zum Hauptinhalt

Gesundheit: Ihr hochnäsigen Akademiker!

Von George Turner, Wissenschaftssenator a.D.

Man nennt das Akademikerdünkel, ein leichtes „Sich mokieren“ über Menschen, die ohne akademische Ausbildung an Dingen teilhaben, von denen manche glauben, sie seien ein Privileg für Hochschulabsolventen. Jüngstes Beispiel ist der Erfolgstrainer Otto Rehagel. In keiner Personenbeschreibung wird vergessen, dass er „Anstreicher“ gewesen ist. Mit süffisantem Unterton werden seine Interessen an Literatur und Musik, seine Freundschaften zu namhaften Künstlern aufgeführt. Was soll das Erstaunen?

Viele der Hochschulzugangsberechtigten von heute wären dies nicht, wenn es keinen Ausbau der höheren Schulen gegeben hätte. Derzeitig erwerben 38 Prozent die Berechtigung zum Studium; zu der Zeit, als die heute 65Jährigen sich in entsprechendem Alter befanden (zu denen gehört der eingangs Erwähnte), waren es fünf Prozent.

Wenn die Bildungsexpansion früher stattgefunden hätte, wäre manch einer aus jener Generation Abiturient geworden. Ist es deshalb nicht viel beachtlicher, wenn jemand, der nicht das Privileg hatte, durch eine weiterführende Schule auch an künstlerischen Fächern teilzuhaben, von sich aus Interesse daran entwickelt?

Der hier aufgespießte Fall ist nur ein Beispiel für das abgehobene und elitäre, im Grunde arrogante Denken vieler Akademiker. Das fängt damit an, dass man meint, der Staat habe für jeden, der die formale Voraussetzung mitbringt, auch einen Studienplatz bereitzustellen – im Rahmen der beruflichen Ausbildung gibt es keinen einklagbaren Anspruch auf eine Lehrstelle. Das setzt sich fort bei der Weigerung, Studiengebühren zu leisten, während der Besuch von Kindergärten Geld kostet. Schließlich gipfelt es in der Forderung, für Hochschulabsolventen seien adäquat dotierte Stellen vorzuhalten, während jeder Azubi nach Beendigung der Ausbildung sich dem freien Markt gegenüber sieht.

Solche Haltungen mögen damit zusammenhängen, dass immer wieder betont wird, wie wichtig es ist, dass viele junge Menschen qualifizierte Berufe ergreifen und die Zahl der Studierenden noch zu steigern sei. Dabei bleibt außer Acht, dass es gleichwohl ein Privileg ist, ein Studium absolvieren zu können. Abgesehen von den in der Regel besseren Berufschancen, darf schließlich der persönliche Gewinn nicht übersehen werden, nämlich dass man sich mit Literatur oder Kunst beschäftigen kann, auch wenn sie neben dem fachlichen liegen. Wenn dies jemand tut, ohne die Anregungen einer höheren Schulbildung genossen zu haben, ist das höchst anerkennenswert. Zu abwertenden Bemerkungen besteht kein Anlass. Im Gegenteil.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false