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Gesundheit: Jagd auf die Besten

Mit Gesprächen wollen Unis ihre Studenten auswählen. Doch die ersten Erfahrungen sind zwiespältig

Tomasz Zukowski sieht ruhig aus – doch ein bisschen aufgeregt, gesteht er, sei er schon. Seine Abiturprüfungen hat er hinter sich, jetzt muss er noch einmal ran: Er will an der Humboldt-Universität Chemie studieren – und muss dafür an einem Auswahlgespräch teilnehmen. Zum ersten Mal überhaupt wählen die HU-Chemiker ihre Studenten in diesem Jahr nicht nur nach Abiturnote aus. In den Gesprächen wollen sie die Studienbewerber auf Motivation und Qualifikation testen.

Was ihn genau erwartet, weiß Tomasz Zukowski nicht. In der S-Bahn ist er noch einmal die Abiturunterlagen seines Chemie-Leistungskurses durchgegangen und hat sich gefragt, was ihn die Auswahlkommission wohl fragen könnte. Chemie findet er spannend: „Sie betrifft die Menschen im Alltag einfach am meisten. Alles um uns herum ist Chemie“, sagt der 20-Jährige. Deshalb war er in der Chemie-AG seiner Schule und hat Chemie-Shows veranstaltet.

Damit müsste er gute Chancen haben, einen Studienplatz an der HU zu bekommen. Denn das ist ein Grund, warum Unis in Deutschland Auswahlgespräche mit ihren Bewerbern führen wollen: Sie wollen die Motivation der Bewerber für ein Studium erkennen. Auch sonst sind die Erwartungen der Hochschulen groß: Sie wollen auch solche Bewerber aussieben, die nicht analytisch denken können. Die Studienabbrecherquoten wollen sie senken, indem sie im Gespräch über das Studium und seine Inhalte informieren. Und Werbung für die eigene Uni sollen die Gespräche auch noch sein.

Doch trotz der hohen Erwartungen an die Gespräche: Viele Unis führen sie noch nicht durch. Für nur 19 Prozent der Studiengänge an deutschen Hochschulen gibt es Eignungsprüfungen, hat das Hochschul-Informations-System in Hannover herausgefunden. Bei nur acht Prozent gibt es Interviews. Psychologen und Studentenverbände üben zudem harsche Kritik an der Auswahl durch Interviews.

Alle Studenten dürfen die Unis sowieso nicht in Gesprächen auswählen; es ist gesetzlich vorgeschrieben, dass die Abiturnote weiterhin das wichtigste Kriterium sein muss. Die Chemiker an der HU nehmen daher alle Bewerber mit einem Abidurchschnitt bis 1,5 sofort auf, ohne weitere Prüfung. Die Auswahl nur nach Abinote hält Oliver Seitz, Professor am Institut für Chemie, allerdings für unfair: „Wir wollen eine qualifiziertere Auswahl treffen.“ Die Motivation der Bewerber und deren Potenzial stimme „nicht unbedingt mit den Abinoten überein“, sagt er. Angeblich wollte das Institut die Bewerber auch auf ihr Fachwissen prüfen – doch das ist rechtlich nicht möglich. Es geht um die allgemeine Qualifikation für das Studium, nicht um Wissen. Deshalb betont Seitz, es handele sich um ein klassisches Bewerbungsgespräch, nicht um eine Prüfung. „Wir wollen sehen, wie die Bewerber an Probleme herangehen, ob sie analytisch denken können.“

Hier aber setzt die Kritik an Auswahlgesprächen an. Abgelehnten Bewerbern werden Ausbildungsmöglichkeiten vorenthalten. Doch erhalten die Professoren in einem kurzen Auswahlgespräch ausreichend Informationen, um solche Entscheidungen zu treffen? Die Antwort von Oliver Wilhelm, Psychologe an der HU, ist deutlich: „Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Studien zu diesem Thema. Aus keiner geht hervor, dass Studierende, die ein Auswahlgespräch durchlaufen, bessere Leistungen erzielen als andere.“

Außerdem, sagen Kritiker, führten die Gespräche zu einer sozialen Auswahl. So könnten es sich Bewerber aus ärmeren Familien einfach nicht leisten, zu mehreren Auswahlgesprächen in ganz Deutschland zu fahren. Hinzu kommt, was Hans-Werner Rückert, Psychologe und Leiter der Zentralen Studienberatung an der Freien Universität in Berlin, das „Like-me-Kriterium“ nennt: Professoren tendierten dazu, Studenten auszusuchen, die ihrer Selbstwahrnehmung ähnlich seien. Das bevorzuge Bewerber aus bildungsnahen Schichten. „Das kann zu einer systematischen Verzerrung führen. Die Motivation könnten Unis über Fragebögen viel objektiver abzufragen“, sagt Rückert.

