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Gesundheit: Lebendige Messfühler der Luftqualität

Mit Pflanzen prüft man die Abgasbelastung an Europas Straßen

An verkehrsreichen Straßen ist die Gefahr groß, dass es zu Mutationen im Erbgut von Pflanzen kommt. Das haben Wissenschaftler von „Eurobionet“, einem europäisches Forschungsprojekt, herausgefunden. In zwölf europäischen Ballungsräumen wurden Pflanzen als Messfühler für die Luftqualität eingesetzt. Geeignet als derartige Bioindikatoren sind Organismen, die auf Umweltbelastungen reagieren. Pflanzen sind gut zum Nachweis von Luftschadstoffen, da ihre Blätter im Austausch mit der Luft stehen.

Zum Nachweis der Erbgutveränderungen diente der lilablütige Spinnwurz (Tradescantia). Abgase und organische Substanzen beeinträchtigen die empfindlichen Knospen. Unterm Mikroskop sehen die Wissenschaftler dann kleine Stückchen Erbmaterial, die sich außerhalb des Zellkerns befinden. Die Anzahl solcher Kleinkerne ist ein Maß für die Belastung der Luft mit erbgutverändernden Schadstoffen. „In Edinburgh und Verona wurden erhöhte Werte festgestellt“, sagte der Biologe Andreas Klumpp jetzt bei einer Fachtagung zum Abschluss der dreijährigen Forschungsarbeiten an der Universität Hohenheim.

Das dortige Institut für Landschafts- und Pflanzenökonomie analysierte die Pflanzen, die aus mehr als 100 Stationen geliefert wurden. Das Messnetz zog sich von Kopenhagen, Sheffield und Edinburgh über Düsseldorf und Ditzingen bei Stuttgart, Lyon und Nancy, bis ganz in den Süden Europas nach Barcelona und Glyfada bei Athen.

Bioindikatoren zeigen anschaulich, wie Schadstoffe auf Organismen wirken. Mit physikalischen oder chemischen Methoden lassen sich zwar allerkleinste Mengen von Schadstoffen nachweisen, ob und auf welche Weise Pflanzen dadurch beeinträchtigt werden, lässt sich damit aber nicht feststellen. Denn die Wirkung hängt nicht nur von der Dosis, sondern auch vom Klima oder dem Boden ab. „Pflanzen schließen bei trockenem Klima die Atemöffnungen an den Blättern, so dass Schadstoffe schlechter eindringen“, sagt Klumpp.

Nicht nur sichtbaren Schäden an Blättern oder Blüten galt das Interesse der Wissenschaftler, auch die Speicherung von Schadstoffen in Grünpflanzen wurde festgestellt. Weidelgras (Lolium) etwa filtert Schwefel oder Schwermetalle wie Blei, Chrom oder Antimon aus der Luft und reichert diese Substanzen in den Blättern an. Die wachsüberzogenen Blätter des Grünkohls dienen dagegen als Speicher für organische Schadstoffe. Hierbei interessieren vor allem die polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe, die in Verkehrsabgasen enthalten sind.

Empfindlich auf bodennahes Ozon, den Sommersmog, reagieren bestimmte Tabaksorten. Die Blattschäden zeigen sich als charakteristisches Muster kleiner, brauner Flecken. Die Langzeitwirkungen lassen sich an Pappeln studieren, bei denen Ozon nicht nur sichtbare Schäden hervorruft; auch das Sprosswachstum verändert sich und das Laub fällt vorzeitig. Die Auswertung ergab ein deutliches Nord-Süd-Gefälle. Je mehr heiße Tage, desto mehr Sommersmog – eine Gleichung, die von den Bioindikatoren bestätigt wurde. So leiden Pflanzen in Barcelona mehr unter dem Ozonstress als etwa in Edinburgh oder Kopenhagen.

Da Ozon durch Abgase abgebaut wird, weisen die Pflanzen entlang stark befahrener Straßen einerseits weniger charakteristische Schäden auf. Dort ist allerdings die Belastung mit Schwermetallen, Schwefel oder organischen Substanzen größer als in den grünen Bezirken. Insgesamt habe sich die Luftqualität im Verlauf des Projekts gebessert, stellte Klumpp jetzt in Hohenheim fest. Besonders in Barcelona und Valencia sei die Belastung mit Blei zurückgegangen. Grund: in Spanien wurde im August 2001 bleihaltiges Benzin verboten.

Paul Janositz

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