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Gesundheit: Kalter Krieg der Forscher

Der Stand der Dinge (10): Die Historikerin Gabriele Camphausen zieht eine kritische Bilanz der DDR-Aufarbeitung

Hat die westdeutsche Zeitgeschichtsforschung die DDR aus Rücksicht auf die Entspannungspolitik zu nachsichtig behandelt? Hat sie Themen tot geschwiegen und kritische Stimmen ins Abseits gedrängt?

Es ist viel gestritten worden seit der Neubelebung der DDR-Forschung nach 1989, keineswegs immer sachlich. Dies lag nicht nur daran, dass viele Beteiligte „es“ im Nachhinein natürlich immer schon gewusst hatten. Allzu oft war der Diskurs Vehikel für politische Altabrechnungen, für die Auseinandersetzung um Deutungshoheit oder im Konkurrenzkampf um Finanzierungstöpfe. Hinzu kam die berechtigte Sorge vor einer Instrumentalisierung und Aufweichung der diktaturgeschichtlichen Debatte. Inzwischen scheint eine Beruhigung eingetreten zu sein, die der Forschung zugute kommt. Dass dieser Wandel einhergeht mit einem allmählichen Generationswechsel, dürfte kein Zufall sein: Ein nicht von persönlicher Zeitzeugenschaft geprägter Nachwuchs kann unbelasteter und freizügiger agieren.

Die Forschungsarbeit zur DDR-Geschichte in der Region Berlin und Brandenburg lässt in den letzten Jahren zunehmend wissenschaftliches Engagement und thematische Differenzierung erkennen. Die Hochkonjunktur spektakulärer Ausschnitte stalinistischer Machtpraxis in der SBZ oder schillernder Einzelaspekte des MfS-Apparates ist vorbei. Nach 1989/90 war zunächst die jahrzehntelang tabuisierte Frage der sowjetischen Speziallager eines der beherrschenden Themen. Unter dem Einfluss schneller Archivfunde und Analysen sowie der Bereitschaft zur sofortigen Entgegnung stand die Fachdiskussion manche Zerreißprobe durch.

Nahezu reflexartig wurde die Kritik an der sowjetischen Internierungspolitik schnell als Realtivierung der Schuld von NS-Tätern gewertet und umgekehrt der Verweis auf NS-Verbrechen als Verharmlosung der sowjetischen Verfolgungspraxis. Eine zweite Phase ähnlicher Schärfe erlebte die Debatte in den neunziger Jahren durch die konträre Bewertung der bundesrepublikanischen Entspannungspolitik gegenüber der DDR – Stichwort „Wandel durch Annäherung“. Stellenweise drohte die Diskussion zu einer Aufrechnung, wer mit wem in der DDR Kontakt hatte, zu verflachen.

In der Gegenwart ist das Interesse an interner Unversöhnlichkeit und tagespolitischer Aktualität deutlich zugunsten einer breiter angelegten Forschungsperspektive zurückgetreten. Sozial-, kultur- und wirtschaftsspezifische Fragen der DDR-Geschichte haben an Bedeutung gewonnen. Chronologisch wird nun neben der Frühzeit der Vierziger- und Fünfzigerjahre auch die DDR der späteren Jahrzehnte stärker berücksichtigt. Beispielsweise hat der Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin in seinen neueren Studien die SED-Westpolitik gegenüber bundesrepublikanischen Organisationen erörtert. 2002 wurden die Arbeiten zu einem Projekt aufgenommen, das die Tätigkeit des MfS in den Sendeanstalten beider deutschen Staaten grundsätzlich analysiert.

Das Provisorium regiert

Außerdem zeichnet sich allmählich ab, dass der Bezugsrahmen weiter gefasst wird: von der ost-west-deutschen über die nationale zur gesamteuropäischen Sicht auf die deutsche Nachkriegsgeschichte. So steht die 2001 eingeleitete zweite Forschungsphase am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam unter dem Generalthema „Die DDR im deutschen und europäischen Konflikt“. Bei diesem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Rahmenprojekt werden neben politikhistorischen Regionalstudien zu Berlin und Brandenburg soziale Themen der DDR- und Mitteleuropa-Geschichte, mediengeschichtliche Fragen des Kalten Kriegs in Europa sowie kulturhistorische Aspekte europäischer Herrschaftslegitimation erforscht. In diesem Rahmen kann man auch auf eine Vertiefung der transnationalen systemvergleichenden Analyse hoffen, die noch immer inhaltlich verfeinert werden muss.

