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Gesundheit: Hier drückt der Schuh!

Viele Fehlstellungen der Füße werden erst in Pumps zum Problem. Vor allem Frauen leiden häufig unter Hallux valgus, einem abgeknickten Gelenk im großen Zeh

Vorne spitz, hinten hoch – so sieht der perfekte Damenschuh aus, wenn es um einen sexy Auftritt geht. Fußchirurgen dürften die einzigen Männer sein, die Frauen nicht gerne darin sehen, denn die engen Schuhe drücken die Zehen zusammen. Und je höher der Absatz, desto stärker die Belastung auf den Vorderfuß. „Studien haben gezeigt, dass schon bei Fünf-Zentimeter-Absätzen knapp 60, bei sieben Zentimetern schon 70 Prozent mehr Gewicht auf dem Vorderfuß lastet als in flachen Schuhen“, sagt Henrik Boack, Leiter der Fuß- und Sprunggelenkchirurgie der Charité.

Selbst die flachen Ballerinas oder Peep-Toes – also die derzeit beliebten Pumps mit Loch an der Spitze für frische Luft am großen Zeh – sind fast immer so schmal geschnitten, dass die Zehen zusammengedrückt werden. Dann macht sich im schlimmsten Fall ein Hallux valgus (Lateinisch für „krummer großer Zeh“) bemerkbar – eine Fußfehlstellung, die vor allem Frauen betrifft. Das liegt aber nicht nur an den Schuhen. Aufgrund ihres von Natur aus schwächeren Bindegewebes sind Frauen generell anfälliger für orthopädische Probleme.

Auf Dauer können in schmalen High-Heels Fehlstellungen der Gelenke zum Problem werden, die wahrscheinlich keine Beschwerden gemacht hätten, wenn die Betroffenen im Alltag weite, flache Schuhe getragen hätten oder hauptsächlich barfuß gelaufen wären. „Man kann nicht behaupten, dass das Tragen von Stöckelschuhen immer oder generell zu Fehlstellungen führt, aber es kann der Grund für die Schmerzen sein“, erklärt Henrik Boack.

Auf Deutsch wird der Hallux valgus auch Ballenzehe genannt, denn das kugelförmige abgeknickte Grundgelenk im großen Zeh sticht seitlich heraus. So entsteht ein Knubbel, der wie ein erweiterter Ballen aussieht und besonders stark an der Innenseite der Schuhe scheuert. Dadurch entzündet sich dann häufig auch noch der Schleimbeutel an dem Gelenk, die Stelle wird rot und schmerzt. Außerdem kann durch eine Knochenverbreiterung an dieser Stelle noch zusätzlich Druck im Schuh entstehen.

Die Ursache für einen Ballenzeh ist eigentlich in der Entwicklungsgeschichte des Menschen zu suchen. „Unsere Vorfahren hatten Füße, mit denen sie sich an Bäumen festkrallen konnten“, sagt der Fußchirurg. Der große Zeh saß damals an einer ähnlichen Stelle, wie heute unser Daumen an der Hand. „Die Möglichkeit, den Mittelfußknochen nach innen abspreizen zu können, war für die Greiffunktion sehr hilfreich.“ Erst in Jahrmillionen bildete sich dann der heutige Fuß heraus. Aufgrund dieser Relikte aus der Urzeit neigen einige Menschen heute zu einem Hallux valgus. Auf dem Röntgenbild ist diese Fehlstellung deutlich an dem abgeknickten Grundgelenk zu erkennen – der große Zeh ist in Richtung der kleineren Zehen gekrümmt. Seltener kommt das Gegenteil – ein Hallux varus – vor, bei dem der große Zeh von den anderen Zehen absteht.

Erste Abhilfe bringen weitere, weiche Schuhe. Einlagen können die Fehlstellung ausgleichen, sodass die Schuhe nicht mehr drücken. Rückgängig machen lässt sich die Verformung durch solche konservativen Methoden allerdings nicht. Bei einigen Patienten macht eine Arthrose in dem betroffenen Gelenk die Therapie besonders schwierig.

Orthopäden und Fußchirurgen raten daher, sich nur bei dauerhaften Schmerzen für eine Operation zu entscheiden – oder weil wirklich kein normaler Schuh mehr passt. Ein Eingriff aus kosmetischen Gründen, den sich gerade jüngere Frauen häufig wünschen, weil sie der Knubbel am Fuß optisch stört, ist nicht zu empfehlen.

„Nur, weil es recht schnell geht und auch ambulant gemacht werden kann, ist es noch lange keine Kleinigkeit“, sagt Boack. Denn bei der Operation wird das Zehengrundgelenk neu ausgerichtet und häufig auch der Mittelfußknochen durchtrennt und in besserer Stellung wieder zusammengesetzt. Der Heilungsprozess dauert mindestens sechs Wochen. Schwellungen gehen oft auch erst nach sechs Monaten zurück.

Kürzere Heilungszeiten verspricht Masyar Rahmanzadeh, Leiter des Gelenkzentrums Berlin in Charlottenburg. „Ich setze den Patienten eine spezielle Titanplatte ein, die ich selbst entwickelt habe, und säge den Knochen auf schonende Weise“, sagt Rahmanzadeh. Die Platte, die auf dem Fußschaft befestigt wird, soll die richtige Stellung der Gelenke stabilisieren. Nach neun bis 12 Monaten wird sie in aller Regel entfernt. „Diese Methode habe ich so weiterentwickelt, dass ich sie bei allen Formen des Hallux valgus anwenden kann“, sagt der Chirurg. In Fachkreisen gibt es jedoch Kritiker, die den Einsatz von Titanplatten nur bei ganz bestimmten Patienten empfehlen.

„Bei Sportlern und Tänzern sollte die Notwendigkeit einer Operation besondern kritisch geprüft werden, wenn die Fehlstellung der Füße beim Sport oder beim Tanz keine Beschwerden hervorruft“, sagt der Charité-Experte Boack. Balletttänzerinnen hätten zum Beispiel sehr häufig einen Hallux valgus.

In manchen Fällen ist eine Operation aber auch ratsam, um weitere Fußprobleme zu verhindern. Der abgeknickte große Zeh verdrängt nämlich die kleinen Zehen, Krallen- oder Hammerzehen entstehen. „Und wenn der große Zeh zur Seite abgeknickt ist, trägt er kaum noch Körpergewicht“, erklärt Boack. Das lastet dann auf dem Mittelfußknöchelchen des „Zeigezehs“, was wiederum Schmerzen bereiten kann.

Wer bereits eine leichte Vorwölbung an der Innenseite der Füße unterhalb des großen Zehs feststellt, sollte im Alltag auf flache, weite Schuhe umsteigen. Wenn es für einen Abend mal High-Heels sein müssen, können Gel-Einlagen und gepolsterte Pflaster den Druck etwas abfangen. „Wirklich vorbeugen kann man solchen Fehlstellungen aber nicht“, sagt Boack. Um seinen Patientinnen zu zeigen, dass nicht ihr Fuß, sondern eher der Schuh das Problem ist, macht er mit ihnen einen einfachen Test: Sie sollen sich einfach mal barfuß auf ihre Schuhe stellen und sich fragen: „Kann das passen?“

Dagny Lüdemann

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