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Gesundheit: Hochschulmedizin in Berlin: Auch Juwelen sind zerstörbar - Wie lange kann man die Biomedizin drangsalieren? Von Manfred Dietel

Berlin muss sparen, mittlerweile eine Binsenweisheit, die Frage ist nur, wo? Jeder Wirtschaftsführer würde zunächst analysieren, wo sind meine Juwelen und wo ist mein Ballast.

Berlin muss sparen, mittlerweile eine Binsenweisheit, die Frage ist nur, wo? Jeder Wirtschaftsführer würde zunächst analysieren, wo sind meine Juwelen und wo ist mein Ballast. Betrachtet man daraufhin Berlin, so gibt es nach der Wende nur ganz wenige nachhaltig positive Entwicklungen. Eine, vielleicht sogar die stärkste, ist ohne Zweifel die Biomedizin und Biotechnologie. Hier ist ein phänomenales Wachstum zu verzeichnen.

So war Berlin 1990 in diesem Gebiet Ödland: Das FU-Klinikum in Steglitz, heute Benjamin-Franklin, wurde vom Wissenschaftsrat, dem Gutachtergremium der Bundesregierung, als in der Forschung mit starkem Nachholbedarf bewertet. Die Humboldt-Universität mit der Charité und den Naturwissenschaften war nach fünfzig Jahren DDR in desolatem Zustand, der Forschungs-Campus Buch existierte bis auf Rudimente eigentlich nicht mehr. Eine nennenswerte Biotech-Industrie gab es bis auf wenige Ausnahmen nicht.

Nur zehn Jahre später ist dies der am stärksten gewachsene Wissenschafts- und, dies sei besonders betont, Wirtschaftsbereich. Wie war dies möglich? Neben großzügiger Förderung durch Bund und Land liegt der Schlüssel der Leistungsexplosion in den Menschen, die sich hier eingesetzt, im Übermaß engagiert und bis zur Erschöpfung gearbeitet haben. Das war der Geist der Pionierzeit, auch die Besten gingen gern nach Berlin. Man verzichtete durchaus auf persönliche Privilegien, der Wissenschaftsaufbau Ost war eine geradezu euphorisierende Aufgabe - in der "scientific Community" hoch akzeptiert.

Allerdings waren die Schwierigkeiten vielfältig, Ost-West Gegensätze, wenig gut ausgebildetes Personal, technisch marode Labors, lausige Arbeitsbedingungen etc. Alles wurde mehr oder weniger überwunden, so haben wir nach der Fusion von Charité Mitte und Virchow-Klinikum heute eine große international anerkannte medizinischen Fakultät, ein wissenschaftlich deutlich entwickeltes Benjamin-Franklin, ein glänzendes Max-Delbrück-Centrum mit exzellentem Biotech-Campus, ein neues Max-Planck-Institut in Mitte, Adlershof als Hoffnungsträger der Naturwissenschaften und vieles mehr. 140 biotechnologische und medizintechnische Firmen sind mittlerweile in Berlin angesiedelt, davon die Mehrheit in den letzten fünf Jahren. Doch die Menschen, die dies geschaffen haben, sind nur begrenzt belastbar.

Die von Sponsoren außerhalb Berlins eingeworbenen Drittmittel - ein Maß für die Forschungsqualität - waren an der Charité 1990 null und betrugen im Jahr 2000 mehr als 100 Millionen Mark, für 2001 werden 120 Millionen Mark erwartet. Auch Steglitz hat in der Forschung eine ähnliche Bilanz. Addiert man die Investitionsmittel, die in die neuen Biotech-Unternehmen nach Berlin fließen, so kann, vorsichtig geschätzt, eine Verdoppelung bis Verdreifachung angenommen werden. Allein diese Steigerungsraten belegen das Potenzial und die Potenz der Berliner Biotech-Medizin.

Was bedeutet dies für die Stadt? Allein an der Charité wurden durch die Drittmittel etwa 1850 neue, hoch qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen, zusammen mit Benjamin-Franklin sind es 2400. Sieht man die Gesamtentwicklung, so sind mindestens 5000 direkte neue Arbeitsplätze in der Berliner Biotechnologie entstanden. Daran hängen nochmals etwa 4500 indirekte Arbeitsplätze. Wie politisch gefordert, arbeiten die Universitäten mit der Industrie beispielhaft zusammen und hängen naturgemäß dabei stark voneinander ab. Neben den großen Berliner Pharma-Unternehmen sind gerade auch die zahlreichen kleineren Companies eng mit der Hochschulmedizin verflochten. Keiner kann ohne den anderen, wie Professor Stock, Forschungsvorstand von Schering, vor kurzem in dieser Zeitung deutlich machte.

Wie sieht die Zukunft aus? Gerade letzte Woche wurden zwei neue Großinvestoren an die Charité gezogen. Sie werden ein Gesamtvolumen von 80 Millionen Mark investieren. Alle zwei Monate findet eine neue Ausgründung von kleinen, innovativen Start-Ups statt, die wiederum neue kreative Geschäftsfelder von der DNA-Array-Technologie bis zur Bioinformatik eröffnen. Das ist der Bereich in dem die Stadt lebt und mit dem sie überlebt. Da spielt die Musik des nächsten Jahrzehnts und gerade dort soll nun destruktiv gespart werden - in den nächsten drei Jahren additiv über 100 Millionen Mark!

Mit dieser Größenordnung bringen die Verantwortlichen nicht nur die Forschung und Lehre in der Universitätsmedizin an den Rand der Funktionstüchtigkeit sondern - und das ist viel gravierender - sie demotivieren diejenigen, die die Erfolge bewirkt haben und zerstören das Netzwerk zwischen Hochschule und Biotechnologie-Branche. Wenn die stärksten Haltefäden eines Spinnennetzes, sprich die Hochschulklinika, zerschnitten werden, fällt auch der Rest in sich zusammen.

Aufbauend auf dieser Analyse lautet unser Konzept für die Zukunft: weitere Pflege dieses wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Juwels zum Wohle der Stadt. Dabei kontinuierliche Prüfung der universitären Medizin mit Einsparungen, wenn die Leistungen nachlassen und leistungsbezogenen Zugaben, wenn weitere Steigerungen möglich sind. Das wäre eine moderne, ökonomisch orientierte Politik, die Chancen und Entwicklungen für und in Berlin eröffnet.

Der Autor ist Dekan der Charité

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