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Gesundheit: Hippokrates trifft McDonald’s Medizin und Marktwirtschaft – bleibt die Ethik auf der Strecke?

„Nach Herzinfarkt werden Frauen oft schlechter behandelt als Männer.“ - „Überflüssige medizinische Leistungen werden aus Gewinnstreben in den Markt gedrückt.

„Nach Herzinfarkt werden Frauen oft schlechter behandelt als Männer.“ - „Überflüssige medizinische Leistungen werden aus Gewinnstreben in den Markt gedrückt.“ Beim Hauptstadtkongress „Medizin und Gesundheit“, bei dem diese Sätze fielen, wimmelte es von Begriffen wie „Medizinmarkt“ oder „Gesundheitsunternehmen“ - ein ungewohntes Vokabular für alle, die krank sind oder es einmal werden können.

Während in der Gesundheitspolitik fast nur von Kosten die Rede ist, beginnt man in der „Gesundheitsbranche“ besorgt nachzudenken und gegenzusteuern. Wenn Klinikkonzerne wie Kaufhaus- oder Restaurantketten geführt werden müssen, um sich zu rentieren: Wo bleibt dann der Patient? Werden Kranke sich noch mehr nur als „Fälle“ behandelt fühlen? Nicht nur Ärzte und Schwestern, auch viele Manager im Gesundheitswesen fürchten - wie diese Veranstaltung deutlich machte -, das Ethos des Helfens und Heilens, die traditionellen Werte der Medizin, könnten in Gefahr sein, wenn die Marktwirtschaft größeren Einfluss auf das Gesundheitswesen bekommt.

Zum ersten Mal standen ethische Themen im Zentrum des Hauptstadtkongresses. Im viel besuchten „Ethik-Café“ diskutierte man darüber, wie sich in der Medizin moderne Technik und Humanität vereinen lassen, ob Gewinnstreben und Ethik ein Widerspruch sind oder bei welchen Arbeitsstrukturen die Schwestern in der Klinik mehr Zeit für Zuwendung zum Kranken haben könnten. „Wie bringt man Ethik und Monetik in Einklang?“ fragte der Moderator Uwe Preusker. Und der Nürnberger Onkologe Walter Gallmeier stellte fest: „Hippokrates meets McDonald’s“.

Tatsächlich trafen sich Vertreter beider Richtungen und sprachen offen miteinander. Zum Beispiel über die heute schon zu beobachtende und künftig unumgängliche Rationierung medizinischer Leistungen, die aber von der Politik aus Opportunität geleugnet werde. Alle Teilnehmer an den Ethik-Debatten lehnten eine Verweigerung teurer Therapien im Alter entschieden ab. Wie aber - so das Leitmotiv dieser Diskussionen - ist es zu schaffen, dass eine „gute Medizin für alle“ bezahlbar bleibt und dass die Tür zum Krankenhaus künftig nicht nur mit der Kreditkarte zu öffnen ist?

„Lieber unten abschneiden als oben“, sagte Robert Paquet vom Bundesverband der Betriebskrankenkassen. Das heißt, es ist ethisch eher vertretbar, Brillen oder Zahnersatz als Kassenleistung zu streichen als Herzoperationen oder Krebsbehandlungen. Und außerdem: Man darf nicht alles tun, was medizinisch möglich ist, aber alles, was für den Kranken nötig ist. „Medizin nach Maß“, nennt dies Krebsspezialist Gallmeier.

„Verschwendung ist unethisch“, konstatierte Paquet - weil alles, was überflüssig ist, die Mittel verschleudere, die für erforderliche Therapien dringend gebraucht würden. Und Notwendiges zu unterlassen, ist erst recht unethisch. Ein in der Diskussion genanntes Beispiel für unverantwortliche - gleichwohl betriebswirtschaftlich vernünftige - Verschwendung: Fast Genesene wurden oft viel zu lang im Krankenhaus festgehalten, um dank dieser pflegeleichten Patienten noch möglichst viele Tagessätze abrechnen zu können. Mit der Pauschalvergütung pro Krankheitsfall kehrt sich das jetzt um: Es droht die Gefahr vorzeitiger, „blutiger“ Entlassungen wie in den USA, warnte Paquet.

Die Vergütungsform steuert die Versorgung weit stärker, als die meisten Patienten ahnen: Ethik unterliegt Monetik. Immer wieder wurde in den Debatten nach finanziellen Anreizen gerufen, die nicht, wie heute, die Quantität, sondern die Qualität medizinischer Leistungen fördern. Selbst noch so qualifiziert ausgeführte Behandlungen aber sind unethisch, wenn es keinerlei Nachweise für ihre Wirksamkeit gibt.

„Wir müssen zuerst den Unsinn aus der Medizin entfernen, dann erst können wir über Qualität reden“, sagte Gerd Glaeske von der Universität Bremen. Und etwas prinzipiell zwar Wirksames im Einzelfall nicht zu tun - zum Beispiel einen gar nicht notwendigen Herzschrittmacher oder eine unnötige Gebärmutteroperation zu unterlassen -, kann oft besser sein als etwas zu tun, hieß es in einem Forum.

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