Die inhaltlichen Kinderkrankheiten sind also weitgehend überwunden. Aber ein anderer Geburtsfehler der deutsch-deutschen Forschung bleibt hinderlich: Zahlreiche Einrichtungen wie das Zentrum für Zeithistorische Forschung oder der Forschungsverbund SED-Staat arbeiten als „feste Provisorien“. Ihr Bestand ist nicht dauerhaft gesichert. Auch Forschung in den Gedenkstätten und bürgerschaftlichen Initiativen zur DDR-Geschichte kann zumeist nur im Rahmen kurzfristiger Projekte finanziert werden, wobei der weitere Betrieb der Einrichtung wie beispielsweise im Falle der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde oder der Robert-Havemann-Gesellschaft nicht einmal grundsätzlich geklärt ist.

An den Universitäten ist der Aufbau von Forschungsfeldern weitgehend von der Einsatzbereitschaft und den thematischen Akzenten der Hochschullehrer abhängig. Nach der Emeritierung oder dem Weggang der Engagierten muss oft eine Demontage des Erreichten befürchtet werden: Lehrstühle werden nicht neu besetzt, Forschungsfelder nicht weiter bearbeitet. Entsprechende Entwicklungen an der Abteilung Historische Grundlagen der Politik an der FU und ihrem Historischen Institut sowie der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam geben deutliche Warnzeichen für die Erosion universitärer DDR-Forschung. Auch kommt es immer wieder zu solch absurden Erscheinungen, dass im Umfeld geschichtsträchtiger Jahrestage kurzfristig erhebliche Projektgelder bereit gestellt werden, der Ertrag der Forschungsprojekte aber im Nachhinein nicht gesichert wird. Man denke nur an die Bund-Land-Finanzierung der Eröffnungsausstellung des Dokumentationszentrums Berliner Mauer zum 9. November 1999: Nur wenige Wochen später, Anfang 2000, folgte aufgrund fehlender Vorsorge die Schließungsdrohung auf dem Fuße. Das Debakel konnte erst nach scharfen Protesten in den Medien abgewendet werden.

Konjunktur durch Jahrestage

Die Defizite der Wissenschaftspolitik auf Landes- wie auf Bundesebene sind unübersehbar. Doch auch Sparpolitik kommt nicht ohne inhaltliche Leitvisionen aus. Und dass die kritische Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte als Teil der deutschen Geschichte für unsere historisch-politische Identität größte Bedeutung hat, steht wohl außer Frage.

Mit einem ganz anderen, grundsätzlichen Problem der deutschen Zeitgeschichtsforschung im 21. Jahrhundert, nämlich der ausgebliebenen Grundsatzdebatte über den eigenen Wissenschaftszweig, steht die DDR-Forschung nicht allein. Die Tatsache allerdings, dass die Forscher bislang nur punktuell ihr Selbstverständnis und ihre tradierten Arbeits- und Vermittlungsmethoden reflektiert haben, ist nicht zuletzt durch die geschichtsmoralische und -politische Aufladung nach 1989 zu erklären. In dem inzwischen entspannteren Diskussionsklima wäre es jedoch an der Zeit, die eigene Verantwortung gegenüber der Gesellschaft zu definieren. Wie erforschen und vor allem vermitteln wir DDR-Geschichte im Zeitalter der Medialisierung von Geschichte? Eine solche selbstkritische Standortbestimmung ist ungeachtet der tiefen Umwälzungen am Ende des letzten Jahrhunderts erst in zaghaften Umrissen erkennbar geworden.

Gabriele Camphausen war Leiterin der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen und Direktorin der Stiftung Topographie des Terrors. Ab Dezember ist sie in der Birthler-Behörde für Ausstellungen und Bildungsarbeit zuständig. Eine Bestandsaufnahme der DDR- und NS-Forschung in Berlin und Brandenburg, die sie für den Senat gemacht hat, ist im Internet abrufbar: www.science.berlin.de

Gabriele Camphausen

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