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Gesundheit: Kühler Kopf der Islamkunde Ulrike Freitag leitet das Berliner Zentrum Moderner Orient

Den ägyptischen Kupferteller ihres Vorgängers hat Ulrike Freitag noch nicht von der Wand genommen. Keine Zeit.

Den ägyptischen Kupferteller ihres Vorgängers hat Ulrike Freitag noch nicht von der Wand genommen. Keine Zeit. Sie ist seit vier Monaten Direktorin eines Forschungszentrums mit 22 Wissenschaftlern, Sonderprofessorin für Islamwissenschaft an der Freien Universität, Mutter von zwei Kindern, gerade ein und drei Jahre alt. Jeden Tag leiten, forschen, lehren und abends die Kleinen von der Krippe holen, das ist, wer wollte das bestreiten, ein zu volles Programm, um Zeit mit Fragen der Dekoration von Büroräumen zu vertrödeln.

Die 40jährige Historikerin, die bisher in London an der „School of Oriental and African Studies“ lehrte, hat in Berlin vier Jahre Zeit zu beweisen, dass das Zentrum Moderner Orient, ein geisteswissenschaftliches Institut außerhalb der Universitäten, mit regionalem Schwerpunkt, eine sinnvolle Ergänzung der Forschungslandschaft darstellt. Die Frage steht durchaus in der Diskussion. Im Jahr 2007 endet die Testphase für das bisher wenig bekannte Institut. Dann wird evaluiert.

Ulrike Freitag kennt es von ihrer Londoner Zeit nicht anders. An dem Department des ehemaligen Kolonialinstitutes arbeiteten Islamwissenschaftler, Historiker, Juristen, Politologen und Geografen gemeinsam zum Nahen Osten; eine ähnliche Fülle von Fachleuten forschte über Afrika, über Indien, über China, alles in einem Haus. Ähnlich interdisziplinär und vergleichend geht es im Berliner Zentrum zu. Die Arbeitsbedingungen sind gut: Es gibt genügend Gelder für Forschungsreisen und ausländische Gäste, keinen Zwang zur Lehre, wenig Bürokratie. Kein Wunder, dass sich da an den Hochschulen zuweilen Neid regt, auch wenn sie ebenfalls von der Vernetzung durch das Zentrum profitieren können und sollen.

Netzwerke faszinieren die blonde Frau mit der hellen Stimme und der knallblauen Brille. Sie entstehen dadurch, dass sich jemand bewegt – wie die von ihr untersuchten Migranten im Bereich des Indischen Ozeans. Diese historischen Migrationen erklären, warum es zwischen Bali, Ostafrika und Afghanistan seit Jahrhunderten gefestigte Netzwerke gibt, auf die terroristische Netzwerke jetzt aufbauen können. Die Globalisierung existiert schon viel länger, als wir dachten, lernen wir. Und: Sie ging keineswegs immer nur von Europa oder Amerika aus.

Seit Ulrike Freitag ein junges Mädchen war, hat sie die Länder rund um den Indischen Ozean bereist, am liebsten allein. Zuerst mit dem Sammeltaxi durch Tunesien, zum Sprachkurs nach Ägypten, zum Studium nach Syrien, zum Forschen nach Jemen, Singapur, Java. Auf den Straßen von Damaskus fühlt sich nachts sicherer als in der Innenstadt von London, sagt sie. Sie hat gelernt, wie man sich in diesen Welten bewegt. Selbst da, wo fast nichts mehr geht: in Saudi Arabien, wo allein reisende Frauen oft schon kein Visum erhalten, keine Hotelzimmer und Autos mieten dürfen, wo es getrennte Männer- und Frauenuniversitäten gibt und keinerlei öffentlichen Ort, an denen sie ihre männlichen Historikerkollegen treffen könnte.

„Man kann den Orient nur mit dem liebenden Herzen verstehen.“ Den Ausspruch von Annemarie Schimmel, der jüngst verstorbenen Grande Dame der Islamwissenschaften, kommentiert Ulrike Freitag so: „Es gibt doch noch den Kopf.“ Freitag gehört zu einer anderen Generation als Schimmel: Sie ist Historikerin, hält Abstand zu jeder Religion. Rationale Begriffe statt Umarmungsgesten und Kulturbotschaftertum. Natürlich gehöre eine Grundsympathie für den Forschungsgegenstand dazu, das bestreitet Ulrike Freitag nicht. Aber eigentlich ist Wissenschaft für sie eine Frage der Einstellung: egal ob Teilchenphysik, Mittelalter oder Islam. Und „den Orient“, den es in dieser Einheit ohnehin nicht gibt, zu verteidigen, eine weltanschauliche Gesamteinschätzung abzugeben, das, findet sie, gehört nicht zu ihren Aufgaben.

Ulrike Freitag arbeitet lieber mit westlich orientierten Forschern aus den muslimischen Ländern zusammen, zerlegt die kompakten Stereotype, historisiert, zeigt, dass auch ein Begriff wie „Dschihad“ unterschiedliche Bedeutungen zu verschiedenen Zeiten hatte. Wörtlich heißt „Dschihad“: „eine Anstrengung unternehmen“. Dieser Begriff wurde abwechselnd moralisch und militärisch interpretiert. Freitag will einer Instrumentalisierung von Begriffen durch solche nüchternen Analysen den Boden entziehen.

Wissenschaftler geben meist kompliziertere Antworten, als sie die Öffentlichkeit hören will. Da machen Ulrike Freitag und das Zentrum Moderner Orient keine Ausnahme. Zweifel säen, den Prozess des „Othering“ stören, wie sie es nennt, wenn eine Kultur sich lediglich über die Abgrenzung zur anderen definiert, kleine Wissenspakete schnüren, die unabhängig von Weltanschauungen nützlich sind, mehr will Ulrike Freitag eigentlich gar nicht. In aufgeregten Zeiten wie diesen ist das schon ziemlich viel. Wissenschaft als antifundamentalistisches Kühlsystem – ein kaltes Tuch auf einer Fieberstirn.

Kirsten Wenzel

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