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Gesundheit: Instabilität: Dem Kilo gehen die Gramm verloren

Die Ewigkeit dauerte nur 111 Jahre. Als die französischen Techniker im Jahr 1889 mehrere Prototypen für das Ur-Kilo gossen, galten sie als unerreichbare Meister.

Die Ewigkeit dauerte nur 111 Jahre. Als die französischen Techniker im Jahr 1889 mehrere Prototypen für das Ur-Kilo gossen, galten sie als unerreichbare Meister. Ihre 42 Massestücke aus einer Platin-Iridium-Legierung waren fast identisch. Sie unterschieden sich höchstens um ein Milligramm. 30 Prototypen wurden unter den Mitgliedsstaaten der Meterkonvention verlost, die sich 1875 zusammengefunden hatten, um das metrische System der wichtigsten physikalischen Basiseinheiten zu gründen.

Heute schmunzeln die Wissenschaftler ob dieser Grobschlächtigkeit. Doch nach wie vor gilt der unverwüstliche Metallklotz als Vorbild für alle Waagen. Das weltweit maßgebende Ur-Kilo liegt unter einer dreifachen Glasglocke in einem Stahlschrank, rund 15 Meter tief im Internationalen Büro der Meterkonvention (BIPM) in Sèvres bei Paris.

Bei Vergleichen mit anderen, nationalen Prototypen kam jedoch ans Licht, dass ihre Massen jährlich rund ein halbes millionstel Milligramm auseinander treiben. Obwohl unklar ist, welche der Massestücke sich verändern, keimte der Verdacht, dass der französische Prototyp nicht stabil ist. Wie die "Physikalischen Blätter" (Ausgabe 1/2001) berichten, suchen etliche Forscherteams inzwischen nach Methoden, das Kilo auf eine unveränderliche Naturkonstante zurückzuführen.

Auch für den alten Metallbrocken bricht damit die Moderne an. Physiker aus England, den USA und der Schweiz favorisieren ein Verfahren, dass der Wissenschaftler Bryan Kibble schon 1976 vorgeschlagen hatte: die Watt-Waage.

Bei der Watt-Waage wird ein Gewicht von der elektromagnetischen Kraft zwischen zwei Spulen gehalten. Bei der Auswertung ihrer Experimente bedienten sich die Wissenschaftler verschiedener quantenmechanischer Effekte, so dass sich das Gewicht und damit die Masse letztlich auf eine universelle Naturkonstante zurückführen ließ: das von Max Planck in die Quantenphysik eingeführte Wirkungsquantum.

Ein kleiner Schönheitsfehler der Methode: Das Gewicht entsteht durch mehrere Massestücke, die zuvor genau ausgewogen werden müssen. Alle konventionellen Waagen sind aber durch die eingangs erwähnten Prototypen aus Platin und Iridium geeicht. Deshalb eignet sich die Watt-Waage lediglich dazu, bei wiederholten Messungen festzustellen, wie sich das Gewicht dieser Massen oder des Ur-Kilos verändert. Im Falle der Neudefinition des Kilogramms könnten die Forscher damit zudem feststellen, ob der alte und ein wie auch immer gearteter neuer Prototyp zu diesem Zeitpunkt gleich schwer sind.

Ähnliche Resultate lieferten auch Experimente, die Wissenschaftler verschiedener Nationen anstellten. Sie versuchten, das Gewicht aus der Avogadro-Konstanten abzuleiten. Diese Größe bezeichnet die Anzahl der in einem Mol eines Stoffes enthaltenen Atome und ist für alle Stoffe gleich groß, also gleichfalls eine Naturkonstante. Allerdings wurde die Avogadro-Konstante bisher noch nicht genau genug ermittelt. Mit Hilfe eines extrem reinen Siliziumkristalls, dessen Gitter keinerlei Verwerfungen aufweist, wollen die Forscher dieses Problem nun knacken.

Die Kristallkugeln haben einen Durchmesser von ungefähr zehn Zentimetern und wiegen etwa ein Kilogramm. Verunreinigungen durch Kohlenstoff, Sauerstoff oder Leerstellen verfälschten die Messungen jedoch immer wieder. Gelingt es, die Avogadro-Konstante am Silizium hinreichend genau zu bestimmen, ließe sich das Kilogramm direkt aus der atomaren Masse ableiten.

An der Physikalisch-Technischen Prüfanstalt in Berlin konstruierten die Forscher eigens ein neues Kugelinterferometer, um sämtliche Fremdatome oder Fehlstellen in der Kristallkugel aufzuspüren. Bislang erreichen die Wissenschaftler noch nicht die geforderte Genauigkeit, damit ihr Verfahren als modernes Kilomaß dienen könnte.

Im "magnetischen Schwebeexperiment" benutzt eine amerikanische Gruppe starke, supraleitende Spulen. Ihr elektrischer Widerstand ist verschwindend klein. Fließt ein Strom durch die Spule, baut sie ein Magnetfeld auf, das eine Testmasse in der Schwebe zu halten vermag. Diese Testmasse hat gleichfalls supraleitende Eigenschaften. Sie entzieht dem sie umgebenden Magnetfeld daher keine Energie.

Nach dem Versuch wälzten die Forscher vom National Bureau of Standards endlose Formeln, bis sie die Testmasse durch spezielle Eigenschaften des Magnetfelds der Spule beschreiben konnten. Allerdings experimentierten sie bislang nur mit 25 Gramm schweren Testmagneten, und auch sie erreichten die geforderte Genauigkeit noch nicht.

Aus Deutschland kam der Vorschlag, die Masse mit Hilfe von Goldionen zu bestimmen, die man aus einem Ionenstrahl extrahiert. Die Anzahl der Atome lässt sich für jeden Zeitraum genau berechnen. Für die Verwendung von Gold spricht die Tatsache, dass dieses Element nur ein stabiles Isotop, also nur Atome mit ein und derselben Masse besitzt.

Allerdings lassen sich mit den herkömmlichen Laborgeräten nicht mehr als zehn Gramm Masse darstellen. Trotz der technischen Schwierigkeiten gelang es im vergangenen Jahr immerhin erstmals, die Atommasse von Gold auf diesem Wege mit einer Genauigkeit von einem Hunderstel zu bestimmen.

Heiko Schwarzburger

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