zum Hauptinhalt

Gesundheit: Im Kreis der Sonnenanbeter

Reise in die Steinzeit: In Sachsen-Anhalt wurde der älteste Sternenkalender der Welt rekonstruiert

Jedes Jahr kurz vor Weihnachten versammeln sich Archäologen und Schaulustige auf einem Schlammplatz, der von einem Wall, einem Graben und zwei Palisadenreihen umgeben ist. Sie stehen in einer Rekonstruktion des ältesten sicher datierten Sonnenobservatoriums der Welt – bei Goseck in Sachsen-Anhalt.

Die Kreisgrabenanlage wurde von Menschen der Jungsteinzeit errichtet, die hier vor 6900 Jahren gelebt haben. Die Überreste des Bauwerks, die 1991 zufällig bei einem Erkundungsflug von dem Luftbildarchäologen Otto Braasch entdeckt wurden, sind demnach deutlich älter als der Steinkreis von Stonehenge (England) oder die handliche Himmelsscheibe von Nebra, deren Fundort nur etwa 20 Kilometer von Goseck entfernt liegt.

2002 begann man die Überreste auszugraben; im Januar 2005 fing ein zehnköpfiges Team aus ABM-Kräften an, die ursprünglichen Holzaufbauten zu rekonstruieren. In knapp sieben Monaten befreiten sie 1675 Eichenstämme von der Rinde und konservierten sie am Fuß mit Buchenholzteer. An der Spitze wurden die Stämme mit für die Steinzeit typischen Beilen (Dechseln) und Meißeln (Stechbeiteln) bearbeitet und mit handgedrehten Hanfseilen festgezurrt. Um die 2,5 Meter hohen Palisaden zieht sich nun ein etwa 230 Meter langer, vier Meter breiter und 1,5 Meter tiefer Kreisgraben. Drei Erdbrücken mit entsprechenden Durchgängen im Palisadenzaun („Tore“) ermöglichen im Norden, Südwesten und Südosten einen bequemen Zugang zur Anlage. „Den Besuchern verfärbte Erde zu zeigen, reicht nicht aus“, sagte Landrat Rüdiger Erben bei der Eröffnung der rekonstruierten Anlage am 21. Dezember 2005. Gewiss, der erste Wiederaufbau einer Kreisgrabenanlage am historischen Ort beeindruckt durch seine schiere Größe. Doch wozu diente sie? Was veranlasste Menschen vor fast 7000 Jahren, einen derartigen Monumentalbau mit einem Durchmesser von rund 75 Metern zu errichten? Einen Viehkral, Markt- oder Richtplatz hätten sie auch mit weniger Aufwand bauen können, und eine Fluchtburg mit drei Toren macht wenig Sinn. Bleibt noch die Funktion als Kultplatz. Immerhin zeigt die Anlage eindeutig kosmische Bezüge. Astronomie und Religion gehörten in der Steinzeit noch zusammen.

Eines der Tore weist ungefähr nach Norden. Stellt man sich in die Mitte der fast kreisrunden Anlage, geht die Sonne am 21. Dezember genau im südöstlichen Tor auf. Am Abend der Wintersonnenwende verschwindet sie im Südwesttor. Oder sagen wir besser, sie verschwand. Denn die Berechnungen des Astronomen Wolfhard Schlosser gelten für die Zeit zwischen 4700 und 4900 vor Christus. Schlosser fand zudem heraus, dass die Anlage noch drei weitere paarige Durchblicke auf den Horizont gestattet, die auf einer Nord-Süd-Achse liegen. So lassen zwei Öffnungen die Beobachtung der Sommersonnenwende am 21. Juni zu – zwei andere den Sonnenauf- und -untergang am 29. April, dem ungefähren Zeitpunkt des keltischen Beltaine-Festes. Trotz dieser Kalenderbezüge verwendet Schlosser den Begriff Sonnenobservatorium nur ungern. „Zum Anpeilen genügen zwei Stöcke im Boden, dazu muss man nicht Hunderte von Pfählen in den Boden rammen“, sagt er. Vermutlich war die Anlage ein Sakralbau, der in enger Beziehung zu markanten Terminen des Sonnenjahres stand. Denn die ersten Bauern Mitteldeutschlands brauchten einen Kalender, der Aussaat und Ernte vorschrieb.

