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Gesundheit: Jenseits der Schmerzgrenze

Das Rheumamittel Vioxx galt als „Super-Aspirin“. Forscher entdeckten: Es führt zu mehr Infarkten. Wer ist davon betroffen?

Verunsicherung macht sich breit. Bei allen, die bisher wegen ihrer Arthrose- oder Rheumaschmerzen das Medikament Rofecoxib (Handelsname: Vioxx) eingenommen haben. Nachdem die Herstellerfirmen (in Deutschland: MSD Sharp & Dohme, in den USA: Merck & Co) Ende September das Mittel vom Markt genommen hatten, ist jetzt von zahlreichen Todesfällen die Rede, die das Schmerz- und Rheumamittel verursacht haben könnte.

Der Internist Peter Sawicki, Leiter des neuen Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, kam in ersten Hochrechnungen zum Ergebnis, dass mindestens 2500 Vioxx-Einnehmer hier zu Lande die Linderung ihrer Schmerzen mit Schlaganfällen, Thrombosen und Herzinfarkten bezahlt haben. Die Zahl deutscher Vioxx-Konsumenten wird auf 120000 geschätzt. Aber nur diejenigen, die das Medikament regelmäßig und langfristig eingenommen haben, sind – einer medizinischen Studie zufolge – Risiken ausgesetzt worden.

Diese internationale Studie wurde am 23. September vorzeitig abgebrochen, als sich abzeichnete, dass die Langzeit-Einnahme des viel verordneten Mittels die Gefahr von Herzinfarkten und Schlaganfällen deutlich erhöht. Hauptziel der Untersuchung war eigentlich gewesen, die Schutzwirkung des Medikaments gegen Darmkrebs zu testen. Fast „nebenbei“ ergab sich, dass sich nach eineinhalb Jahren das Risiko für Herz und Gefäße bei den Studienteilnehmern, die Rofecoxib einnahmen, im Vergleich zu Konsumenten des Scheinmedikaments fast verdoppelte. Mit etwa 15 Schlaganfällen und Herzinfarkten pro 1000 Studienteilnehmern lag es schließlich zweimal so hoch wie in der Placebogruppe.

Ganz überraschend kommt das Ergebnis nicht. Schon im Jahr 2000 ergab eine Studie, dass Rofecoxib im Vergleich zum gängigen Rheumaschmerzmittel Naproxen das Herzinfarkt-Risiko vervierfacht. Im Fachblatt „Lancet“ heißt es daher nach ein wenig Lob für die jetzt schnelle Reaktion der Firma: „Mercks energische Verteidigung dieser Arznei in der Vergangenheit war eindeutig ein Fehler.“ Auch Behörden wird „wiederholte Gleichgültigkeit“ vorgeworfen. Sie könnte für einige der weltweit zwei Millionen Rofecoxib-Konsumenten, über Leben und Tod entschieden haben.

Das erhöhte Risiko für Herz und Gefäße lässt sich wahrscheinlich ausgerechnet aus den Eigenschaften erklären, mit denen Rofecoxib und ähnliche Präparate aus der Gruppe der COX-2-Hemmer seit ihrer Markteinführung um die Jahrtausendwende massiv beworben wurden: vor allem deren Magenfreundlichkeit.

COX steht für Cyclooxigenasen. Das sind Enzyme, die für die Bildung von Prostaglandinen benötigt werden. Diese Gruppe hormonähnlicher Substanzen kommt in vielen Organen vor und hat mit Entzündungsprozessen und Schmerzverarbeitung zu tun. Wer COX hemmt, hält die Prostaglandine in Schach, und damit Schmerz und Entzündung, welche die Rheuma-Patienten plagen.

Das kann eine ganze Gruppe von Medikamenten, unter anderem das altbekannte Aspirin und Mittel wie Diclofenac oder Ibuprofen, von den Ärzten zusammengefasst als nicht-steroidale, kein Kortison enthaltende Antirheumatika. Doch leider bezahlen manche Rheumatiker die Schmerzlinderung mit Beschwerden des Verdauungstrakts bis hin zu Magengeschwüren und Blutungen.

Das war das Argument für die – deutlich teureren – COX-2-Hemmer. Auch sie hemmen die Bildung der Prostaglandine und dämmen Entzündungen ein. Allerdings bremsen sie dafür nur eine Form der Cyclooxigenase, genannt COX-2. Das Enzym COX-1, wichtig für den Schutz der Magenschleimhaut, bleibt dagegen weitgehend unbeeinflusst.

Unbeeinflusst bleibt jedoch auch ein zweites Endprodukt des Enzyms, nämlich die Thromboxane, die die Bildung von Blutgerinnseln fördern. „Vom Wirkmechanismus her ist das erhöhte Infarkt-Risiko unter Rofecoxib plausibel“, sagt Edeltraut Garbe, Klinische Pharmakologin an der Charité Campus Mitte. Die Risikoerhöhung unter den neuen „Super-Aspirinen“ könnte sich durch eine Verschiebung des Gleichgewichts zwischen den Faktoren erklären, die die Gefäße schützen oder schädigen. Diesen Effekt könnte es bei allen COX-2-Hemmern geben, die auf dem Markt sind.

„Das lässt sich nicht ausschließen“, meint Garbe. Allerdings habe sich in den bisherigen Studien nicht für alle ein erhöhtes Risiko ergeben. Die europäische Arzneimittelbehörde EMEA hat trotzdem verfügt, dass alle Packungsbeilagen für COX-2-Hemmer entsprechende Warnhinweise enthalten müssen. „Die Beweislast liegt nun bei den Herstellern der anderen Präparate“, sagte Sawicki gestern dem Tagesspiegel. „Sie müssen zeigen, dass ihre Mittel sicher sind.“

Die Aktien des Pharma-Riesen Pfizer, der das älteste und bestverkaufte Präparat der Gruppe Celecoxib (Markenname: Celebrex) anbietet, sind allerdings nach der Rücknahme des Konkurrenten erst einmal gestiegen. Tatsächlich wirkt es etwas weniger COX-2-betont als Rofecoxib. Seit September ist als weiterer COX-2-Hemmer auch das Merck-MSDPräparat Etoricoxib (Handelsname: Arcoxia) in Deutschland zugelassen. Sind diese COX-2-Hemmer besser fürs Herz?

„Wir brauchen Langzeitstudien, um das zu erfahren“, fordert Garbe. Die Frage bewegt nicht zuletzt die Menschen, die von Rheuma- und Gelenkschmerzen geplagt werden. Welche Arzneimittel können sie noch nehmen?

„Wir stehen jetzt vor einem Dilemma“, sagt Rieke Alten, Leiterin der Rheumatologie in der Schlosspark-Klinik. „Die Patienten, die etwa wegen Magenproblemen Rofecoxib bekamen, müssen jetzt individuell beraten werden.“

Patienten, bei denen Probleme mit Herz und Gefäßen hinzukommen, können zusätzlich zu einem COX-2-Hemmer Aspirin in niedriger Dosierung einnehmen. Auch die Kombination von Aspirin oder einem der anderen Schmerzmittel-„Klassiker“ mit einem Mittel für den Magen kann sinnvoll sein. „Von einer Dauermedikation mit COX-2-Hemmern haben wir im Übrigen schon immer abgeraten“, sagt Alten.

Adelheid Müller-Lissner

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