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Gesundheit: John Harris im Interview: Wohin Gen wir?

John Harris lehrt Bioethik an der Universität Manchester. Er berät die Europäische Kommission und das Europäische Parlament in Ethikfragen und gehört der britischen Human Genetics Commission an.

John Harris lehrt Bioethik an der Universität Manchester. Er berät die Europäische Kommission und das Europäische Parlament in Ethikfragen und gehört der britischen Human Genetics Commission an. Auf Deutsch erschien von ihm zuletzt im Berliner Akademie Verlag "Der Wert des Lebens".

Biotechnik und Genforschung geraten aus der Wissenschafts-Sphäre immer mehr in die öffentliche Diskussion. Überwiegt der Nutzen die möglichen Risiken?

Gut begründete Forschung ist immer zu unserem Nutzen. Es ist besser, auf der Basis von mehr Information zu handeln. Das berührt dann die Frage, ob und wie Forschungsergebnisse genutzt werden.

Was der Mensch erforscht und erdacht hat, das wird er irgendwann auch verwirklichen wollen.

Natürlich kann man nicht mehr unschuldig sein angesichts gewonnener Forschungsergebnisse. Aber daraus folgt nicht automatisch, dass sie genutzt werden müssen. Wir können die Nutzung per Gesetz regeln.

Es gibt in den USA und Europa aber erhebliche mentale und politische Unterschiede bei der Beurteilung, wie weit in der Gentechnik geforscht und wie mit den Ergebnissen umgegangen werden soll. Übertreiben dabei die Deutschen ihre Skepsis?

Die Deutschen scheinen sehr vorsichtig zu sein bei bestimmten Themen - etwa, was den Gebrauch menschlicher Embryonen und den Missbrauch der Biotechnologie angeht. Hier gibt es nur ein Problem: Was nützt in einer vernetzten Welt der Beschluss, in bestimmten Gebieten keine Forschung zu betreiben? Wenn England auf einem solchen Gebiet ein entscheidender Durchbruch gelingt, würden auch die Deutschen von diesen Forschungen beeinflusst.

Deutschland handelt in der Genforschung nach einem mehr medizinisch orientierten Modell. In Amerika dominiert die Marktorientierung. Wie steht es in England?

Wir haben eine Mischung verschiedener Modelle. Wir sind Deutschland näher als Amerika. Wir haben ein staatlich finanziertes Gesundheitssystem; der Fortschritt in der Medizin steht sicherlich an erster Stelle. Aber es gibt auch eine Reihe von privaten Unternehmen, die Genforschung betreiben.

Können Sie sich bei der Biotechnologie einen globalen ethischen Konsens vorstellen?

Die Geschichte des weltweiten Missbrauchs von solchen Übereinkünften macht einem da nicht viel Hoffnung. Generell kann ein globaler Konsens immer nur auf der Basis von sehr hehren Prinzipien formuliert werden. Entscheidend ist, wie sie konkret interpretiert werden. Jeder würde unterschreiben, dass wir die menschliche Würde schützen müssen. Aber für uns Engländer ist die Idee der menschlichen Würde zu vage, wenn darunter die völlige Autonomie im Sinne von Kant verstanden wird. Viele denken, das Klonen verstoße gegen die menschliche Würde. Dabei war Gott der erste auf dem Klon-Markt. Wenn die Existenz von identischen menschlichen Genomen die menschliche Würde verletzt, dann verletzt jeder eineiige Zwilling die seines Bruders oder seiner Schwester.

Inwieweit müssen denn andere kulturelle Vorstellungen respektiert werden? Etwa die jener südamerikanischen Völker, deren Gene wegen ihrer Seltenheit für die Forschung von Interesse sind? Bei den Indianern regt sich großer Widerstand gegen Blutuntersuchungen. Ihnen ist das Blut heilig.

