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Gesundheit: Kinder von Kannibalen

Unsere Urahnen waren vermutlich Menschenfresser und litten an Creutzfeldt-Jakob

Das kleine Volk der Fore lebt zurückgezogen im Bergland von Papua-Neuguinea. Mitte des letzten Jahrhunderts wurde es durch eine unheimliche Krankheit bekannt: Kuru. Die Betroffenen konnten nicht mehr gehen, nicht klar denken. Innerhalb von wenigen Monaten waren sie tot. Jahre später fanden Mediziner die Ursache für den Ausbruch der Seuche: Der Krankheitserreger war durch den Verzehr von Menschenfleisch übertragen worden. Die Fore waren Kannibalen.

Vor diesem Hintergrund haben Forscher vom Londoner University College jetzt eine gewagte Theorie aufgestellt. Unter den ersten modernen Menschen vor Zehntausenden von Jahren grassierte vermutlich eine ähnliche Epidemie, berichten sie heute im Fachblatt „Science“. Auch unsere Vorfahren waren daher vermutlich Kannibalen.

Die Information dazu stammt aus den Genen. Kuru gehört nämlich zu den Prionen-Krankheiten, genauso wie die neue Variante von Creutzfeldt-Jakob beim Menschen, BSE beim Rind und Scrapie beim Schaf. Es ist ein Gen bekannt, das vermutlich eine gewisse Immunität gegen Creutzfeldt-Jakob verleiht. Das Gen ist weltweit verbreitet. Allerdings besitzen auf allen Kontinenten nur weniger als die Hälfte der Menschen eine Kopie davon.

Das Team um den BSE-Experten John Collinge hat nun das Erbgut der Fore-Ältesten untersucht. Sie haben festgestellt, dass ein Großteil der Überlebenden der Kuru-Seuche tatsächlich eine Kopie des Immunitätsgens trägt. 23 von 30 untersuchten Frauen haben es, das sind mehr als unter den jungen Fore und deutlich mehr als im Durchschnitt der Weltbevölkerung. Dieser Befund lasse sich nur unter Einbeziehung der evolutionären Entwicklung erklären, schreiben die Forscher. „Kuru übte einen starken Selektionsdruck auf die Fore aus, so dass sich das Gen bei ihnen binnen kurzer Zeit verbreitete."

Warum haben dann aber Menschen in der ganzen Welt dieses Gen? Im Gegensatz zu Kuru bei den Fore ist Creutzfeldt-Jakob weltweit keine große Bedrohung. Die Krankheit tritt sporadisch nur bei einem Menschen unter einer Million auf. Wir bräuchten dieses Schutz-Gen also eigentlich gar nicht.

Ein Gen, das Immunität verschafft

Bei dem Immunitätsgen handelt es sich um die mutierte Version des Gens für das Prionen-Protein. Bei Creutzfeldt-Jakob falten sich die Prionen falsch und bilden schädliche Klumpen, vor allem im Gehirn. Die mutierte Version des Prions verklumpt vielleicht nicht so stark und schützt deshalb vor der Krankheit, vermuten Mediziner.

Collinge und seine Kollegen haben herausgefunden, dass die Mutation des Prionen-Gens vor mehr als 500 000 Jahren entstand. Eine solche Mutation kann sich jedoch nur etablieren, wenn sie einen Nutzen hat – so wie bei den Fore, als Schutz gegen Kuru. „Die wahrscheinlichste Erklärung ist, dass mehrere Ausbrüche einer Prionen-Krankheit unter den frühen Menschen dem mutierten Gen einen Selektionsvorteil verschafft haben“, schreiben die Forscher.

Vielleicht wurde die Krankheit vom Tier auf den Menschen übertragen. Vielleicht erzählen uns aber auch die Fore die Geschichte von damals. Denn die Fore praktizierten Kannibalismus als Teil eines Begräbnisrituals. Nach dem Tod eines Familienmitglieds wurde das Gehirn der nächsten weiblichen Verwandten überreicht. Sie verzehrte es gemeinsam mit ihren Kindern. Die Fore begannen mit diesem Brauch erst Ende des 19. Jahrhunderts. Wenige Jahre später traten die ersten Fälle von Kuru auf.

Die Fore hatten offenbar die Überreste eines der seltenen an Creutzfeldt-Jakob erkrankten Menschen verspeist. Schließlich ist gerade das Gehirn, die Delikatesse beim Leichenschmaus, von der Krankheit betroffen. So konnte sich Kuru, die Creutzfeldt-Jakob-Abart, rasend schnell verbreiten. In einigen der Fore-Dörfer erkrankten zeitweise fast alle Frauen. In den 50er Jahren wurde das Ritual auf der Pazifikinsel verboten: Die Krankheit ging schlagartig zurück.

Die Existenz von Kannibalismus bei unseren Vorfahren ist unter Fachleuten bis heute nicht unumstritten. Einige Anthropologen haben auf fossilen Menschenknochen Einkerbungen gefunden, die von Menschenfressern herrühren könnten. Vielleicht liegt nun ein weiterer Hinweis vor. Collinge und Kollegen jedenfalls meinen, dass sich „die Befunde gut durch Kannibalismus bei den frühen Menschen erklären lassen".

Elke Binder

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