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Gesundheit: Kleiner großer Unterschied

Doch nicht so ähnlich wie gedacht: Geringe Abweichungen im Erbgut von Mensch und Schimpanse haben erhebliche Folgen

Es ist schon fast ein geflügeltes Wort, dass Mensch und Schimpanse sich kaum unterscheiden – zumindest, was das Erbgut angeht. Immer ist davon die Rede, dass wir genetisch zu 99 Prozent mit unseren nächsten Verwandten im Tierreich identisch sind. 45 Forscher aus Japan und Deutschland haben nun genau hingesehen und einen kleinen Teil des Erbguts von Mensch und Affe mit bisher ungekannter Genauigkeit verglichen. Das Ergebnis überrascht, denn es zeigt: Auf den ersten Blick geringe Unterschiede in der Erbsequenz haben große Folgen.

Die Wissenschaftler verglichen das Chromosom 21, das kleinste aller menschlichen Erbträger, mit seinem Pendant beim Schimpansen, dem Chromosom 22. Wie sie im Fachblatt „Nature“ (Band 429, Seite 382) berichten, beträgt die Zahl der geringfügigen Abweichungen lediglich 1,44 Prozent. Das heißt, dass etwa an jeder 100. Stelle im genetischen Code bei Affe und Mensch ein anderer Buchstabe auftaucht. Zusätzlich aber gibt es 68000 längere Abschnitte von Erbinformation, die seit dem letzten gemeinsamen Vorfahren vor sechs Millionen Jahren jeweils hinzugekommen oder verloren gegangen sind. Die meisten dieser Erbgutschnipsel enthalten weniger als 30 „Buchstaben“, manche aber sind bis zu 54000 Bausteine lang.

Alles in allem haben diese Unterschiede ganz erhebliche Folgen, wie die Wissenschaftler herausfanden. Sie entdeckten 231 Gene, also „kodierende“ Abschnitte auf der Erbsubstanz. Das sind jene Teile der Erbinformation, die die Bauanleitung für Eiweißmoleküle (Proteine) tragen. Die große Überraschung: Bei 83 Prozent dieser wichtigen Abschnitte gibt es Abweichungen zwischen Mensch und Tier. Sie äußern sich darin, dass die aus Aminosäuren zusammengesetzten Proteine sich hier und da unterscheiden. Und das, obwohl die Abweichung bei einzelnen Buchstaben nur 1,44 Prozent beträgt.

Allerdings zeigt ein Blick in die Natur, dass man auch diese Zahl genauer betrachten sollte: Wenn sich schon diese beiden Arten in fast allen Genen und Proteinen unterscheiden, wo sollten da die viel größeren Differenzen zwischen Mensch und Elefant oder gar zwischen Mensch und Stubenfliege versteckt sein?

Um diese Diskrepanz aufzuklären, holt Richard Reinhardt vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin weit aus. Damit ein Protein richtig funktioniert, ist seine äußere Form meist viel wichtiger als die Reihenfolge der einzelnen Bausteine.

Bei 140 der untersuchten Proteine mögen zwar einer oder sogar mehrere Bausteine zwischen Mensch und Schimpanse verschieden sein, die Form des Proteins hat sich durch diesen Austausch aber gar nicht oder kaum geändert. So eine minimale Änderung kann bei einem Protein für die Augenfarbe vielleicht dafür sorgen, dass der Farbton eine Spur intensiver oder blasser wird. Im Prinzip aber ändert dieser Unterschied am Blau oder Braun der Augen wenig.

Sortieren die Wissenschaftler solche weniger bedeutenden Unterschiede aus, bleiben mit 47 Proteinen immerhin noch rund 20 Prozent der untersuchten Gene übrig, bei denen sich größere Abweichungen zeigen – deutlich mehr als 1,44 Prozent, aber weniger als 83 Prozent.

Weil das Chromosom 21 das kleinste aller 22 Körper-Chromosomen ist, wurde die Reihenfolge seiner Bausteine bereits erheblich früher und genauer bestimmt als bei anderen Chromosomen. Die Forscher mussten also nur noch die Reihenfolge der Bausteine des Chromosoms 22 beim Schimpansen exakt aufklären, das dem menschlichen Chromosom 21 wie ein Zwillingsbruder ähnelt.

Mit 33128 Millionen Bausteinen bildet das menschliche Chromosom 21 rund ein Prozent der gesamten Erbsubstanz. Im Falle der 32800 Millionen Bausteine des Schimpansen-Chromosoms 22 ist das Verhältnis ähnlich. Sollten in den restlichen 99 Prozent des Erbgutes beider Arten ebenfalls 20 Prozent der Proteine deutlich verschieden sein, dürften insgesamt einige 1000 Proteine zwischen Mensch und Schimpanse stark variieren. Die könnten jede Menge Unterschiede zwischen den Arten erklären.

Die Berliner Max-Planck-Forscher möchten als Nächstes die Geschlechtschromosomen vergleichen. Dort sitzen auch Gene, die mit Krankheiten wie Alzheimer und Epilepsie zusammenhängen.

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