Es gibt eine Verpflichtung, die Forschung voranzutreiben und sich als Forschungsobjekt zur Verfügung zu stellen, wenn die Risiken und Vorteile für den Einzelnen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Das heißt, wir müssen andere Kulturen immer dann respektieren, wenn die moralischen Kosten niedrig sind. Wo die moralischen Kosten hoch sind, hat man das Recht, die Vorstellungen zu hinterfragen. Zum Beispiel bei der Witwenverbrennung, die in einigen Kulturen üblich ist.

Wer entscheidet die "moralischen Kosten"?

Das entscheiden weder Wissenschaftler noch Ethikexperten. In einer Demokratie entscheiden wir alle. Deshalb sind öffentliche Diskussionen so wichtig.

Was meinen Sie mit "Verpflichtung" zur Forschung? Das Dritte Reich hat gezeigt, wohin es führen kann, wenn Menschen für Forschungszwecke benutzt werden.

Ich habe nicht gesagt, dass die Menschen gezwungen werden sollen. Ich habe lediglich von moralischen Verpflichtungen gesprochen. Sie gilt etwa für Eltern, ihre Kinder gegen Masern oder Mumps zu impfen. Nur so lassen sich diese Krankheiten ausrotten. Aber daraus folgt nicht, dass jede Mutter gezwungen wird, ihr Kind zu impfen.

Aber eine moralische Verpflichtung kann von der Gesellschaft mit solchem Nachdruck eingefordert werden, dass sie einem Zwang gleichkommt.

Entscheidend ist, wie groß die Gefahr für die Allgemeinheit ist, wenn die Verpflichtung nicht erfüllt wird. Zum Beispiel bei übertragbaren Krankheiten. Manchmal müssen wir Kranke sogar isolieren, wenn für andere durch Ansteckung Lebensgefahr besteht.

Haben private Firmen, die in der Biotechnologie forschen, eine moralische Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft?

Im Prinzip sind Verpflichtungen von Firmen die gleichen wie bei Privatpersonen: Sie sollen Menschen kein Leid zufügen und anderen Vorteil bringen. Natürlich sehen Unternehmen ihre Aufgabe darin, den Profit zu maximieren.

Welche Vorschriften würden Sie sich wünschen für private Firmen?

Zum einen Sicherheitsvorschriften, die garantieren, dass keine gesundheitsgefährdenden Produkte auf den Markt kommen Außerdem sollte sich die Bevölkerung die Produkte auch kaufen können. Auf dem westlichen Markt gibt es da eine natürliche Balance von Nachfrage und Angebot. Aber in den Entwicklungsländern können sich die Menschen Medikamente oft nicht kaufen, egal wie billig sie in unseren Augen sind. In diesem Fall hat die internationale Gemeinschaft die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Entwicklungsländer mit Medikamenten versorgt werden. Und das tun wir im Moment nicht.

Die Fragen, die das Human-Genom-Projekt aufwirft, sind also nicht nur ethische, sondern auch politische.

Die erste Frage, die wir hierbei stellen müssen, ist eine ethische. Die nächste betrifft die politischen Umstände und Konsequenzen ihrer Umsetzung. Denn bestimmte Dinge mögen zwar ethisch vertretbar sein, führen aber politisch zu einem Desaster. Zum Beispiel denken viele Menschen, dass der Tod etwas Negatives ist und ein langes Leben etwas Positives. Die Verlängerung des Lebens mag zwar für den einzelnen gut sein, kann aber zu einer sozialen Katastrophe führen.

Gibt es zu viele Tabus in der Debatte über die Biotechnologie?

Tabus sind immer schlecht. Sie bezeichnen das, für dessen Ablehnung wir irrationale oder gar keine Gründe haben. Wir sollten nichts ablehnen ohne vernünftige Gründe. Die Vernunft, so schwer sie auch zu definieren sein mag, bleibt die einzige Instanz, um zu beurteilen, was für uns einzelne wie für die Gesellschaft gut oder schlecht ist.

Biotechnik, Genforschung geraten aus der Wissen

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