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Gesundheit: „Ich war ein Macho-Idiot“

Carl Djerassi hat die Pille erfunden. In seinem neuen Theaterstück prangert er das Konkurrenzdenken von Wissenschaftlern an

CARL DJERASSI (80)

Der gebürtige Wiener emigrierte 1938 in die USA. Er wurde ein

erfolgreicher Chemiker und Schriftsteller.

Foto: dpa

Ihr neues Theaterstück „Kalkül“ wurde jetzt im überfüllten Leibniz-Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften am Gendarmenmarkt als szenische Lesung aufgeführt. Was hat Sie an diesem Veranstaltungsort gereizt?

Es geht um einen Streit zwischen Isaac Newton und Gottfried Wilhelm Leibniz, wer eigentlich die Differentialrechnung entdeckt habe. Leibniz war erster Präsident der 1700 gegründeten Preußischen Akademie der Wissenschaften. Die Aufführung an diesem Ort ist also voller historischer Bezüge.

Was ist an der Kontroverse zwischen zwei berühmten Wissenschaftlern so interessant?

Es handelt sich um eine der heftigsten Auseinandersetzungen in der Wissenschaftsgeschichte. Sie dauerte an die 30 Jahre. Im Mittelpunkt meines Stückes steht aber nicht die Mathematik, sondern ein moralisches „Kalkül“. Man lernt, dass sich auch die größten Wissenschaftler ganz fürchterlich benehmen können – selbst Newton, der hoch geachtete Präsident der Royal Society, der die Gesetze der Schwerkraft und der Himmelsmechanik entdeckte.

Was hat Newton denn verbrochen?

Newton installiert bei der Royal Society eine Kommission, die den Streit entscheiden soll. Die von ihm selbst ernannten Mitglieder bleiben fast 100 Jahre lang anonym. Es bleibt auch geheim, dass Newton selbst das Gutachten der Kommission formuliert hat, in dem Leibniz als Plagiator bezeichnet wird. Leibniz, der auswärtiges Mitglied der Royal Society ist, wird nicht einmal angehört.

Kennen Sie solche Konkurrenzkämpfe auch aus Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn?

In diesem Ausmaß nicht. Ein Verhalten wie das von Newton würde heute fast ins Gefängnis führen. Der Prioritätenstreit war vor 300 Jahren sicher schlimmer als heute, weil die Wissenschaftler damals alleine gearbeitet haben. Heute gibt fast immer Teamarbeit, Ergebnisse werden sofort publiziert.

Und was ist mit dem Streit zwischen dem Franzosen Luc Montaigner und dem Amerikaner Robert Gallo, wer als Erster den Aids-Erreger entdeckt habe?

Es gibt in der Tat auch heute noch unter Naturwissenschaftlern ein unglaubliches Konkurrenzdenken. Ich komme ja aus dieser Kultur. Diesen Charakterfehler haben wir alle.

Mit solchen Feststellungen machen Sie sich wahrscheinlich nicht beliebt in der Wissenschaftsszene.

Tatsächlich werfen mir viele meiner Kollegen vor, ich würde in der Öffentlichkeit schmutzige Wäsche waschen. Ich finde es aber gut, auf der Bühne zu zeigen, dass Wissenschaftler nicht ideal sind. Nur wenn die Akteure in den weißen Kitteln wissen, dass ihr Verhalten öffentlich werden kann, besteht eine realistische Chance auf Änderung.

Sind Sie selbst schon geläutert? Sie haben als Wissenschaftler viel erreicht, sind als „Vater der Pille“ hoch angesehen, lehren auch 80-jährig noch in Stanford, an einer der besten Universitäten der Welt.

Es wäre eine große Lüge zu sagen, ich würde nicht mehr konkurrieren. Ich bin immer noch sehr ehrgeizig, wenn auch in einer anderen Richtung. Ich bin jetzt Schriftsteller, doch dabei geht es überhaupt nicht darum, der Erste zu sein.

In den Naturwissenschaften schon.

Aber die Naturwissenschaftler sind sich nicht bewusst, dass Erfindungen ohnehin gemacht werden, wenn die Zeit gekommen ist. Die Pille wäre auch ohne mich erfunden worden. Auch die Relativitätstheorie wäre entdeckt worden, wenn es Einstein nicht gegeben hätte. Aber Faust wäre ohne Goethe nicht geschrieben worden, auch Hamlet gäbe es ohne Shakespeare nicht.