Auch andere Probleme ergeben sich aus Auswahlgesprächen: Der organisatorische und zeitliche Aufwand ist sehr groß. Die Wirtschaftswissenschaftler der FU prüften in den vergangenen Jahren 20 Prozent der Studienbewerber – diejenigen, die mit ihrer Abiturnote auf der Kippe zur Zulassung standen. „Die Erfahrungen waren sehr positiv“, berichtet Martin Eisend, Juniorprofessor für Marketing und Marktkommunikation. „Man konnte sehen, dass bei gleicher Abinote Motivation und Qualifikation sehr unterschiedlich waren.“ Dazu fragten die FU-Professoren die Bewerber vor allem nach ihren Erwartungen an das Studium und überprüften, wie sehr sie ihre Entscheidung für ein Wirtschaftsstudium durchdacht hatten. Der Arbeitsaufwand war bei rund 2000 Studienbewerbern aber einfach zu groß. Daher arbeiten die Wirtschaftswissenschaftler zur Zeit an einem neuen Auswahlverfahren – ohne Gespräch.

Unsicher ist bisher, ob Absagen nach Auswahlgesprächen zu einer neuen Prozesslawine von Studierenden führen werden, die sich ihren Studienplatz erklagen wollen. Transparenz der Auswahlgespräche ist daher für die Hochschulen ein Muss. Die Chemiker an der Humboldt-Universität arbeiten mit einem abgestimmten Katalog an Themen. „Dadurch sind die Gespräche für jeden nachvollziehbar“, sagt Oliver Seitz. Dabei treffen nicht die Professoren die Entscheidung über Annahme und Ablehnung der Bewerber. Sie vergeben einfach eine Bewertung – diese zählt 30 Prozent und wird von der Studienabteilung mit der Abiturnote verrechnet.

Ein weiteres Problem hat Wolfram Peiser, Kommunikationswissenschaftler an der Universität München, ausgemacht. Es sei schwer abzuschätzen, „welche der Studenten, die eine Zusage erhalten, dann auch bei uns studieren.“ Unter Umständen sei der Aufwand fast umsonst, denn gute Bewerber erhalten meist Zusagen von mehreren Unis.

Doch gerade aufgrund dieses Wettbewerbs unter Hochschulen um die besten Abiturienten hält Franz Wagner, BWL-Professor in Tübingen, Auswahlgespräche für sehr wichtig. „Die Abiturnote hat eine so hohe Aussagekraft, dass das Gespräch in den Hintergrund tritt. Die Fakultät kann sich im Bewerbungsgespräch aber gut verkaufen.“ Wagner stellt daher Fragen nach den Bewerbungsstrategien der angehenden Studenten. „Auf diese Weise erfahren wir, mit wem wir konkurrieren, in welcher Liga unsere Fakultät spielt.“

Der Marketing-Schuss kann aber auch nach hinten losgehen. Ein Student, der sich für ein Masterprogramm in Berlin beworben hat, sei „Feuer und Flamme“ gewesen, als er in das Auswahlgespräch ging, erzählt er. Danach war er ernüchtert. Erst einmal fliegt er jetzt in die USA, um sich dort zu bewerben. „Ich habe das Gefühl, an den Unis dort viel willkommener zu sein. Dort merkt man: Die wollen einen haben“, sagt er.

Tomasz Zukowski ist es bei den Chemikern an der Humboldt-Universität anders gegangen. Er ist ein bisschen geschafft nach dem Gespräch. „Es war schwieriger, als ich dachte – wurde aber mit der Zeit immer besser.“ Trotzdem ist er froh, einmal persönlichen Kontakt mit der HU gehabt zu haben. „Die anderen Universitäten, an denen ich mich beworben habe, haben sich bisher noch überhaupt nicht bei mir gemeldet. Hier habe ich einen ersten Eindruck gewinnen können.“

Florian Oel

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