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Gesundheit: Hochschulmedizin: Nicht alles ist Korruption

Die Professoren sollen möglichst viel "Drittmittel" aus der Industrie einwerben, um mit ihren Forschungen dem Vater Staat weniger auf der Tasche zu liegen. Das fordert die Politik auf vielen Wegen ein.

Die Professoren sollen möglichst viel "Drittmittel" aus der Industrie einwerben, um mit ihren Forschungen dem Vater Staat weniger auf der Tasche zu liegen. Das fordert die Politik auf vielen Wegen ein. Wer aber diesem dienstlichen Auftrag folgt, kommt schnell in Konflikt mit dem Staatsanwalt. Diese Erfahrung machte eine ganze Reihe Medizinprofessoren von Hamburg bis Heidelberg, in Köln, Münster und anderswo. Einer hat sich jetzt gewehrt.

Der Fall von Hans-Jürgen Biersack, Chef der Uni-Klinik für Nuklearmedizin in Bonn, ist typisch für die so genannte "Medizinerkorruption". Heraus kam ein wegweisender Bescheid des Landgerichts Bonn (Aktenzeichen 27 B 13/00). Der Tatbestand: In den neunziger Jahren hatten Pharma-Firmen die Bonner Nuklearmedizin mit freiwilligen Zuwendungen von mehr als zwei Millionen Mark gefördert, Firmen, bei denen Biersack gleichzeitig Bestellungen für zehn Millionen aufgab. Die Preise waren keineswegs überhöht, sondern marktüblich.

Trotzdem meinte die Staatsanwaltschaft, Biersack habe sich von den Spendern für seine Bestellungen bestechen lassen. Die Ermittler beharrten auf ihrer Auffassung, obwohl der Professor von den zwei Millionen an eingeworbenen Drittmitteln keine Mark für sich nahm. Alle Mittel liefen vielmehr über ein offizielles Uni-Konto. Das Geld wurde nachweislich für Forschungen und Arztstellen ausgegeben.

Trotzdem fanden die Staatsanwälte einen dunklen Fleck auf der weißen Weste, wie sie meinten: einen "immateriellen Vorteil", den der Professor aus den Zuwendung gezogen habe. Eine solche "Vorteilsannahme" widerspricht nach einer alten, noch reichsgerichtlichen Entscheidung dem Beamtenethos und kann demnach als "Straftat im Amt" verfolgt werden. Die Verwendung der Drittmittel in Forschung und Krankenversorgung hätten Biersacks Prestige erhöht, schließlich sogar zu seinem Bundesverdienstkreuz beigetragen. "Es grenzt schon an Zynismus", schrieb der Ordensträger an seinen obersten Dienstherrn, Ministerpräsident Wolfgang Clement, "wenn der Staatsanwalt schließt, dass meine Verdienste durch Schmiergelder der Industrie erworben wurden."

Professorenkollegen haben in ähnlichen Fällen um des lieben Friedens willen nachgegeben und sich mit finanziellen "Auflagen" in fünfstelliger Größenordnung einverstanden erklärt; dass sich auf diesem Wege Strafverfahren abwenden lassen, ist der breiteren Öffentlichkeit seit der sechsstelligen Summe bekannt, die jetzt Helmut Kohl - wegen eines ganz andersartigen Spendenkomplexes - bezahlt. Manche Medizinprofessoren traf es härter, sie akzeptierten förmliche "Strafbefehle" und sind mithin vorbestraft. So etwas kommt in die Personalakte des Beamten.

Der Betroffene spielt nicht mit

Im Falle Biersack wollte die Staatsanwaltschaft wieder einmal mit einer Auflage die Sache auf sich beruhen lassen. Der Betroffene spielte aber nicht mit und erklärte gleich: "Ich gehe notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof wegen Verletzung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten."

Die Bonner Wirtschaftsstrafkammer hat nach Prüfung der Anklageschrift die Eröffnung eines Hauptverfahrens entschieden abgelehnt und das auf 35 Seiten eingehend begründet. Entscheidend ist für sie, ob die materiellen Vorteile, die der Beamte einwirbt, "staatsnützig" oder "privatnützig" sind. Die klare Unterscheidung ist in der einschlägigen Rechtsprechung "neu, mutig, wegweisend und handhabbar", erklärt Jens Göben als Experte des Deutschen Hochschulverbandes, der Berufsorganisation der Universitätsprofessoren.

Jeden Vorteil, den ein Professor im öffentlichen Dienst bei Geschäftspartnern herausholt, interpretieren die Staatsanwälte bislang ohne weiteres als privaten Vorteil. Prinzipiell darf ein "Amtsträger" nur annehmen, was ihm von Rechts wegen zusteht. "Dass sich der Dienst selbst verbessert, darf nicht strafbar sein", erklären die Richter jetzt in einem apodiktischen Satz, der wohl Rechtsgeschichte machen wird. Und dienstlich, mithin staatsnützig, sind die Vorteile, wenn sie ordentlich über die Uni-Verwaltung eingenommen und wieder ausgegeben werden. Dabei muss es nach der Bonner Rechtsbelehrung dem gebenden Unternehmen überlassen bleiben, ob es lieber gesonderte Zuwendungen oder direkte Lieferrabatte gewährt. Das könne beispielsweise von "unterschiedlichen Auswirkungen in steuerlicher Hinsicht" abhängen.

Beim immateriellen Vorteil fragt das Gericht nach Ursache und Wirkung und erklärt den Prestigegewinn des Hochschullehrers mithin für straffrei: "Eine immaterielle Steigerung seines Ansehens wäre nur ein Reflex aus seiner Dienstpflicht, die bestmögliche Patientenversorgung und Forschung zu betreiben." Da fällt auch Peter Lange vom Bundeswissenschaftsministerium ein Stein vom Herzen; er betrachtet die alte Strafvorschrift als eine Zumutung für jeden Forscher.

Das internationale Niveau der Forschung kann nur über die Zusammenarbeit mit der Pharma-Industrie realisiert werden. "Die aber wird keine Mittel in Deutschland bereitstellen", so erklärt Biersack, "wenn laufend neue Aktionen der Staatsanwaltschaft drohen." Wann immer gegen einen Professor wegen Bestechlichkeit ermittelt wird, dann spiegelbildlich zugleich gegen einen Firmenvertreter wegen Bestechung.

Die Bonner Richter dringen auf mehr Rechtssicherheit. "Bei den Zuwendungen Dritter an die Universitäten darf nicht übersehen werden, dass es eine sachlich begründete Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und der Industrie gibt. Deshalb ist es geboten, durch eine klare Rechtsprechung Rechtssicherheit für die zur Drittmitteleinwerbung verpflichteten Personen zu schaffen." Die unterlegene Staatsanwaltschaft will jetzt "Beschwerde" beim Oberlandesgericht einlegen.

Hermann Horstkotte

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