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Gesundheit: Hoch gesprungen

1,55 Millionen Euro: Die erste deutsche Professorin für Tanzwissenschaft erhält den Leibniz-Preis

Ein Studio, ausgestattet mit modernster Medientechnik. Menschliche Bewegungen werden in Computerprogramme übertragen und weiter verarbeitet. Realer und virtueller Tanz verschmelzen zu einer neuen ästhetischen Erfahrung. Wenn Gabriele Brandstetter, seit dem Sommersemester 2003 Professorin für Tanzwissenschaft an der Freien Universität Berlin, vom geplanten Dancelab spricht, sprüht sie vor Begeisterung: „Das Labor wird die Schnittstelle zwischen Praxis und Theorie des Tanzes.“ Bis vor ein paar Tagen wusste sie bloß noch nicht, wo das Geld dafür herkommen soll. Jetzt weiß sie es. Gabriele Brandstetter erhält den mit 1,55 Millionen Euro dotierten Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Der Förderpreis ist ein Riesengewinn nicht nur für die 49-jährige Kulturwissenschaftlerin, sondern auch für das FU-Institut für Theaterwissenschaften. Denn die Fördersumme ist ausschließlich für Forschungsarbeiten vorgesehen. Sie soll in einem Zeitraum von fünf Jahren „nach den Bedürfnissen der Preisträgerin“ eingesetzt werden. Und da kann Brandstetter ihre Kollegen beruhigen: „Es geht mir nicht nur um Tanz.“

Tatsächlich gibt es wohl kaum eine zweite so interdisziplinär veranlagte Kulturwissenschaftlerin. Gabriele Brandstetter promovierte 1984 an der Uni München über die Lyrik Clemens Brentanos, unterrichtete dort Neuere deutsche Literaturwissenschaft und wurde Mitarbeiterin am Bayreuther Forschungsinstitut für Musiktheater. Dort habilitierte sie sich 1993 mit einer Arbeit über „Tanzlektüren, Körperbilder und Raumfiguren der Avantgarde“. Im selben Jahr übernahm sie eine Professur für Theaterwissenschaft in Gießen; 1997 wechselte sie als Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft nach Basel.

Zu „einer der innovativsten Forscherpersönlichkeiten der deutschen Kulturwissenschaften“, als die die DFG sie jetzt auszeichnet, wurde Brandstetter aber auch auf dem Tanzboden. Sie tanzt in Workshops, arbeitet mit Choreografen und Tänzern zusammen, veranstaltet Tanzfestivals. „Ach, der Tanz“, pflegte ihr Doktorvater zu sagen, „das ist ihre kleine Extravaganz.“ Dass Tanz kein Gegenstand der Wissenschaft sei, ist in Deutschland Tradition – im Gegensatz zu angloamerikanischen Ländern und zu Frankreich. Am Berliner Institut baut Brandstetter das Fach jetzt auf. Mit dem Preis werde auch das Engagement des Instituts für Theaterwissenschaften und der FU-Leitung honoriert, erstmals eine Professur für Tanzwissenschaft an einer deutschen Universität einzurichten, sagt sie.

Ein mögliches Thema für die deutsche Tanzwissenschaft wäre die Virtuosität: Der Tanz des 19. Jahrhunderts wollte mit hohen Sprüngen Erstaunen erregen. Der zeitgenössische deutsche Tanz dagegen „meldet mit bewussten Dilettantismen Kritik an der multiplen Perfektion in der Medienwelt an“, so Brandstetter. Damit hätte die Tanztheorie die gesellschaftliche Relevanz, die von den Geisteswissenschaften gefordert wird.

Trotz des Geldsegens ist für Brandstetter Sparen ein Thema: „Es wäre schlimm, wenn Berlin seine Tanztheater herunterwirtschaftet.“ Sie will der Szene zur Hilfe eilen, indem sie ihr enge Zusammenarbeit anbietet – bald auch im Dancelab.

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