Goseck kann daher kein Einzelfall sein. Seit 1885 im böhmischen Kfipy die erste Kreisgrabenanlage entdeckt wurde, haben Forscher knapp 200 weitere Rondelle in Mitteleuropa gefunden, in jüngster Zeit vor allem mit Hilfe der Luftbildarchäologie und geophysikalischer Bodenmessungen. Die Anlagen wurden im frühen fünften Jahrtausend vor Christus von Menschen aus bäuerlichen Kulturen erbaut. Besonders zahlreich sind sie in Niederösterreich, Niederbayern, der Slowakei, Tschechien und Mitteldeutschland.

Diese kulturübergreifende „Kreisgrabenidee“ zeigt sich nur selten in mathematisch exakten Kreisen. Häufiger anzutreffen sind gestaucht kreisförmige bis elliptische Grabenanlagen und Palisadenreihen. Alle umschließen ein freies, unbesiedeltes Zentrum. Charakteristisch sind zwei bis vier Durchlässe, die oft einen astronomischen Zweck erkennen lassen. In der Nähe konnten Archäologen meist eine kleine Siedlung nachweisen.

Digitale Geländemodelle und Himmelsprojektionen lassen uns heute fast 7000 Jahre in die Vergangenheit blicken. Damals konnte man zum Beispiel über das Nord-, Süd- beziehungsweise Osttor der Kreisgrabenanlage von Immendorf (Niederösterreich) den Aufgang des Sterns Deneb, den Untergang des Rigel und den Aufgang der Plejaden beobachten. Auch diese feststehenden Himmelsereignisse erlauben eine Einteilung des Jahreslaufs.

Die bedeutendsten Termine waren zweifellos die Winter- und Sommersonnenwenden und die Tag- und Nachtgleichen (21. März und 23. September). Betrachtet man die Sonnenwenden als Höhepunkte der kalten und warmen Jahreszeit, dann folgt daraus ein Kalender, in dem der Winter von Anfang November bis Anfang Februar, der Sommer von Anfang Mai bis Anfang August dauert. Das Wort „Mittsommer“ könnte ein Relikt dieser Einteilung sein. Und es ist wohl kein Zufall, dass die keltischen Feste Samhain (um den 31. Oktober), Imbolg (etwa am 2. Februar) und Beltaine (um den 30. April) zeitlich ungefähr mit den heutigen Festtagen Halloween, Allerheiligen und Allerseelen, Mariä Lichtmess, der Walpurgisnacht und dem 1. Mai zusammenfallen und den Daten der für die Jungsteinzeit vermuteten Jahreseinteilung entsprechen.

Ob solche Feste auch in Goseck gefeiert wurden, wissen wir nicht. Allerdings fand man Gruben mit Brandspuren, die als Opfergruben interpretiert werden können. Zwei davon enthielten menschliche Skelettteile in unnatürlicher Anordnung. Unter den Haustierfunden dominieren Rinderknochen. Aus diesen Befunden allerdings gleich einen jungsteinzeitlichen Ritualopferkalender abzuleiten, geht wohl zu weit. Vermutlich werden wir nie dahinterkommen, was unsere Vorfahren hinter dem Palisadenzaun getrieben haben. Aber darin liegt ja gerade der Reiz archäologischer Forschung.

Am 21. Dezember 2006 finden im Sonnenobservatorium Goseck ab 14 Uhr (bis Sonnenuntergang) archäologische Führungen statt. Um 18 Uhr gibt es einen Fackelumzug, danach ein Feuerspektakel. Weitere Informationen im Internet unter www.gosecker-sonnenobservatorium.de oder telefonisch unter 03443/284489.

Am 13. Dezember 2006 findet im Planetarium am Insulaner (Munsterdamm 90, 12169 Berlin) ein Vortrag von Prof. Dr. Wolfhard Schlosser zum Thema "Astronomie der Kreisgrabenanlage von Goseck und der Himmelsscheibe von Nebra" statt. Die Veranstaltung beginnt um 20 Uhr.

Mathias Orgeldinger

Zur Startseite