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Gesundheit: Ich brauche das: Jost Müller-Neuhof bleibt der guten alten Stulle treu

Früher war mir die Stulle fremd. Milde gesagt.

Früher war mir die Stulle fremd. Milde gesagt. Die ungezählten Leberwurststullen im Klassenzimmer hängen mir noch heute in der Nase. Leberwurststullenverzehr in Klassenzimmern sollte verboten werden. Genau übrigens wie Döner in der U-Bahn. Aber alle anderen Stullen sind okay. Das ist keine Frage des Geschmacks. Stullen können mehr als schmecken. Sie machen einen frei. Statt sich in der Schlange vor dem Stammessen III einzureihen, statt in der Kantine mit den Kollegen reden zu müssen oder sich im Imbiss die Klamotten vollzustinken bleibt man locker wie ein Dieselfahrer mit Reservekanistern. Fertig belegte Brote kamen für mich nie in Frage. Schon wegen der Dekoration. Tomaten: Matschen. Halbe Radieschen? Plumpsen immer herunter. Und Petersilie kitzelt in der Nase. Stulle aber heißt, Deckel drauf und Frieden.

Natürlich habe ich auch hygienische Einwände. Professionelles Brotemachen ist bei uns nicht so perfekt wie in den USA. Hier fingern die Brotemacher im Kochschinken herum, kassieren und fingern weiter. In meiner Stulle fingert nur einer. Das bin ich selbst. Stullenmachen und Stullenessen ist etwas sehr Intimes. Man sollte nicht den Fehler machen, dieses Erlebnis zu teilen. Es gibt liebenswerte, aber naive Stullenesser, die Hungrigen mal ein Stück anbieten. Das wird zwar freundlich abgelehnt. Aber der Stullenfreund erntet dazu einen Blick, als hätte er sein Brot vorher unter die Achseln geklemmt. Nein, besser man genießt allein.

Erst spät habe ich auch die politische Sprengkraft der Stulle erkannt. Die Stulle als proletarisches Fanal. Mittags rufe ich: Geht nur, geht zu euren Rucolatellern, kauft euch Thunfisch-Wraps, badet in Balsamico und lasst euch von hochnäsigen Kellnern demütigen. Meine Stulle wird bleiben, wenn der letzte Manchego gegessen, der letzte Tropfen Olivenöl im Ciabatta vertrocknet ist.

Dabei sind wir Stullenesser an sich eher unpolitische Typen. Bei uns gibt es keine Fraktionen. Jeder hat stille Vorlieben. Wenn ich aber ehrlich bin: Eine Stulle ohne eine Tonne Senf und frische Paprika ist keine Stulle. Und wer seine Stulle nicht in einer von diesen superhandlichen Tupperdosen mit abgerundeten Kanten trägt, ist eigentlich auch kein richtiger Stullenkenner. Überhaupt, Tupperdosen. Einfach unentbehrlich. Die brauche ich auch.

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