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Gesundheit: Ich bin der beste Koffer

Mit Computer, Wortlernkarten und Morgenkreis: Wie Kinder in Kitas Deutsch lernen

Der Zauberer mit den weißen Haaren hat nichts an, bis auf die Unterhose. So nackt kurz vor dem großen Hexenfest! „Kannst Du mir helfen?“ fragt er. Merve nickt. Die Vierjährige sitzt vor dem Tablet PC und fährt mit einem Stift über den Bildschirm. „Ich brauche die Hose, die auf dem Bett liegt“, sagt der Zauberer im PC. Merve tippt auf die Hose, Sterne explodieren, und schon trägt der alte Mann Beinkleider. „Ich brauche die Handschuhe, die unter dem Tisch liegen“: Tipp, Explosion, Handschuhe an. Am Ende ist der Zauberer ausgehfertig, und Merve hat, ohne es zu merken, deutsche Präpositionen gepaukt.

Mit voller Konzentration spielt das türkische Mädchen auch andere Spiele aus dem „Schlaumäuse“-Programm, sucht Wörter, die mit G oder P anfangen. Ihre Kita in der Bissingzeile in Tiergarten ist eine von vier Berliner Kitas, die für das Programm „Schlaumäuse – Kinder entdecken Sprache" ausgewählt wurden: Sie erhielten Tablet-PCs, Software und Fortbildungen für die Erzieherinnen. Die Initiative von Microsoft und Partnern richtet sich an Kitas in sozialen Brennpunkten: Gerade Kinder, deren Eltern schlecht deutsch sprechen, sollen mit dem Programm Bewusstsein für Sprache und Laute entwickeln – die Grundlage für den späteren Schriftspracherwerb.

Nachdem die „Bärenstark“-Untersuchung gezeigt hat, dass 80 Prozent der nicht-deutschen und 28 der deutschen Vorschulkinder sprachliche Defizite aufweisen, ist offenkundig: Die Hauptaufgabe der „Bildungseinrichtung Kita“ (siehe Kasten) muss darin bestehen, erst einmal die sprachlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass alle Kinder dem Schulunterricht folgen können.

Ein Computerprogramm kann dabei nur ein Element unter vielen sein. Für Rainer Hofmann, den Leiter der Kita in der Bissingzeile, fällt unter „Sprachförderung“ alles, was die Motivation der Kinder zum Lernen der deutschen Sprache stärkt – das kann Theater, Musik oder Sport sein. Ein zentraler Faktor ist für ihn der Kontakt zu den Familien. In Hofmanns Kita sind 86 Prozent der Kinder nicht-deutscher Herkunft, und die Erzieherinnen stellen fest: Wenn in den Familien die Einstellung herrscht, dass die deutsche Sprache wichtig ist, lernen die Kinder besser. „Mit russischen oder vietnamesischen Familien haben wir da weniger Probleme als mit türkischen oder arabischen.“

Die Kita Dresdener Straße am Kottbuser Tor bemüht sich besonders um Kontakt zu türkischen Eltern. Dort gibt es in jeder Gruppe eine türkische Erzieherin, die auch Elternkreise anbietet. „Zum Beispiel gehen wir in eine Stadtbibliothek, damit die Eltern die Scheu davor verlieren“, erzählt Hülya Kayalar. Beim Morgenkreis sagt jedes Kind in seiner Herkunftssprache „Guten Morgen“, so dass am Ende der Kitazeit auch die deutschen Kinder ein paar Brocken Türkisch beherrschen. „Dadurch fühlen sich die Kinder mit ihrer Herkunftskultur angenommen und sind offener für das Deutsche“, sagt Kita-Leiterin Gerda Wunschel.

Seit September ist ein neues Instrument der Sprachförderung in über 500 Berliner Kitas mit hohem Ausländeranteil im Einsatz: der Sprachförderkoffer. Der orangefarbene Koffer, den das Berliner Institut für kreative Sprachförderung und interkulturelle Kommunikation für rund 100 000 Euro entwickelte, enthält neben einem Handbuch zur Sprachentwicklung rund 140 Wortlernkarten aus allen Lebensbereichen, von „Zoo“ bis „Zeit“. Auf der Wortlernkarte „Affe“ etwa sind drei Schimpansen abgebildet, und auf der Rückseite stehen jeweils 15 bis 30 Substantive („Äffin, Junges, Familie, Horde, Fell, Gesicht, Gorilla, Obst, Gehege, Dschungel"), Verben („klettern, springen, hängen, sich hangeln, saugen, stillen") und Adjektive („gelenkig, freundlich, jung, frech, dreist"). Sie umreißen den aktiven Wortschatz, über den ein Kind bei Schuleintritt verfügen sollte. „Oft genug ist dieser Wortschatz aber nicht mal passiv vorhanden“, sagt Regine Leue vom Institut für kreative Sprachförderung.

Die Karten sollen als Sprechanlässe und als Anregung für Projekte dienen: Mit den „Obst“-Karten etwa kann eine Erzieherin einen Besuch auf dem Markt vorbereiten, samt anschließendem Apfel-Schmecken und Kuchenbacken. Dass sie alle Handlungen intensiv „sprachlich begleitet“, also stets erklärt, was sie tut und warum, wünschen sich die Autoren des Koffers sowieso. Und: Sie sollte einige „Brückensätze“ in den häufigsten Migrantensprachen lernen, die in den Karten enthalten sind.

Nach dem Willen des Senats sollten Erzieherinnen außerdem künftig in „Sprachlerntagebüchern“ dokumentieren, wie sich ein Kind entwickelt: Gebraucht es die Präpositionen richtig? Benutzt es die richtigen Artikel? Kann es komplexe Sätze bilden? Kita-Leiter Rainer Hofmann ist allerdings skeptisch, ob die Erzieherinnen dafür Zeit finden werden.

Das ist genau der Punkt, den Merves Erzieherin Susanne Albrecht für den wichtigsten hält: „Erzieherinnen brauchen mehr Zeit, um mit den einzelnen Kindern zu reden. Das heißt auch: kleinere Gruppen. Dann kommen Tischgespräche auf!“ Gutes Material sei hilfreich, aber entscheidend sei die Zuwendung und die Kompetenz der Erzieherin. In sie sollte viel mehr investiert werden. Denn: „Ich bin der beste Sprachförderkoffer!“

Bereits erschienen: Das Berliner Bildungsprogramm (30.10.), Frühe Fremdsprachen (11. 11.). Als Nächstes: Naturwissenschaften.

Mehr Informationen im Internet unter www.schlaumaeuse.de und www.sprachfoerderkoffer.de

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