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Gesundheit: Knochenarbeit

Bewegung und regelmäßiges Krafttraining sind gut für unser Skelett – Joggen aber könnte es brüchiger machen

„Das Leben ist eine Baustelle“ – ein Filmtitel, wie geschaffen als Motto für jedes Biologiebuch. Gebaut wird dabei nicht zuletzt an unserem Knochengerüst. Denn das ist ausgesprochen lebendig, auch wenn es der Tod ist, der in der Kunst traditionsgemäß durch ein nacktes Skelett dargestellt wird.

So lange der Mensch lebt, wird das Skelett ständig umstrukturiert, es hat einen Stoffwechsel, es ist Schauplatz von Auf, Um- und Abbauprozessen. Neben der Ernährung, die das Kalzium bereitstellen muss, das in die Knochen eingelagert wird, spielt dabei auch Bewegung eine Schlüsselrolle. Wo Muskelkraft fehlt, fehlt auch dem Knochen der Anreiz, sich stabil zu halten.

Es droht dann, vor allem mit zunehmendem Lebensalter, Osteoporose, der gefürchtete Knochenschwund. Dabei nimmt nicht nur die Knochenmasse ab, die Knochen verändern auch ihre Architektur, werden porös und brüchig. Die Weltgesundheitsorganisation WHO zählt die Osteoporose inzwischen zu den zehn wichtigsten Leiden, allein in Deutschland sollen fünf bis sieben Millionen Menschen betroffen sein.

Da Bewegung zur Vorbeugung empfohlen wird, klingt es plausibel, dem Leiden buchstäblich davonzulaufen: durch regelmäßiges Joggen. Eine neue Studie, erschienen im Fachblatt „British Journal of Sports Medicine“, legt jetzt überraschenderweise eher den gegenteiligen Schluss nahe.

Bei 52 Langstreckenläuferinnen wurde dafür die Knochendichte an Lendenwirbelsäule und Schenkelhals gemessen. Darunter waren Frauen, die täglich nur eineinhalb Kilometer joggten, aber auch Marathonläuferinnen. Erwartungsgemäß hatten die Frauen mit dem höheren Body-Mass-Index (BMI, Gewicht in Kilo geteilt durch Größe im Quadrat) auch eine höhere Knochendichte, jedenfalls dann, wenn das höhere Gewicht auf das Konto der Muskelmasse ging. Darüber hinaus zeigte sich aber auch eine klare Beziehung zwischen regelmäßig gelaufener Strecke und Knochen: Je mehr Kilometer die Sportlerinnen zurücklegten, desto geringer war die gemessene Knochendichte.

Brüche durch Ermüdung

Macht Joggen also die Knochen poröser? So weit wollen die britischen Forscher mit ihren Schlussfolgerungen nicht gehen. Erst Langzeitstudien, in denen die Auswirkungen des regelmäßigen Dauerlaufs in mehreren Etappen verfolgt werden, könnten darüber Aufschluss geben.

Auch Dieter Felsenberg, Leiter des Zentrums für Muskel- und Knochenforschung am Berliner Franklin-Klinikum, hält nichts von so weit reichenden Schlüssen. „Wir wissen schon länger, dass Ausdauersportarten wie Joggen, Schwimmen und Radfahren nur spezielle Ausdauer-Muskelfasern beanspruchen.“ Diese Muskelfasern aber sorgen nicht für Knochenwachstum – das schaffen nur die Muskelfasern, die durch starke Kräfte gefordert werden.

Werden sie beansprucht, reizen sie die Knochen zum Aufbau – etwas, worauf Leistungssportler angewiesen sind. Um die Knochen dicht und stabil zu halten, muss also zum Laufen, das der Kondition dient, ein wenig Krafttraining hinzukommen. „An der Muskelkraft muss ein Leben lang gearbeitet werden.“ Das beginnt schon in der Kindheit und Jugend, den Lebensphasen, in denen das Skelett durch geeignete, kalziumreiche Ernährung und viel sportliches Spiel gewissermaßen das Kapital anhäuft, von dem es später lebt. Zinsschwankungen und altersbedingte Verluste sind besser zu verkraften, wenn diese Grundausstattung solide ist. Exzessiver Leistungssport allerdings kann dazu führen, dass die natürlichen Reparaturmechanismen gestört werden. Wenn sie nicht ausreichen, sind kleinste Zerstörungen der Knochenstruktur, Verformungen und sogar Brüche („Ermüdungsfrakturen“) die Folge.

Es gibt einen weiteren wichtigen Aspekt: Die Joggerinnen, deren Knochen für die britische Studie genauer unter die Lupe genommen wurden, waren zwischen 18 und 44 Jahre alt. Bei jungen Sportlerinnen im fortpflanzungsfähigen Alter ist, vor allem wenn sie sehr schlank sind, oft der Hormonstoffwechsel gestört.

Hungernde Athleten

Kunstturnerinnen, die als Kinder mit dem Leistungssport beginnen, haben zum Beispiel oft erst sehr spät ihre erste Monatsblutung. Immer mehr junge Frauen leiden unter „Anorexia athletica“, verbinden also ein ehrgeiziges Sportprogramm mit Hungerkuren. Dann setzt die Periode für längere Zeiträume aus. Das ist gefährlich, denn die Stabilität von Frauenknochen steht in engem Zusammenhang mit dem Hormon Östrogen, von dem in diesen Fällen zu wenig im Körper kursiert. „Die Östrogene machen den Knochen sensibler für die Reize, die auf ihn ausgeübt werden“, sagt Felsenberg.

Und zwar von Anfang an. Bis zur Pubertät verläuft bei Jungen und Mädchen in Sachen Knochen alles vergleichbar: Je mehr Muckis das Kind aufbaut, desto kräftiger werden die Knochen. Danach aber schaffen es die Mädchen, sich mit weniger Muskelmasse mehr Knochenmasse zuzulegen: 15 Prozent mehr, als ein Junge mit gleicher Muskelmasse zustande brächte. Reserven, die bei einer späteren Schwangerschaft nützlich werden.

Wichtig ist das Knochen-Kapital jedoch auch nach den Wechseljahren, wenn im Körper weniger Östrogene gebildet werden. 80 Prozent aller Osteoporose-Patienten sind Frauen, meist im höheren Lebensalter. Ein kleiner Fitness-Test, den Felsenburg zur Risiko-Einschätzung empfiehlt, besteht darin, so schnell wie möglich fünfmal hintereinander von einem Stuhl aufzustehen und sich wieder hinzusetzen. Dazu sollte man nicht mehr als zehn Sekunden brauchen.

Doch welcher Sport dient nun der Vorbeugung am besten? Gewichtheber und Boxer verfügen nicht nur über beeindruckende Muskelpakete, sondern auch über fast doppelt so viel Knochenmasse wie ihre gleichaltrigen Zuschauer. Nur wird man Sportmuffel dazu animieren können, mit 50 noch in den Ring zu steigen? Felsenberg empfiehlt das regelmäßige schnelle Gehen: „Powerwalking fordert die dynamische Muskulatur heraus und stellt gleichzeitig hohe Anforderungen an die Koordinationsfähigkeit der Muskeln.“ Auch ein Krafttraining tut den Knochen gut. Joggen kann man ja außerdem – für Herz und Kreislauf. Und für die Stimmung: Bewegung hebt nachweislich das Gemüt.

Adelheid Müller-Lissner

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