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Gesundheit: Humboldts neues Gesicht

Die Universität wählt mit großer Mehrheit den Theologen Christoph Markschies an ihre Spitze

„Wir sind ja hier nicht bei der SPD“, sagt unmittelbar vor der Präsidentwahl am Dienstag eine Mitarbeiterin der Humboldt–Universität. Nein, mit einem Wahlskandal rechnet man hier nicht. Wirklich nicht? Die Luft im Senatssitzungssaal knistert spürbar, als die Mitglieder des Wahlgremiums der Uni, des Konzils, sich vor den Wahlkabinen aus Sperrholz aufstellen und wie zuletzt bei der Bundestagswahl ihre Personalausweise vorzeigen. War die Humboldt-Universität in der Vergangenheit nicht mehrfach für Überraschungen oder Wackelpartien gut, wenn es um die Wahl ihrer Präsidenten ging? Hans Meyer fiel vor fünf Jahren in allen drei Wahlgängen durch, im Februar dieses Jahres erreichte Jürgen Mlynek, der inzwischen zur Helmholtz-Gemeinschaft gewechselt ist, nur eine knappe Mehrheit, 34 bei 31 nötigen Stimmen.

Bange Minuten vergehen, während die Mitglieder der Wahlkommission die Stimmzettel auswerten. Dann endlich ergreift Richard Schröder, der Konzilsvorsitzende, mit ernster Miene das Wort: Christoph Markschies ist mit großer Mehrheit, mit 47 von 54 Stimmen, gewählt worden. Ein blendendes Ergebnis.

Die allgemeine Erleichterung entlädt sich in stehendem Applaus. Markschies eilt von den hinteren Sitzen des Saals nach vorn, wo Schröder und die Vorsitzende des Kuratoriums, Evelies Mayer, schon die Blumensträuße bereithalten. „Eine ernste, mich bewegende Stunde“ sei dies, sagt der zukünftige Präsident der Humboldt-Universität, bedankt sich „ganz ganz herzlich für Ihr Vertrauen“ und gibt seiner Hoffnung Ausdruck, dass es ihm gelingen werde, auch noch diejenigen zu überzeugen, die nicht für ihn gestimmt haben. Vier ungültige und drei Nein-Stimmen wurden abgegeben.

Das ist nicht viel Widerspruch, schon gar nicht für die Humboldt-Universität, in der man „keine bayerischen Verhältnisse“ gewohnt ist, wie ein Professor sagt. Ob die Skeptiker aus einer bestimmten Statusgruppe kamen? Bei den sonstigen Mitarbeitern habe man sich nicht vorher abgesprochen. „Jeder ist sich selbst verpflichtet“, sagt Andrea Klinke von der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät. Dieter Kolb, der Verwaltungsleiter der Theologischen Fakultät, glaubt, dass man die Nein-Stimmen und Enthaltungen „quer durch alle Gruppen“ suchen muss. Möglicherweise habe es einzelne Konzilsmitglieder gegeben, die schon im Vorfeld konkrete Versprechungen von Markschies erwartet hätten. Oder solche, die unzufrieden waren, weil die Findungskommission der Uni nur einen Kandidaten zur Wahl aufstellte.

Der Vorstand des Konzils wollte nach der monatelangen schwierigen Kandidatensuche noch am Dienstag zu einer Sitzung mit den Mitgliedern der Findungskommission und der Kuratoriumsvorsitzenden Mayer zusammen kommen. Man will die interne Kritik am Findungsverfahren aufarbeiten, die in einem an die Presse lancierten Brief des Dekans der Erziehungswissenschaft gipfelte. Schon zwei Wochen zuvor hatte ein anderer Professor, der sich offenbar vom Findungsprozess ausgeschlossen fühlte, einen Brief an die Dekane der Uni verfasst, wie aus der Hochschule berichtet wird. Solcher Streit soll im Februar bei den Wahlen für die Nachfolge des Vizepräsidenten für Forschung, Hans Jürgen Prömel, vermieden werden.

Auch die meisten Studierenden klatschen begeistert, als Richard Schröder das Wahlergebnis bekannt gibt – anders als bei Markschies’ Vorgänger Jürgen Mlynek. Einige Studentenvertreter bleiben jedoch demonstrativ sitzen, als sich der Rest des Saales zum Applaus erhebt. „Wir wissen, wer nicht für den neuen Präsidenten gestimmt hat“, heißt es von ihnen vielsagend.

Doch öffentlich will sich niemand gegen Markschies stellen. „Wenn wir jetzt auch mal einen Gesprächstermin beim Präsidenten bekommen, ist das schon mehr, als wir bei seinem Vorgänger erreicht haben“, sagt der Geschichtsstudent Ulfert Oldewurtel. Dem Theologiestudenten Jan Bobbe gefällt, dass Markschies auch weiter Vorlesungen halten will. „Er scheint sich für unseren Studienalltag zu interessieren.“ Heike Delling, die Nutztierwissenschaften studiert, lobt die Bereitschaft des neuen Präsidenten und der Vizepräsidentin Susanne Baer, „das Thema Chancengleichheit beim Zugang zu Bildung zu diskutieren“. Debora Gärtner, VWL-Studentin und für die Jusos im Studentenparlament, verteidigt den neuen Präsidenten sogar in Sachen Studiengebühren vorsichtig: „Er hat betont, dass die Gebühren an die Unis fließen und sozialverträglich sein müssen. Und er hat betont, dass er die soziale Abfederung im Moment noch nicht sieht."

„Mit Rebenmesser und Schere“ habe er bislang im Weinberg des Herren gearbeitet, sagte Markschies nach seiner Wahl. „Sie haben mir heute eine Hacke anvertraut.“ Welchen Umgang damit erwarten die Professoren? „Die Fortsetzung unseres Erfolgskurses“, wünscht sich der Germanist Hartmut Böhme, der sich über das „Superergebnis“ für Markschies freut. Außerdem sei nun auf ein besseres Verhältnis zur FU zu hoffen.

Der Herzchirurg Roland Hetzer erreichte das Hauptgebäude zu spät, um seine Stimme abgeben zu können. Doch auch er hätte den Theologen gewählt: „Das ist eine gute Wahl“, sagte Hetzer. „Ich wünsche ihm, dass er seine Kraft und Heiterkeit behält.“ Hetzer ist zufrieden, „dass „die Unklarheiten endlich beseitigt sind“. Auch als Mitglied des Aufsichtsrats der Charité werde sich der Theologe gut machen. Einem Fachfremden werde ein „distanzierterer Blick“ leichter fallen. Das sehe man auch schon an FU-Präsident Lenzen, der Erziehungswissenschaftler ist.

Unterdessen herrscht an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Trauer um einen „echten Verlust“, wie Präsident Dieter Simon kürzlich sagte. Markschies, in dem Simon einen „intelligenten, beredten, tiefgründig gebildeten Menschen“ sieht, hatte sich schon bereit erklärt, Vizepräsident der Akademie zu werden, bevor er auf die Humboldt-Uni umschwenkte.

Dort ist man umso zufriedener, dass Markschies nun auf dem roten Flauschteppich im holzgetäfelten Präsidentenzimmer mit Rotkäppchensekt anstößt: „Auf unsere Humboldt-Universität.“

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