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Gesundheit: Jedes Mauseloch wird zur Gefahr

Warum ein winziges Leck ausreicht, um einen Deich zum Einsturz zu bringen

Von Gideon Heimann

Deiche sollen das Hinterland vor Wasserfluten schützen, aber bisweilen werden sie einfach fortgespült – wie wir jetzt an der Elbe sehen. Allein im Landkreis Wittenberg gaben diese Bauwerke am Montag an sieben Stellen nach. Dabei sind sie doch für solche Ernstfälle errichtet worden. Weshalb können sie nicht so konstruiert und gewartet werden, dass sie halten? Kurz: Warum brechen die Deiche?

Schon dieser Frage liegt ein Irrtum zugrunde: Ein Deich ist nämlich gar keine homogene Masse an Baustoff, schon gar nicht die alten Anlagen, die sich zu großen Teilen noch an der Elbe finden, erläutert Bernd Schuppener, Leiter der Abteilung Geotechnik bei der Bundesanstalt für Wasserbau in Karlsruhe. Was im Verlauf der Jahrhunderte aufgeschüttet worden ist, lässt sich daher heute selbst bei systematischen Kontrollen nicht präzise feststellen. „An einer Stelle wird gebohrt, um das Material zu erkunden, aber das sagt nichts darüber aus, welcher Stoff nur fünf Meter weiter eingebaut wurde“, sagt der Wasserbau-Fachmann.

Heute werden solche Sperrbauwerke sehr genau durchdacht. Die Schicht, die zur Wasserseite hin reicht, besteht aus möglichst undurchlässigem Material, etwa aus Ton oder Lehm. Zur „Luftseite“ hin, also auf der Seite des zu schützenden Bereichs, werden hingegen leicht durchlässige Stoffe, Sand zum Beispiel, verwendet. Sollte auf der Flussseite also doch einmal Wasser eindringen, wird es schnell aus dem Bauwerk hinausgeführt, und das an einer möglichst tiefen Stelle. Die schräg nach unten verlaufende „Sickerlinie“ bewirkt, dass möglichst große Bereiche des Dammes trocken bleiben. Denn nur dann bleibt er auch stabil.

Alte Deiche, die noch nicht so sorgfältig angelegt oder unter ungünstigen Bedingungen ausgebessert worden sind, können leicht durchfeuchten, sich mit Wasser anreichern. Dann genügt auch ein geringer Druck vom gestauten Fluss her, um die Anlage zu gefährden. Zunächst bilden sich allenthalben kleine Öffnungen, aus denen Wasser heraustritt. Doch: „Das Wasser ist gar nicht so sehr unser Problem, sondern das, was es mit sich reißen kann.“

Es ist der nun seinen Weg bahnende Strömungsdruck, der immer mehr Material aus dem Deich herausreißt. Es entsteht eine so genannte Strömungsröhre, die sich schnell erweitert und immer mehr Sand mit sich zieht, bis das Bauwerk auf größerer Strecke nachgibt. Kein Wunder also, dass die Menschen in den betroffenen Gebieten „ihren“ Deich mit Argusaugen auch auf die kleinste Pfütze hin kontrollieren. Sobald sich ein winziges Leck zeigt, muss sofort eine Abdeckung aus Sandsäcken drauf, damit die so folgenreiche Erosion der Böschung unterbleibt.

Mit Argusaugen überwachen

Besonders gefährlich sind dabei natürlich Gänge von Karnickeln und Mäusen. Diese Tiere werden bei den routinemäßigen Kontrollgängen nach Möglichkeit verjagt oder getötet, denn ihre Höhlen im Deich können sich schnell zu Strömungsröhren erweitern. Aber auch Bäume werden zur Gefahr, sobald die Pflanzen absterben und ihre Wurzeln verfaulen. Auch sie hinterlassen Hohlräume, die dem Wasser einen Weg bahnen können.

Bisweilen freilich reichte die Höhe des Deiches gar nicht aus und die Helfer hatten zu wenige Sandsäcke zur Verfügung, um eine stabile Pyramide auf die Deichkrone zu setzen. Sie behalfen sich zum Beispiel damit, „Europaletten“ als Basis für die Säcke aufzuschichten. Diese Holzlattengerüste dienen im Normalfall dazu, Transportgut aufzunehmen, damit die Fracht vom Gabelstapler aufgenommen werden kann. „Keine schlechte Idee, um die erforderliche Höhe zu gewinnen“, sagt Schuppener, „vor allem dann, wenn man nichts besseres zur Hand hat“.

Hinzu kommt aber noch ein weiteres Problem: Grundwasser führende Schichten. So ein Flussbett ist nur selten zur Umgebung hin völlig dicht. Meist führen Sand- und Kiesschichten das Flusswasser tief hinein ins Hinterland. Wasserwerke bedienen sich ganz bewusst dieses hydraulischen Mechanismus, sie gewinnen daraus nämlich das so genannte Uferfiltrat.

Doch dieses Wasser kann zum Problem werden, wenn es hinter dem Deich zu Tage tritt. Ist die Strömungskraft durch die wasserführende Schicht groß, kann es wie bei kommunizierenden Röhren im Hinterland hochsprudeln. Und wenn es dann den Boden öffnet („hydraulischer Grundbruch“) und die Rückseite des Deiches erreicht, kann es dort dringend benötigtes Material fortspülen.

Und in den Städten, in denen die Flusspegel schon wieder sinken? Da macht sich ebenfalls das stark gestiegene Grundwasser sehr eindringlich bemerkbar. Und das nicht nur im Wortsinn, also als eindringendes Wasser, sondern auch dort, wo die Keller dicht halten. Denn gerade dann, wenn sie trocken geblieben sind, droht ihnen, ja dem ganzen Gebäude, die größte Gefahr. Bei einem um mehrere Meter gestiegenen Grundwasserpegel, der sich in unterschiedlichen Schichten des Bodens womöglich auch noch ungleichmäßig verteilt, kann der ganze Baukörper aufschwimmen wie ein Boot. Senkungsdifferenzen drohen, die schnell Spannungsrisse in den Wänden verursachen. Deshalb wurden etwa in Dresden sogar trockene Keller absichtlich geflutet oder voll gelaufene erst gar nicht oder sehr langsam leer gepumpt. Nur dadurch lässt sich im Notfall das notwendige „Gegengewicht“ zum Auftrieb herstellen.

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