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Gesundheit: „Kaiserschnitt nur aus guten Gründen“

Medizin um die Geburt: Gespräch mit Klaus Vetter

Im Berliner ICC haben sich 2000 Geburtshelfer, Kinderärzte und Hebammen zum 22. Deutschen Kongress für Perinatale Medizin versammelt. Sie diskutieren über die Probleme, die sich rund um die Geburt für Mutter und Kind stellen. Ein Gespräch mit Kongresspräsident Klaus Vetter.

Herr Professor Vetter, die Deutschen bekommen immer weniger Kinder. Wie haben sich Ihre Patienten verändert?

Die Mütter sind älter geworden. 20 Prozent der Gebärenden sind über 35 Jahre alt, vor 30 Jahren war es nur eine Frau von 100. Wenn man vom höheren Alter der Schwangeren spricht, wird oft in einem Atemzug von der Erhöhung genetischer Risiken gesprochen. Tatsächlich sind es andere Probleme, die massiv zugenommen haben, etwa der Diabetes während der Schwangerschaft. Das sind allerdings keine Dinge, die automatisch auftreten, sie hängen stark mit dem Lebensstil der Frau zusammen, mit Gewicht, Ernährungsgewohnheiten, körperlicher Bewegung. Mit 35 kann man, gesundheitlich gesehen, „jung“ sein oder nicht mehr so jung. Bei schlanken, gesunden Schwangeren ist der Unterschied gegenüber den unter 30-Jährigen nicht groß.

Und die Kinder?

Rein statistisch gesehen haben sich in den letzten Jahrzehnten auch die Neugeborenen verändert: Die Babys werden schon im Bauch der Mutter größer und schwerer, und das ist unmittelbare Folge der – durchschnittlichen – Gewichtsentwicklung bei den Müttern. Das mittlere Geburtsgewicht der Kinder, die zum Termin geboren werden, liegt heute bei 3800 bis 3900 Gramm, vor 30 Jahren lag es unter 3500 Gramm. Das schafft natürlich auch geburtshilfliche Probleme. Und es ist ein Grund dafür, dass Kaiserschnitte zunehmen.

Kritiker monieren aber, ein Kaiserschnitt sei inzwischen eine Art Dienstleistung, die auch ohne medizinische Gründe vielfach auf Wunsch der „Kundin“ erbracht werde.

Den Ausdruck „Wunsch-Kaiserschnitt“ mag ich überhaupt nicht, weil er in die falsche Richtung weist. Ein Kaiserschnitt sollte nur aus guten Gründen gemacht werden. Aber es ist so, dass die guten Gründe zugenommen haben. Viele Frauen haben inzwischen mehr Angst vor möglichen Folgen einer vaginalen Entbindung wie einer Blasenschwäche.

Wie reagieren Sie dann?

Heute müssen wir beim Beratungsgespräch oft umgekehrt die Folgen eines Kaiserschnitts in den Mittelpunkt rücken. Oder wir müssen in die andere Richtung beraten: wenn es wichtige medizinische Gründe gibt, die für einen Kaiserschnitt sprechen, die Frauen aber auf das Erlebnis der natürlichen Geburt nicht verzichten wollen.

Ist es nicht zu riskant, wenn es in vielen Krankenhäusern zwar eine Geburtshilfe gibt, aber keine eigene Kinderklinik?

80 bis 90 Prozent der Neugeborenen brauchen keine spezialisierte kinderärztliche Betreuung. Ein abgestuftes System ist also sinnvoll, wie vom Gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen vorgegeben. Neben der Geburtshilfe ohne Kinderklinik soll es auf dem nächsthöheren Level perinatale Schwerpunkte geben, in denen Kinder betreut werden, die zwischen der 32. und der 36. Woche auf die Welt kommen. Noch spezialisierter sind Perinatalzentren, die auch Frühchen ab der 29. Woche versorgen. Die Betreuung der ganz, ganz kleinen Frühgeborenen wird sich auf 80 bis 100 spezialisierte Zentren der höchsten Versorgungsstufe konzentrieren.

Um wie viele Kinder geht es da?

Eines, höchstens zwei von 1000 Neugeborenen gehört zu dieser besonders gefährdeten Gruppe. Man kann das meist vorher wissen, es handelt sich sozusagen um geplante Notfälle.

Das Gespräch führte Adelheid Müller-Lissner.

Klaus Vetter ist Leiter der Klinik für Geburtsmedizin am Berliner Vivantes-Klinikum Neukölln.

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