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Gesundheit: Im Dauertest

Bildungsstandards, Bildungsberichte: Wie Deutschlands Schulen jetzt systematisch geprüft werden

Wie leistungsfähig ist das deutsche Bildungssystem? Nach dem Pisa-Schock von 2001 beschlossen die deutschen Länder, die Defizite vor allem in den Schulen konsequent aufzudecken – und zu beheben. Jetzt legte die Konferenz der Kultusminister (KMK) bei ihrer Sitzung in Plön eine Gesamtkonzeption für ein umfassendes „Bildungsmonitoring“ vor. Mit vier Instrumenten wollen Bund und Länder künftig die Entwicklung des Bildungssystems beobachten: Deutschland nimmt weiter an internationalen Schulleistungsuntersuchungen wie Pisa teil. Die Umsetzung der für alle wichtigen Fächer eingeführten Bildungsstandards soll alle fünf Jahre mit bundesweiten Tests überprüft werden. Die Leistungsfähigkeit einzelner Schulen soll mit Vergleichsarbeiten getestet werden. Und alle zwei Jahre wollen die Konferenz der Kultusminister (KMK) und das Bundesbildungsministerium einen nationalen Bildungsbericht vorlegen. Der Schlüssel für eine gemeinsame und verbindliche Beurteilung der Schülerleistungen sind die Bildungsstandards.

BILDUNGSSTANDARDS

Wenn es um Schulvergleiche zwischen den deutschen Ländern ging, war die Öffentlichkeit bisher auf spezielle Pisa-Auswertungen (Pisa-E) angewiesen. Auf Pisa-E wollen die Politiker verzichten, weil inzwischen in Deutschland ein neues Instrumentarium für Tests entwickelt worden ist: Es gibt jetzt Bildungsstandards für alle wichtigen Fächer, bezogen auf den Primarbereich (Klasse 4), den mittleren Schulabschluss und den Hauptschulabschluss.

Bildungsstandards beschreiben, welche fachlichen Kompetenzen die Schüler bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erworben haben sollen. Festgelegt sind erwartete Leistungen auf einem mittleren Anforderungsniveau, für die es jeweils eine Reihe von Aufgabenbeispielen gibt.

Diese Bildungsstandards werden künftig über Tests alle fünf Jahre in den 16 deutschen Ländern überprüft, und zwar in den Klassen drei (Primarbereich), acht (vor dem Hauptschulabschluss) und neun (vor dem mittleren Abschluss). Im Grundschulbereich werden erstmals 2011 die Leistungen in Deutsch und Mathematik getestet. Im Sekundarbereich I wird erstmalig 2009 in Deutsch, Englisch und Französisch getestet, erste Tests in Mathematik, Biologie, Chemie und Physik folgen 2012. Koordiniert und ausgewertet werden die Tests am Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) an der Humboldt-Uni.

Kompetenzstufen ergänzen die Bildungsstandards. Mit diesen neuen Methoden wird die Bildungsberichterstattung aussagekräftiger, als es eine Analyse der klassischen Schulnoten erlaubt. Denn während die Noten von Klasse zu Klasse und Schule zu Schule differieren, sichern Bildungsstandards und Kompetenzstufen einen fairen Vergleich unter den 16 Ländern. Das Material für mehr als kosmetische Reformen ist damit vorhanden.

BILDUNGSBERICHTE

Bildungsberichte unterscheiden sich von Untersuchungen der OECD, in denen wie bei Pisa die 15-Jährigen getestet werden, dadurch, dass sie die Bildung im Lebensverlauf von der Geburt bis ins hohe Alter im Blick haben.

Im Mittelpunkt des ersten gemeinsamen Bildungsberichts der deutschen Länder (einen Probebericht gab es 2003) stehen die Bildungschancen von Migranten im Bildungswesen. Dafür haben die Bildungsforscher bisher noch nicht bekannte Daten aus dem Mikrozensus ausgewertet. Der dadurch gewonnene Tiefenblick über die Staatsbürgerschaft hinaus auf mehrere Generationen bis zurück zu den Großeltern fördert überraschende Erkenntnisse zutage.

Der Anteil der Bürger mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung erreicht 18,6 Prozent und ist damit „mehr als doppelt so hoch wie nach den bisherigen Messverfahren mit Hilfe des Ausländerkonzepts“. Damit ist noch klarer als zuvor: Das Schicksal der jungen Migranten wird die Zukunft Deutschlands mitentscheiden. Nicht nur eine intensivere Sprachförderung ist gefragt. Damit die berufliche Integration gelingt, muss auch die Kultur- und Wirtschaftspolitik mit ins Boot geholt werden. Das hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel für den angekündigten Integrationsgipfel vorgenommen, erklärte Staatssekretär Michael Thielen vom Bundeswissenschaftsministerium in Plön.

