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Gesundheit: Kosmischer Schwund

Zwei Drittel des nach dem Urknall gebildeten Lithiums fehlen. Jetzt kennt man den Grund

Was genau beim Urknall passierte, scheint unvorstellbar. Alles, was existiert, soll darauf zurückgehen. Wie soll man diese Theorie nachprüfen, wie soll man nachweisen, was vor 14 Milliarden Jahren innerhalb von Sekundenbruchteilen geschah? Physiker, Astronomen oder Chemiker haben sich an die mühevolle Arbeit gemacht. Mit Riesenfernrohren, die auf Bergen oder in Wüsten stehen, oder mit dem Weltraumteleskop Hubble spüren sie auch die fernsten Objekte auf. Analysiert wird das Licht mit Spektrometern, um die chemische Zusammensetzung der Sterne zu ergründen.

Viele theoretische Vorhersagen haben sich bestätigt, doch es gibt auch Widersprüche. Einer betrifft die Menge an Lithium, die sich in den ältesten Sternen befindet, also denjenigen, die sich als erste nach dem Urknall gebildet haben. Die Messungen stimmen nicht mit der Theorie überein. Diese sagt eine zwei- bis dreifach größere Menge des Leichtmetalls voraus, als sich nachweisen lässt.

Nun liefert ein internationales Forscherteam um Andreas Korn vom Astronomischen Observatorium im schwedischen Uppsala eine Erklärung. Verbrennung im Innern der Sterne habe die ursprünglich vorhandene Menge an Lithium verringert, schreiben sie in der Fachzeitschrift „Nature“ (Band 442, Seite 657). Ihre Erkenntnisse fundieren auf Beobachtungen eines Kugelsternhaufens namens NGC 6397. Diese etwa 7200 Lichtjahre entfernte dichte Ansammlung von rund 400 000 Sternen gehört zu den ältesten Objekten in der Milchstraße und enthält noch ziemlich unverfälscht die elementaren Überreste des Urknalls.

Das Team um Korn nahm 18 dieser Sterne ins Visier. Das geschah mit dem „Very Large Telescope“ der Europäischen Südsternwarte in der chilenischen Atacama-Wüste. Die Forscher fanden heraus, dass diese alten Sterne einen großen Teil des ursprünglich vorhandenen Lithiums selbst vernichtet haben. „Diese Erkenntnis kann das Vertrauen in die bisherige Theorie wiederherstellen“, schreibt Corinne Charbonnel vom Genfer Observatorium in einem Kommentar in „Nature“ (Seite 636).

Die Prozesse zur Bildung der ersten Atomkerne begannen etwa eine Hundertstelsekunde nach dem Urknall. Zuerst entstanden Protonen und Neutronen, aus denen der kosmische Fusionsreaktor hauptsächlich Wasserstoff und Helium bildete. In weit geringerem Maße wurde auch Lithium produziert, und zwar das Isotop Lithium-7, dessen Kern aus drei Protonen und vier Neutronen zusammengesetzt ist.

Vor einigen Jahren wurde nun entdeckt, dass sich nur etwa ein Drittel der nach der Urknall-Theorie berechneten Menge an Lithium in den alten Sternen wiederfindet. Eine Erklärung des Mangels könnte sein, dass die Metallatome von der Oberfläche der Sterne ins Innere gewandert sei, um bei Temperaturen von mehr als zweieinhalb Millionen Grad Kelvin zu verbrennen.

Doch welche Prozesse könnten das Lithium von außen nach innen befördert haben? Diffusion, wie es bei Atomen in Gasen üblich ist, scheidet Charbonell zufolge als Hauptursache aus. Sie schließt dagegen auf kräftige Vermischungsprozesse. Ursache könnten die Sternrotation oder interne Gravitationswellen sein.

Die Zuverlässigkeit der Überlegungen zeigt die Extrapolation der Lithium-Menge auf den Urknall. Der von Korn und Kollegen gefundene Wert stimmt mit dem theoretisch berechneten überein. „Die Lithium-Krise ist vorüber“, schreibt Charbonnel.

Paul Janositz

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