligkeit ist sicherlich da. Wenn wir mit niedrigen Kosten einen hinreichend komplexen Computer herstellen können, dann wird der Computer durchaus Prozesse erfassen wie die Analyse oder die Synthese von Sprache.

Wird man eines Tages vielleicht sogar das menschliche Gehirn einscannen können?

Das ist Science-fiction. Und Science-fiction trifft manchmal zu. Aber meistens nicht.

Teilen Sie die Sorge, die Technik könnte sich vom Menschen unabhängig machen?

Solange es einen Schalter gibt, mit dem man den Computer ausschalten kann, mache ich mir keine Sorgen. Aber wenn sich die Menschheit eines Tages dazu entschließt, dass es unmoralisch ist, einen Computer abzuschalten, dann sieht das anders aus.

Herr Kroemer[Sie haben gerade Ihr altes Gymnasium]

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