Warum? Eine Gruppe, die besonders gefördert werden muss, sind die jungen Migrantinnen: In der Altersgruppe von 20 bis 26 Jahren liegt die Quote der deutschen Frauen, die nicht als Erwerbspersonen anzusehen sind, bei unter zehn Prozent. Bei jungen Türkinnen dagegen ist der Anteil mit 37 Prozent dramatisch hoch. Junge türkische Frauen werden vielfach ausschließlich auf ihre Rolle als Mutter und Hausfrau beschränkt, ihnen werden eine Ausbildung und Berufstätigkeit verweigert. Soll sich das ändern, müsse auch in der Kultur- und Gesellschaftspolitik angesetzt werden, hieß es in Plön. Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Ute Erdsiek-Rave, betonte, Deutschland brauche jede Begabung und Intelligenz.

Der nationale Bildungsbericht offenbart noch eine weitere Baustelle in der Integrationspolitik: Migrantenkinder werden schon in der Grundschulzeit nicht immer gerecht beurteilt. „Schüler mit Migrationshintergrund erhalten in der Grundschule bei derselben Leistung etwas schlechtere Noten als ihre Mitschüler. Unterschiedliche Chancen für eine Gymnasialempfehlung sind die Folge.“

Der Bildungsbericht untermauert lokale Erkenntnisse aus dem Alltag: In Schulen mit einem hohen Migrantenanteil konzentrieren sich inzwischen vor allem jene Jugendlichen, die zu Hause kein Deutsch sprechen und sich auch mit ihren Freunden meistens in ihrer Herkunftssprache verständigen. Ausländische Jugendliche dagegen, die Schulen mit einem niedrigen Migrantenanteil bevorzugen, sprechen mit Freuden und Eltern überwiegend Deutsch.

Der Bildungsbericht hat auch die allgemeine Bevölkerungsentwicklung im Blick: Das Alter der Eltern bei der Geburt des ersten Kindes nimmt immer mehr zu. Es gibt eine wachsende Zahl Alleinerziehender, die Zahl der Geschwister geht zurück und die Erwerbstätigkeit der Mütter verbreitet sich immer mehr. Bereits diese Rahmenbedingungen veranlassen die Wissenschaftler, den Bildungspolitikern erweiterte Ganztagsangebote von den Krippenplätzen bis zu den Ganztagsschulen zu empfehlen.

Nach wie vor bleiben Kindergarten und Kinderkrippe ein Problem. Trotz des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz gibt es deutliche Unterschiede zwischen Ost und West. Im Krippenalter liegen die neuen Länder vorn: Für ein Drittel der Kleinkinder werden dort Krippenplätze angeboten, in den alten Ländern nur für knapp drei Prozent. Der Kindergarten wird von den Ostdeutschen früher in Anspruch genommen als von den Westdeutschen: Im Osten gehen bereits 83 Prozent der Dreijährigen in den Kindergarten, im Westen beginnt der Kindergartenbesuch in den meisten Fällen erst mit vier Jahren.

Die Durchlässigkeit zwischen den Schularten ist ein Anliegen, das sich Befürworter des dreigliedrigen Schulsystems auf die Fahnen geschrieben haben. Gedacht wird dabei an Aufsteiger. In Wirklichkeit dominieren jedoch die Absteiger: Von 80 000 Schulwechslern in den Jahren 2004/05 wechselten 60 Prozent vom Gymnasium auf die Realschule oder von der Realschule auf die Hauptschule, und nur 20 Prozent waren Aufsteiger. 253 000 von 9 Millionen Schülern bleiben sitzen, 82 212 erreichen noch nicht einmal den Hauptschulabschluss – das sind 8,5 Prozent.

Viele Schüler, die den Abschluss gerade noch schaffen, erreichen in Wirklichkeit nur ein sehr niedriges Kompetenzniveau. Kein Wunder, dass der Bildungsbericht Hoffnungen auf die Ganztagsschule setzt. Die Schüler sollen bis zum Nachmittag nicht nur ihre Basiskompetenzen verbessern, sondern auch an ein Engagement in Vereinen, Kirchen, sozialen Diensten herangeführt werden. So könnten sie ein anderes Interesse an Kultur gewinnen, als wenn sie ihre Freizeit vor dem Fernseher oder bei Computerspielen vergeudeten.

Uwe Schlicht

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