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Gesundheit: Holocaust-Kontroverse: Das Symbol des absolut Bösen

Ein Museum für die schwarzen Sklaven wird man den Washington vergeblich suchen. Dabei ist die Sklaverei als Bestandteil der US-amerikanischen Geschichte kaum zu leugnen.

Ein Museum für die schwarzen Sklaven wird man den Washington vergeblich suchen. Dabei ist die Sklaverei als Bestandteil der US-amerikanischen Geschichte kaum zu leugnen. Museen über den Mord an den europäischen Juden aber finden sich in den Vereinigten Staaten allerorten - in Washington das weltweit größte seiner Art, das Holocaust Memorial Museum. Jährlich gedenken Senat und Repräsentantenhaus des Genozids. In den Colleges und Universitäten werden Hunderte von Kursen zum Thema gegeben, in immer mehr US-Staaten erklären es die Schulbehörden zum Pflichtstoff. Es gibt Fernsehserien, wie die Serie "Holocaust" von 1978, und Hollywood-Filme wie "Schindlers Liste", über den Ex-Präsident Bill Clinton meinte, ihn zu anzusehen, sei eine Bürgerpflicht für jeden Amerikaner.

Der Holocaust - eine uramerikanische Erinnerung also? Natürlich nicht, meint Peter Novick, emeritierter Historiker an der University of Chicago. "Nur ist das schwer zu beweisen, wenn so viele Institutionen und Rituale auf das genaue Gegenteil hindeuten." Peter Novick, dessen Buch "Nach dem Holocaust - Der Umgang mit dem Massenmord" gerade auf deutsch erschienen ist, sprach am Mittwochabend an der Freien Universität über den "Holocaust in der amerikanischen Erinnerung".

Um eine kollektive Erinnerung, die für ein ganzes Gemeinwesen quasi die Verbindung zur Vergangenheit herstellt, zu begründen, bedarf es bestimmter Bedingungen. Novick nannte die beiden wichtigsten: Zum einen müsse es eine öffentlich unübersehbare Präsenz der Zeitzeugen des Ereignisses geben, um die Erinnerungskultur zu beeinflussen. Zum anderen bedürfe es einer starken persönlichen Verankerung der Zeugen in der Gesellschaft, um ihre Erinnerungen an Familienangehörige, an Freunde oder auch innerhalb derselben religiösen oder sprachlichen Gemeinschaft weitergeben zu können. "Beide Bedingungen sind in den Vereinigten Staaten nicht gegeben", sagte Novick. Die Immigranten, die direkt mit dem Holocaust zu tun hatten - sei es als Zeugen, als Überlebende oder als Täter - machten in den USA der Nachkriegszeit gerade mal ein Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Hinzu komme die räumliche Distanz Amerikas zu den Hauptschauplätzen des Holocaust.

Warum hat es trotzdem funktioniert? "Die Hauptvoraussetzung dafür, dass ein historisches Ereignis zur kollektiven Erinnerung werden kann, ist, dass es von dem Kollektiv als identitätsstiftend wahrgenommen wird", sagte Novick. Das können ebenso heroische Momente in der Geschichte sein, wie auch tragische Ereignisse. Und in den Vereinigten Staaten wurde der Holocaust zu einem negativ identitätsstiftenden Ereignis. "Wenn Amerika in Hochform ist, dann ist der Holocaust für die Vereinigen Staaten unmöglich", zitiert Novick einen leitenden Mitarbeiter des Washingtoner Holocaust-Museums. Also: Uns kann sowas nicht passieren, denn wir sind besser.

Diese Entwicklung begann erst in den 70er Jahren, also ein viertel Jahrhundert nach dem Holocaust - und zwar "auf direkte Initiative der amerikanischen Juden", so Novick. "Zwei Prozent der US-Amerikaner sind Juden und von den restlichen 98 Prozent fast nicht zu unterscheiden, außer wenn es um deren Beziehung zum Holocaust geht." Jüdische Organisationen versuchten, unter jungen amerikanischen Juden mit Hilfe der Holocaust-Erinnerung eine jüdische Identität zu wecken. Denn eine "demographische Katastrophe" bahnte sich an: Immer mehr Juden heirateten Nichtjuden. "Wir Juden stehen an einem Scheideweg", sagte 1978 der Rabbi Michael Berenbaum. Er war gerade für die Leitung der Regierungs-Kommission für das Holocaust-Museum nominiert worden. "Entweder wir machen das Holocaust-Bewusstsein zu einer nährenden Realität für das gegenwärtige Judentum oder wir verlieren diese einmalige Gelegenheit, vielleicht für immer."

Doch die "innerjüdische Affäre" hatte Auswirkungen für die gesamte amerikanische Gesellschaft. Juden spielen eine einflussreiche Rolle im amerikanischen Kulturleben: "Wir sind nicht nur das Volk der Bücher, sondern auch das Volk der Hollywood-Filme, der TV-Serien, der Magazin-Artikel und Zeitungskolumnen, der Comicbücher und der akademischen Symposien", sagte Novick. Und so wurde aus den Bemühungen, die innerjüdische Identität zu stärken - quasi als Nebenprodukt - ein starkes Bewusstsein für den Holocaust in der gesamten amerikanischen Gesellschaft.

Für die Amerikaner wurde der Holocaust zum Symbol des absolut Bösen - und zum Spiegel ihrer Ängste vor Chaos und dem Verlust an Werten. Und so ein Symbol lässt sich in der täglichen politischen Auseinandersetzung gut instrumentalisieren. Abtreibungsgegner behaupten, die legalisierte Abtreibung sei der "Amerikanische Holocaust", Tierschützer beschimpfen die Massentierhaltung als "Buchenwald für Tiere" und Feministinnen betonen, erst das Patriarchat habe den Holocaust ermöglicht.

Es wird also mit dem Holocaust diskutiert, nicht darüber. Novick: "In vielen Nationen gibt das kollektive Erinnern den Rahmen für politische Kämpfe vor." In Frankreich zum Beispiel lebt die Erinnerung an die 1789er Revolution, weil die politischen Hauptkräfte und ihre Auseinandersetzungen daraus hervorgingen. In Deutschland gab die Erinnerung an den Holocaust oft den Ausgangspunkt für politische und ideologische Konflikte. Doch in den USA gibt es solche Debatten nicht. Novicks Fazit: "Diese Erinnerung ist so banal, so apolitisch - und so weit weg von den wirklichen Konfliktlinien in der amerikanischen Gesellschaft."

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