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Gesundheit: Köpfe statt Beton

Radikaler SPD-Vorstoß: Autobahnen sollen nicht mehr als Investitionen gelten – dafür die Forschung

Investitionen, so lautet ein bisher unumstößlicher Glaubenssatz des deutschen Haushaltsrechts, sind Gelder, die für Beton ausgegeben werden. Für Sportplätze, Autobahnen, Schwimmhallen, Brücken, Gebäude, Labors. Als die einstige Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn ihr Vier-Milliarden-Programm für die Einrichtung von mehr Ganztagsschulen in Deutschland auflegte, durfte sie mit dem Geld nur Schulbauten fördern. Die Errichtung von Küchen für das Mittagessen, den Bau von Werkstätten für handwerkliche Übungen der Schüler am Nachmittag – das war erlaubt. Aber kein Bundesgeld konnte dafür abgezweigt werden, um zusätzliche Lehrer, Sozialarbeiter und Betreuer für den Ganztagsschulbetrieb einzustellen. Für das Personal müssen allein die Länder zahlen.

Ähnlich verlaufen die Linien bei der Investitionshilfe für den Osten. Wiederholt wurde allein Sachsen gelobt, weil es die Kriterien einhält. Sachsen hatte die Investitionshilfen für den Aufbau Ost in die Infrastruktur des neuen Leipziger Flughafens, in Rollbahnen, Autobahnanschluss, Brücken gesteckt. Die anderen Länder im Osten wurden dagegen gescholten, weil sie die Investitionsgelder auch zur Schließung von Haushaltslücken und für Personalkosten verbrauchten. Das wurde ihnen angekreidet, selbst wenn mit den Geldern Lehrer oder Wissenschaftler bezahlt wurden, deren Tätigkeit zur Heranbildung der neuen Generationen weit in die Zukunft weist.

Der Verfassungsrechtler und ehemalige Präsident der Humboldt-Universität, Hans Meyer, brachte diese schizophrene Situation auf den Punkt: „Es ist nicht zu verstehen, dass ein Meter neu gebauter Straße eine Investition ist, aber ein Meter angeschaffter Bücher in einer Bibliothek nicht.“ Meyer forderte, für die Mischfinanzierungen müsse der Investitionsbegriff erweitert werden.

Nun kommt vielleicht Bewegung in die festgefahrenen Gleise der juristischen Interpretation: Thomas Oppermann (SPD), der ehemalige Wissenschaftsminister von Niedersachsen und Rechtsexperte seiner Partei im Bundestag, will die Diskussion um die zweite Stufe der Föderalismusreform nutzen, um künftig alle Aufwendungen für die Forschung als Investitionen anzuerkennen anstelle der Investitionen in Beton und Infrastruktur. Das würde gewährleisten, dass der Bund im Rahmen eines derart gefassten neuen Investitionsbegriffs erstmals auch Wissenschaftler bezahlen könnte.

Oppermann gehört dem Ausschuss für Bildung und Forschung des Bundestages an und arbeitet in der Arbeitsgruppe der SPD-Bundestagsfraktion mit, die die Föderalismusreform II begleitet. Sein Vorstoß ist mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck abgesprochen.

Seinen Vorstoß für eine Neufassung des Investitionsbegriffs begründet Oppermann gegenüber dem Tagesspiegel so: „Schon jetzt fallen Gebäude, die der Forschung dienen, unter den klassischen Investitionsbegriff, ebenfalls sind damit Großgeräte oder der Bau von Forschungsschiffen erfasst. Nicht jedoch die Personalkosten für Forscher.“ Oppermann sagt: „Forschung ist aber die notwendige Voraussetzung für Innovationen. Sie bringt neue Produkte und Verfahren hervor, aus denen Investitionen und Arbeitsplätze folgen können.“ Einem Sonderforschungsbereich der Deutschen Forschungsgemeinschaft, zu dem auch die dort arbeitenden Wissenschaftler gehörten, könne man einen zukunftbegünstigenden Charakter genauso wenig absprechen wie dem Bau einer Autobahn. Eine enge Bindung an die Zukunft sei durch die Forschung sogar eher gegeben. „Denn eine in der Forschung starke Gesellschaft, die ständig neues Wissen erzeugt, schafft für die Volkswirtschaft ein kreatives und innovatives Umfeld, das für das Wachstum in der Wissensgesellschaft unentbehrlich ist“, sagt Oppermann.

Dieser Zukunftsbezug ist in der Rechtsprechung über den Investitionsbegriff ausgesprochen wichtig. Seit 1969 ist die Höhe der Kredite, die bei einer Neuverschuldung des Bundeshaushalts aufgenommen werden dürfen, an die Höhe der Investitionsmittel gebunden. Das bestimmt der Artikel 115 des Grundgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht hat 1989 den Artikel 115 so ausgelegt: Investitionen für öffentliche Aufgaben sollen die Produktionsmittel der Volkswirtschaft erhalten, vermehren oder verbessern. Ihr notwendiges Merkmal ist die „Zukunftswirksamkeit“. Das Bundesverfassungsgericht gab dem Gesetzgeber auf: Er solle den Investitionsbegriff so präzisieren, dass er einer Staatsverschuldung vorbeuge, die den Bundeshaushalt für die Zukunft stark belastet und damit den Entscheidungsspielraum für die Lösung künftig vordringlicher Probleme „über Gebühr beschneidet“.

Vieles war 1969 nicht vorhersehbar. Oppermann belegt das mit folgendem Beispiel: „Heute kommt es für die wirtschaftliche Kraft eines Landes nicht mehr allein auf Infrastruktur wie Straßen und Schienen oder, auf Industrieanlagen an, sondern immer stärker auf Wissen.“

Ein neuer Investitionsbegriff hätte Folgen für die Wissenschaft, für die Ostförderung, die EU-Defizitkriterien und auch für die Höhe der Staatsverschuldung. Um hier die Grenzen nicht ins Uferlose zu verschieben, möchte Oppermann nur Forschung und Entwicklung unter den neuen Investitionsbegriff fassen, nicht jedoch allgemein die Aufwendungen für Bildung. Würde man alle Bildungsausgaben, die überwiegend in den Länderhaushalten stecken, als Investition ansehen, könnte das die Verschuldungsgrenze ins Uferlose treiben. Gefragt sei aber eine Schuldenbremse. Die findet Oppermann in folgender Formulierung für die Neufassung des Artikels 115: „Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltplan veranschlagten Ausgaben für Forschung und Entwicklung nicht überschreiten."

Der Ersatz des klassischen Investitionsbegriffs durch einen modernen Forschungsinvestitionsbegriff könnte dem Gebot der Zukunftswirksamkeit „in besonderer Weise Rechnung tragen“, meint Oppermann. Für Forschung und Entwicklung seien nur 10 Milliarden Euro im Etat, für Investitionen dagegen knapp 24 Milliarden Euro. „Der Finanzminister müsste nach der Devise handeln ,Schulden runter – Forschungsausgaben rauf’, oder beides gleichzeitig. Die Chancen künftiger Generationen würde das in jedem Fall erweitern.“ Die Wissenschaftler werden das gerne hören. Denn in der Hochschulrektorenkonferenz als auch im Wissenschaftsrat wünscht man sich schon lange eine Öffnung des Investitionsbegriffs zugunsten der Forschung.

Uwe Schlicht

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