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Gesundheit: Klonkrebse

Exotische Tiere könnten einheimischen Arten gefährlich werden

In den 90er Jahren stellten Aquarianer in Süddeutschland fest, dass sich einzeln gehaltene, exotische Flusskrebse in ihren Becken fortpflanzten. Die Tiere brachten Nachwuchs hervor, ohne dass sie sich zuvor gepaart hatten. Biologen aus Berlin und Heidelberg sind den Gerüchten über die ungewöhnliche Vermehrung der Krebse nachgegangen. Wie sie nun im Fachmagazin „Nature“ berichten, hatten einige der Hobbyzoologen Recht: Die Tiere können sich ohne Partner vermehren: durch Jungfernzeugung.

„Wir haben über 150 Individuen untersucht, in allen Entwicklungsstadien, und es handelte sich ausnahmslos um Weibchen“, sagt Gerhard Scholtz von der Humboldt-Universität in Berlin. Gelegenheit zur sexuellen Fortpflanzung durch Paarung mit einem Männchen hatten die Tiere also nicht.

Von Süßwasserkrebsen ist allerdings bekannt, dass Weibchen die fadenförmigen Samenpakete der Männchen über Monate in Samentaschen verwahren können. Die jungen Marmorkrebse hätten also auch aus länger zurückliegenden Paarungen hervorgehen können. Das überprüften die Biologen an einem ausgewachsenen Weibchen, das alleine in einem Becken gehalten wurde.

Das Weibchen häutete sich im Verlauf der Untersuchung. Dabei werden die Samentaschen vollständig geleert. Doch das Tier fuhr auch nach der Häutung mit der Produktion von 30 oder mehr Eiern fort. Aus den nachweislich unbefruchteten Eiern entwickelten sich natürliche Klone, genetische Kopien des Muttertiers.

Diese als Parthenogenese bezeichnete Vermehrung kommt als Normalfall bei Lebewesen vor, die einen Lebensraum schnell besiedeln müssen. So können sich Wasserflöhe rasch in Tümpeln vermehren, die periodisch austrocknen. Parthenogenese ist auch von Insekten wie Blattläusen und bestimmten Schmetterlingen bekannt. Auch Wirbeltiere können sich parthenogenetisch fortpflanzen. Von einer nordamerikanischen Eidechsenart weiß man, dass in einigen Gebieten nur Weibchen vorkommen. Die Tiere vermehren sich dort ebenfalls ohne Männchen.

Die Marmorkrebse unterscheiden sich im Verhalten nicht wesentlich von den heimischen Arten. Den Tag verbringen sie meist im sicheren Versteck unter Steinen, nachts wandern sie auf Nahrungssuche umher. Die Tiere sind Allesfresser, die lebende Beute überwältigen können, aber auch Aas und pflanzliche Nahrung nicht verschmähen.

Mit ihrer besondern Vermehrungsfähigkeit besiedeln die Tiere die letzten Gewässer, in denen sich heimische Krebsarten halten können. Ein einzelner ausgesetzter Marmorkrebs könnte eine neue Population gründen – laut Scholtz eine „extreme Bedrohung“ für Stein-, Dohlen- und Edelkrebse.

Die Marmorkrebse sind zudem potenzielle Überträger der „Krebspest“. Die Pilzinfektion wurde bereits mit dem Amerikanischen Krebs, Oronectes limosus, nach Deutschland eingeschleppt. Diese Tiere waren erstmals 1890 im Odergebiet eingeführt und als Speisekrebs seither an vielen weiteren Stellen ausgesetzt worden. Der Amerikanische Krebs ist fruchtbarer, stellt geringere Ansprüche an die Wasserqualität und ist, wie wahrscheinlich auch der Marmorkrebs, immun gegen die Krebspest. Die Krankheit und die Konkurrenz mit den eingeschleppten Tieren löschten vielerorts die Bestände der heimischen Arten aus.

Die heimischen Flusskrebse kommen nur noch in vereinzelten Gebieten vor, alle Arten gelten heute in Deutschland als hochgradig gefährdet. Die Marmorkrebse könnten – einmal ins Freiland gelangt – diese Restpopulationen verdrängen. „Wir wissen noch nicht, was mit den Tieren im Freiland passiert“, sagt Scholtz. Es sei unklar, ob Marmorkrebse auch einen strengen Winter überstehen können. Bislang gibt es keine bestätigten Berichte über ihr Vorkommen. Doch die steigende Beliebtheit als „Zierkrebs“ im Aquarium oder als Delikatesse auf dem Teller könnte die unerwünschte Ansiedlung begünstigen.

Patrick Eickemeier

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