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Gesundheit: Kündigungen verschoben

Charité-Vorstand und Gewerkschaft wollen nun doch weiter über Lohnverzicht verhandeln

Wenn am Freitag der Aufsichtsrat der Charité zusammenkommt, wird sich der Vorstand von Europas größtem Universitätsklinikum harter Kritik stellen müssen. Dabei geht es um unglückliche Personalentscheidungen, um wachsende statt sinkende Defizite und das hakende Tempo bei der Sanierung. Aber zumindest ein Konfliktfeld scheint entschärft: Der Charité-Vorstand und die Gewerkschaft Verdi haben jetzt angekündigt, die Verhandlungen über einen millionenschweren Gehaltsverzicht der rund 15 000 Charité-Mitarbeiter „baldmöglich“ fortzusetzen. Eine neue Situation, denn noch Mitte Mai hatte Vorstandschef Detlev Ganten erklärt, man habe nur noch bis zur Aufsichtsratsitzung Zeit für eine Übereinkunft. Sonst seien betriebsbedingte Kündigungen unausweichlich.

Doch der Plan des Charité-Vorstandes, bereits in diesem Herbst 500 Mitarbeiter betriebsbedingt zu entlassen, falls man sich mit Verdi nicht einigen könne, wäre gar nicht praktikabel gewesen. Eine derart hohe Zahl sei so kurzfristig nicht zu erreichen, heißt es aus dem Aufsichtsrat der Charité und aus dem Senat.

Insgesamt sollten sogar 1500 Mitarbeitern gekündigt werden, hatte der Vorstand des Universitätsklinikums nach den zunächst gescheiterten Verhandlungen über einen Nottarifvertrag im Mai angekündigt. Aber betriebsbedingte Kündigungen sind laut Arbeitsrecht an enge Grenzen gebunden. Um so viele Beschäftigte entlassen zu können, müssten zum Beispiel ganze Standorte der Charité geschlossen werden. Und das will zumindest im Uniklinikum derzeit keiner. Außerdem müsste eine zeitaufwendige Sozialauswahl getroffen werden – zum Beispiel nach Alter der Mitarbeiter oder nach Familienverhältnissen. Das kann Monate dauern. Außerdem wäre der Personalrat an dem Verfahren zu beteiligen – und der hat bereits seinen erbitterten Widerstand angekündigt. Und schließlich müssen für die Kündigungen Fristen eingehalten werden. „Natürlich wäre so etwas ein sehr kompliziertes Verfahren“, sagt Vorstandschef Ganten. „Deshalb wollen wir betriebsbedingte Kündigungen unbedingt vermeiden.“

Ähnliche Signale kommen vom zuständigen Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS), der am Dienstag Abend noch mit Verdi-Vertretern gesprochen hatte. Der Senator wolle keine betriebsbedingte Kündigungen an der Charité, heißt es aus der Verwaltung. Deshalb versuche er, zwischen den Seiten zu vermitteln. Am Ende müsse ein Vertrag stehen, die vergleichbar zu anderen öffentlichen Unternehmen einen Gehaltsverzicht bei gleichzeitigem Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen enthält.

Und auch Verdi will eine Einigung: „Wir sind bereit, über einen Lohnverzicht zu reden“, sagt Heike Spies, Krankenhausfachfrau von Verdi Berlin. „Aber die vom Vorstand geforderten 40 Millionen Euro Einsparung pro Jahr sind nicht drin, sonst werden die Charité-Mitarbeiter unter dem bezahlt, was ihre Kollegen von Vivantes bekommen.“

Aber nicht nur die Verhandlungen mit der Gewerkschaft sind für den Charité-Vorstand schwierig. Auch die Entscheidung, einen ehemaligen Stasi-Major als Leiter einer Abteilung einzustellen, hat im Berliner Senat Kopfschütteln über das vermeintlich fehlende Fingerspitzengefühl ausgelöst. Das nun auch teuer werden könnte. Mit dem Mann war eine Vertragslaufzeit von über fünf Jahren vereinbart worden, bei einem festen Jahresgehalt von 120000 Euro plus Erfolgsprämie. Weil sich die Charité nun von dem Mitarbeiter wegen öffentlicher Proteste trennen will, könnte sie gezwungen sein, den Vertrag trotzdem zu erfüllen – auch wenn der Vorstand derzeit davon ausgeht, dass der Mitarbeiter noch während seiner Probezeit entlassen wurde. Doch dies ist juristisch umstritten.

Die Probleme des Vorstandes sind damit aber noch nicht zu Ende. Wie jetzt bekannt wurde, ist man im Senat mit dem Tempo der Sanierung des Universitätsklinikums keineswegs zufrieden. Es wird kritisert, dass der Vorstand trotz der notwendigen Einsparungen beim Personal noch immer zu viele frei werdende Stellen neu besetze. Nun solle die Einstellungspraxis „restriktiver“ gehandhabt werden, heißt es. Einstellungsstopp? „Wir können dieses Instrument nicht ausschließen“, sagt Ganten.

Auch aus dem Aufsichtsrat kommt Kritik. So moniert der Präsident der Freien Universität, Dieter Lenzen, dass das Defizit von 20,1 Millionen Euro in 2003 auf 67,5 Millionen Euro 2004 gewachsen sei. Der Quartalsbericht für die ersten drei Monate 2005, der am Freitag im Aufsichtsrat diskutiert werden wird, lasse ebenso keine Besserung erkennen. Das Problem der Charité sei ihre schiere Größe und strenge Zentralisierung: „Es stellt sich die Frage, ob ein dreiköpfiger Vorstand nicht zu klein ist“, sagt Lenzen.

Tatsächlich käme man mit dem bisherigen Sanierungsbemühungen, vor allem dem Personalabbau, noch nicht schnell genug voran, sagt Ganten. „Wir diskutieren über Wege, das zu beschleunigen.“

Auf die im Klinikum kursierenden Gerüchte, er denke an Rücktritt, reagierte Ganten überrascht. Er habe noch keinen Gedanken auf einen solchen Schritt verwendet, sagte er. Wissenschaftssenator Flierl stellt sich hinter die Charité-Leitung. „Der Senator geht davon aus, dass der Vorstand seine Aufgabe erfüllen kann“, sagt dessen Referentin Brigitte Reich. Aber der Aufsichtsrat müsse seiner Kontrollen verstärken.

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