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Gesundheit: Kreativ deprimiert

Vor 100 Jahren wurde der Analytiker Bruno Bettelheim geboren

Selten ist eine idealisierte Figur unmittelbar nach ihrem Tod so schnell und schrill angeprangert worden wie Bruno Bettelheim. Als sich der jüdische österreichisch-amerikanische Psychoanalytiker 1990 umbrachte, tauchten wenig später massive Vorwürfe auf: Bettelheim, so berichteten ehemalige Patienten, habe ihm anvertraute Zöglinge geschlagen, habe betrogen und plagiiert, so ein amerikanischer Anthropologe, habe seine Karriereplanung auf Lügen aufgebaut, wie Bettelheims Biograf Richard Pollak schreibt.

Wie anders das öffentliche Bild zuvor aussah, verdeutlicht eine Episode von 1982: Als Woody Allen „Zelig“ drehte, besetzte er die Gastrolle des weisen Pychoanalytikers mit Bettelheim. Bruno Bettelheim war damals eine weltweit geachtete Autorität auf dem Gebiet der Erziehung und der Psychotherapie.

Doch wer war der am 28. August vor 100 Jahren in Wien geborene Bruno Bettelheim wirklich? Wer sich seinem vielschichtigen Wesen und Werk annähern will, kann dies mit Hilfe einer dieser Tage erscheinenden Essaysammlung versuchen. Der amerikanische Kulturhistoriker und Psychoanalytiker David James Fisher, dem sich Bettelheim gegen Ende seines Lebens anvertraut hat, würdigt diesen als einen auf kreative Weise deprimierten Menschen, der sehr schroff und arrogant, aber genauso einfühlsam und gütig sein konnte. Einer, der wissenschaftlich stimulierte, aber auch irritierte. Ein Mann, der sich selbst und den die Öffentlichkeit als Erbe Sigmund Freuds ansah, der jedoch keine abgeschlossene psychoanalytische Ausbildung vorweisen konnte. Die Nazis hatten dies mit seiner Inhaftierung 1938/39 im KZ Dachau und Buchenwald verhindert.

Widersprüche kennzeichneten auch Bettelheims wissenschaftliche und therapeutische Arbeit. Einerseits schuf er als langjähriger Leiter der Orthogenic School an der Universität Chicago einen einfallsreichen Therapieansatz für schwer gestörte Kinder. Andererseits überzeichnete er seine therapeutischen Erfolge und findet heute mit seinen Autismus-Theorien kaum noch Resonanz.

Mit seinem Klassiker „Kinder brauchen Märchen“ (1976) rehabilitierte er allerdings nachhaltig die damals verpönten Märchen als pädagogisches Instrument zur Moralentwicklung und Problembewältigung. Mit seiner Parole „Eltern müssen nicht perfekt sein“ entlastete er verunsicherte Mütter und Väter. Bettelheim plädierte dafür, sich in das Kind wertschätzend einzufühlen – eine unter heutigen Pädagogen hoch geschätzte Kompetenz, die er selbst aber nicht immer beherzigte: Seine jüdischen Leidensgenossen provozierte Bettelheim mit seiner These von der angeblichen Passivität und Infantilität der NS- Opfer. 1943 hatte Bettelheim in Amerika die weltweit erste psychologische Studie über Extremerfahrungen im Konzentrationslager veröffentlicht – Erfahrungen, die auch ihn prägten. „Ich glaube, dass jeder, der eine Zeit in einem deutschen Konzentrationslager zugebracht hat, ein Gefühl der Schuld und Scham niemals los wird“, bekannte er 1988. Am 13. März 1990 nahm sich Bettelheim, der mehrere Schlaganfälle und familiäre Schicksalsschläge zu verkraften hatte, das Leben – am 52. Jahrestag der deutschen Besetzung Österreichs.

David James Fisher. Psychoanalytische Kulturkritik und die Seele des Menschen. Psychosozial-Verlag, Gießen (Herbst 2003). 204 Seiten. 24,90 Euro.

Klaus Brath

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