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Gesundheit: Humboldts Schafe

Vor 125 Jahren wurde in Berlin die landwirtschaftliche Hochschule gegründet

Albrecht Daniel Thaer war Arzt, wie sein Vater. Doch der 1752 in Celle geborene Mediziner erkannte bald: Die Verbesserung der Anbaumethoden und damit der Erträge sowie Leistungssteigerung in der Viehhaltung war eine existenzielle Frage für die überwiegend von der Landwirtschaft lebende Bevölkerung. Nur wenn man die wenig effektive Dreifelderwirtschaft überwinden würde, könnten die Bodenerträge gesteigert, Missernten und Hungersnöten vorgebeugt und der Viehbestand erhöht werden.

Noch als Arzt in Celle hatte sich Thaer mit Blumenzucht und Obstanbau befasst. Nach seiner Übersiedlung nach Preußen im Jahr 1804 kaufte der Gelehrte das Gut Möglin bei Wriezen im heutigen Landkreis Märkisch-Oderland. Dort richtete er 1806, als Preußen eine vernichtende Niederlage im Krieg gegen Frankreich hinnehmen musste und in eine tiefe Krise geriet, mit staatlicher Unterstützung eine landwirtschaftliche Lehranstalt ein. In ersten Projekten setzte Thaer seine Erkenntnisse über Fruchtwechsel und Kleeanbau in die Praxis um und befasste sich mit der Sommerstallfütterung des Viehs.

Das 200-jährige Jubiläum der Agrarwissenschaft und zugleich den 125. Jahrestag der Eröffnung der Königlich Landwirtschaftlichen Hochschule als Vorläuferin der landwirtschaftlichen Fakultät der Berliner Universität feiert in den kommenden Wochen die Humboldt-Universität.

Nach der Gründung der Berliner Universität 1810 war Thaer einer ihrer ersten Professoren, verwirklichte die von Humboldt geforderte enge Verbindung zwischen Theorie und Praxis durch Vorlesungen in Berlin im Wintersemester und praktische Ausbildung im Sommersemester in seiner Möglinschen Akademie. Thaers Rat wurde von einfachen Bauern ebenso wie von Gutsbesitzern, von Gelehrten und Politikern eingeholt. Möglin avancierte zum Wallfahrtsort. Da sich Thaer auch mit der Schafzucht beschäftigte, gab man ihm den Spitznamen „Woll-Thaer“ – ein Wortspiel, das sich auf den französischen Aufklärer Voltaire bezieht, der zeitweilig in Sanssouci Gast Friedrichs des Großen war. Theodor Fontane fasste seine Verehrung für den Begründer der Agrarwissenschaft in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ in dem Reim „Ehre deinem Heldentume, / Dreimal Ehre deinem Ruhme, / Aller Taten beste Tat / Ist: Keime pflanzen für den Staat“ zusammen.

Die 1881 gegründete Königlich Landwirtschaftlichen Hochschule stand in der Tradition Thaers, der 1828 starb. Das Doppeljubiläum wird in diesen Tagen unter anderem mit einer Festveranstaltung am 5. Juli im Audimax des HU-Hauptgebäudes gefeiert. Gedacht wird nicht nur Thaers und seiner bahnbrechenden Leistungen, die Fakultät will sich auch kritisch mit der neueren Geschichte der Hochschule auseinander setzen.

In der Nazizeit wurde sie der Berliner Universität angegliedert, jüdische und regimekritische Mitarbeiter mussten gehen. Die landwirtschaftliche Fakultät diente der nationalsozialistischen Geopolitik, arbeitete an Plänen zur Vertreibung der alteingessenen Bevölkerung in den so genannten Ostgebieten und der Ansiedlung deutscher Bauern mit. Nach dem Zweiten Weltkrieg litt die Landwirtschaftliche Fakultät unter der Spaltung der Stadt, erst 1994 wurden der an der TU Berlin (West) angegliederte Fachbereich Internationale Agrarentwicklung und die an der Humboldt-Universität (Ost) arbeitenden Sektionen als Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät unter dem Dach der Humboldt-Universität zu Berlin neu gegründet.

In den vergangenen Jahren hat es Versuche des Landes Berlin gegeben, die Lehr- und Forschungseinrichtung im Zuge der den Berliner Universitäten auferlegten Sparmaßnahmen zu schließen. Sie scheiterten an nationalen und internationalen Protesten. Die dennoch eingeleiteten Stellenstreichungen gelten in der in Berlin-Mitte und in Berlin-Dahlem tätigen Fakultät mit 1400 Studierenden bis heute als „unverantwortlich“.

Das Doppeljubiläum sieht Dekan Otto Kaufmann als Anlass, wieder nach vorne zu blicken: „Von den Veranstaltungen werden neue Impulse für zukunftsorientierte Themen in Lehre und Forschung ausgehen, die einmal mehr die Notwendigkeit und Leistungsfähigkeit dieser Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät in Berlin belegen“, sagt Kaufmann. Landwirte, Gärtner, Fischer und Forstwirte hätten eine immer größere Verantwortung für Erhalt und Gestaltung einer lebenswerten Umwelt. Zweifel am Sinn von landwirtschaftlicher Forschung in einer Großstadt werden in diesen Tagen sicher keine Rolle spielen.

Informationen im Internet:

www.agrar.hu-berlin.de

Helmut Caspar

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