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Gesundheit: Internationale der verlorenen Studenten

Gut ein Drittel der Deutschen und bis zu zwei Drittel der Ausländer verlassen die Uni ohne Abschluss – oder überziehen um mehr als zwei Jahre

Arm in Arm protestieren Studierende und Professoren gegen angeblich miserable Arbeitsbedingungen – und übersehen dabei eine gewaltige Verschwendung von Geld und Zeit. Denn gerade mal zwei von drei Studenten schaffen irgendwann überhaupt irgendeinen Abschluss. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung über „Studienverläufe“, die das offizielle Hochschul-Informations-System (HIS) jetzt durchgeführt hat.

Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) gibt gleichzeitig an, dass die Zahl der Hochschüler soeben die Zwei-Millionen-Grenze übersprungen hat, verschweigt dabei aber, dass mehr als eine halbe Million eben nur auf dem Papier steht oder jedenfalls besser in eine nichtakademische Berufskarriere gestartet wäre. Ergänzend verweist die nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin Hannelore Kraft (SPD) darauf, dass sich in ihrem Land, der dichtesten Hochschulregion in ganz Europa, dreißig Prozent aller Hochschüler oder mehr als 170 000 auf der Schleichspur befinden. Diese „Langzeitstudenten“ sind mehr als zwei Jahre über der Regelstudienzeit. Warum? Entweder weil die Studierfähigkeit oder die Motivation oder beides nicht ausreicht.

Hinter den Misserfolgsquoten verbergen sich nicht unbedingt traurige Lebensläufe, aber fehlgeleitete Steuermilliarden für Studienplätze. Deshalb zögerte der Auftraggeber der HIS-Studie, der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), monatelang, die Zahlen auf den Tisch zu legen. Erst hatte der DAAD nur nach dem Studienverlauf von Ausländern gefragt, auf Anregung des Bundesbildungsministeriums, das in den vergangenen drei Jahren 18 Millionen Euro in eine weltweite Anwerbekampagne steckte. Um die schlechten Ergebnisse zu relativieren – an der Uni München beispielsweise hat nach mehr als acht Studienjahren erst ein Viertel der Ausländer ein Examen –, wurden dann die deutschen Vergleichszahlen erhoben (siehe Grafik). Für Ewald Berning vom Bayerischen Staatsinstitut für Hochschulforschung werden so generelle Ausbildungsschwächen des deutschen Hochschulsystems deutlich, die bei ausländischen Studierenden nur verstärkt in Erscheinung treten.

HRK-Präsident Peter Gaehtgens wiegelt freilich ab: Hochschulen seien keine „Schraubenfabriken“ mit der obligatorischen Nullfehler-Quote in der Fertigung. „Wer kommt, soll auch durchkommen, das ist eher das professorale Leitmotiv in den Erziehungswissenschaften“, weiß auch Ulrich Heublein, der Hauptverfasser der HIS-Studie, „für andere Hochschullehrer aber ist die natürliche Auslese von wenigen aus dem Kreis der vielen auch im Überlebenskampf an der Uni das Grundprinzip jeder Weiter- und Höherentwicklung.“ DAAD-Vize Ulrich Grothus betont dementsprechend: „Bezieht man die Zahl der Dozenten und Absolventen aufeinander, dann liegen wir mit unserem Betreuungsverhältnis mit an der Weltspitze.“ Und die Uni Aachen steht nach dieser Rechnung noch viel günstiger da als der Bundesdurchschnitt: Einfach weil in der Domstadt nach über acht Jahren nur jeder fünfte ausländische Studienanfänger und jeder dritte deutsche ein Examen hinter sich hat. Das notorische, jetzt auch in genauen Zahlen greifbare Ausleseprinzip war der Hochschule bei Industriepartnern und Politik noch nie schädlich, auch nicht beim jüngsten „Qualitätspakt“ mit dem Land; im Gegenteil, sie gilt nach dem zugrunde liegenden Gutachten des früheren HRK-Präsidenten Hans-Uwe Erichsen als die allerbeste Uni an Rhein und Ruhr.

Bei einer Aussprache zwischen Beamten des Bildungsministeriums und DAAD-Vize Grothus jetzt in Berlin wurde man sich schnell einig, von der Studienverlaufs-Untersuchung nicht viel Aufhebens zu machen.

Das sehen manche Hochschulvertreter allerdings ganz anders. Für sie ist die HIS-Studie mit ihren statistischen Erkenntnissen an sich der beste Beweis, um zum Teil schon jahrelange Reformforderungen mit Zahlen zu untermauern. Ausgerechnet der Aachener Rektor Burkhard Rauhut zieht die klarsten Konsequenzen. Er schlägt vor, dass die Studienanfänger „entsprechend dem Schweizer Vorbild“ nach einem Jahr bestimmte Leistungsnachweise vorlegen oder wegen mangelnder Eignung vom Fachstudium ausgeschlossen werden. In modernen Ausbildungsgängen wie zum Aachener „Wirtschaftsingenieur“ lässt sich der weitere Erfolg im Hauptstudium von Semester zu Semester über das „Leistungspunktsystem“ kontrollieren. Tatsächlich verbietet der Gesetzgeber bislang aber negative Sanktionen. „Wir kennen Studierende, die im achten Semester noch kein Vordiplom haben“, sagt Rauhut. Aber exmatrikulieren könne man sie nicht.

Die Vorstellungen der HRK bleiben dahinter weit zurück. Die Rektorenkonferenz fordert mit einer merkwürdigen Inkonsequenz Aufnahmeprüfungen in zulassungsbeschränkten Fächern gleichermaßen für Deutsche und Ausländer, in offenen Studiengängen aber nur für Nicht-EU-Bürger. Tatsächlich bieten Eignungstests allein längst keine Gewähr für ein zielführendes Studium, wie Jochen Hellmann weiß, der Abteilungsleiter Internationales an der Uni Hamburg. Er verweist etwa auf die Koreanerin, die zu Hause bereits ein Kunstgeschichtsstudium überragend abgeschlossen und in der Hansestadt die Aufnahmeprüfung bestanden hat, als eine von 400 Glücklichen unter 7000 Bewerbern im Jahr. Sie betreibt jetzt eine Galerie, der Studentenausweis dient zur „Aufenthaltsverstetigung“. Hellmanns Rezept für einen Rückbau aller Potemkinschen Dörfer in der Hochschullandschaft: eine Finanzierung der Lehranstalten nach Absolventenzahlen in der Regelstudienzeit. Die HIS-Untersuchung „Studienverläufe“ zeigt, wie revolutionär der Vorschlag ist.

Hermann Horstkotte

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