Zählen Sie sich bei der Literatur auch zur Elite?

Ich möchte es sein, glaube aber nicht, dass ich es schon bin. Ich bin, was das Schreiben betrifft, noch ein junger Mann. Ich habe erst vor 16, 17 Jahren damit angefangen.

Was hat Sie dazu getrieben? Es wird erzählt, Sie wollten Ihrer Freundin, die sich von Ihnen getrennt hatte, zeigen, dass Sie Bücher schreiben können.

Das stimmt. Heute ist sie meine Frau. Sie ist Professorin für Literatur und hatte sich damals in einen andern verliebt. Ich habe eine Art Schlüsselroman geschrieben und ihr das Manuskript geschickt. Sie war überrascht, dass ich so gut schreiben konnte. Als sie zu mir zurückkam, musste ich versprechen, dass ich das Buch nie veröffentliche.

Haben Sie sich daran gehalten?

Ich war zwar, als ich mich mit dem Buch revanchieren wollte, auf dumme Art männlich, ein richtiger Macho-Idiot. Dennoch habe ich das Buch nie veröffentlich, wenn ich auch Teile davon auf andere Bücher und Theaterstücke verteilt habe.

Was motiviert Sie heute zum Schreiben?

Ich möchte die Wissenschaft in den Kopf der Menschen schmuggeln. Es ist allerdings schwer, mit wissenschaftlichen Themen beim Theater zu überzeugen. Michael Frayns Erfolg mit „Kopenhagen“…

….bei dem es – vor dem Hintergrund der Atombombenforschung in Nazideutschland – um einen Besuch Heisenbergs bei Bohr in Kopenhagen geht…

… ist eine Ausnahme. Die meisten Theater, vor allem die deutschen, haben Angst vor Wissenschaftsthemen, es sei denn, es handelt sich um Klassiker wie Brechts „Galileo“ oder Dürrenmatts „Physiker“.

In ihrem 1996 erschienenen Buch „NO“ beschreiben Sie die Funktion von Stickoxid, einem Molekül, das auch bei der Erektion eine bedeutende Rolle spielt. Mittlerweile gibt es eine Reihe effektiv wirkender Potenzpillen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Als Therapie für Männer, die organisch krank sind, begrüße ich sie. Wenn etwa Diabetes, Krebs oder Prostataleiden im Spiel sind. Das ist aber nicht der Riesenmarkt, den die Hersteller anpeilen. Das große Geschäft winkt bei der Vermarktung als Lifestyle-Präparat. Der Fokus ist dabei auf die schnelle, einfache Befriedigung des Mannes gerichtet. Der Liebesakt zwischen Frau und Mann ist aber kein sportlicher Wettbewerb nach dem Motto: stärker, länger, öfter.

Sie haben mit der Synthese des Hormons Gestagen die orale Empfängnisverhütung für Frauen möglich gemacht. Das ist jetzt gut 52 Jahre her. Warum gibt es noch keine Pille für den Mann?

Es wird auf absehbare Zeit keine Verhütungspille für den Mann geben. Ich finde es gut, dass sich jetzt Schering und Organon auf diesem Gebiet engagieren. Doch keine der 20 größten Pharmafirmen arbeitet daran – ganz im Gegensatz zu den Verhältnissen bei den Potenzpillen.

Was ist der Grund?

Wissenschaftlich ist die Frage längst gelöst. Seit den 70er Jahren wird immer wieder angekündigt, es werde die Pille für den Mann innerhalb von fünf Jahren geben, doch das war immer Fehlanzeige. Man weiß eben nicht, ob es nicht in 20 oder 30 Jahren Nebenwirkungen geben wird. Dazu müsste man lang dauernde klinische Studien machen.

Man muss eben einmal damit anfangen.

Dann bleibt immer noch die Furcht vor der Klage. In den USA gibt es Heerscharen von Anwälten. Die warten nur darauf, dass Männer bei Potenzschwierigkeiten die Pille dafür verantwortlich machen und die Hersteller verklagen.

Sehen Sie die Sache nicht zu düster?

Ich würde mich freuen, wenn ich in diesem Fall falsch liege. Aber ich glaube es nicht. Ich bin Pessimist.

Das Gespräch führte Paul Janositz.

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