zum Hauptinhalt

Gesundheit: Lehrer im Streik

Sachsen will hunderte Schulen schließen. Denn die Schülerzahlen sinken dramatisch

Statt zu ihren Klassen gingen die Lehrer in Sachsen gestern fast geschlossen auf die Straße. Vor allem in den Gymnasien und Mittelschulen tauschten sie die Tafelkreide gegen Protestbanner ein. Dort legten 95 Prozent bei einem Warnstreik ihre Arbeit nieder, an den Grundschulen waren es 40 Prozent. In Leipzig und Dresden demonstrierten jeweils 5000 Lehrer, in Chemnitz 3000, schätzte die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Die landesweiten Streiks und Demonstrationen sind der vorläufige Höhepunkt einer Protestwelle, die vor einer Woche begann. Die Lehrer, die in Sachsen keine Beamten sind und deswegen streiken dürfen, laufen Sturm gegen Pläne von Kultusminister Steffen Flath (CDU). Bis 2009 will Flath von den derzeit rund 33000 Lehrerstellen 7500 sozialverträglich abbauen. Die anderen Lehrer sollen weniger arbeiten – und weniger verdienen. In den derzeit laufenden Tarifverhandlungen will die Regierung erreichen, dass Arbeitszeit und Lohn auf 62 bis 73 Prozent des derzeitigen Niveaus sinkt. „Eine Provokation“, findet die GEW. Die Gewerkschaft akzeptiert allenfalls Kürzungen auf 80 Prozent.

Außerdem will die Landesregierung fast 150 Schulen schließen. Vor allem die Mittelschulen sind vom Aus bedroht, kündigte Flach bereits im März an. Jede dritte der 456 Mittelschulen könnte den Schulbetrieb einstellen. Die sächsischen Mittelschulen sind eine Mischung aus Haupt- und Realschule und die einzige Alternative zum Gymnasium. Auch die meisten Stellen sollen an den Mittelschulen abgebaut werden. Als die Eltern dieses Jahr ihre Kinder für die weiterführenden Schulen angemeldet haben, hätten 300 Mittelschulen nicht die Mindestschülerzahlen erreicht, sagt das Ministerium.

Der Streit in Sachsen könnte der Vorreiter für ähnliche Konflikte in anderen Bundesländern sein. Denn hinter den Auseinandersetzungen steckt ein Problem, das ganz Deutschland betrifft: die demografische Entwicklung. Die Geburtenrate sinkt, also sinkt auch die Zahl der Schüler.

Die Kultusministerkonferenz hat folgende Prognose aufgestellt: Bis 2020 wird die Schülerzahl auf bundesweit 10,2 Millionen sinken. Seit 1995, als es bundesweit 12,4 Millionen Schüler gab, fällt sie bis dahin also um 18 Prozent. In den neuen Bundesländern ist die Situation besonders dramatisch. Nach Schätzungen des Kultusministeriums werden in Sachsen 2011 nur noch halb so viele Kinder und Jugendliche zur Schule gehen wie noch im Schuljahr 1996/97. Zum Vergleich: In den alten Ländern steigt die Schülerzahl bis 2011 noch auf 10,25 Millionen an – um dann bis 2020 um fast zwei Millionen zu sinken. Gegenüber 2003 würde das einen Schülerrückgang um 16 Prozent bedeuten.

An den sächsischen Schulen muss also wegen des massiven Schülerrückgangs auch massiv gespart werden, sagt das Kultusministerium – und das seit Jahren. Seit 1990 schloss die Landesregierung bereits 800 Schulen, fast alle Grundschullehrer arbeiten in Teilzeitmodellen.

Die CDU/SPD-Regierung steckt in einer Zwickmühle: Denn gleichzeitig sollen die Schulen besser werden. Zwar stehen Sachsens Schulen im bundesweiten Vergleich nicht schlecht da. Die Schüler an Elbe und Saale lagen im letzten Pisa-Test im Jahr 2000 über dem deutschen Schnitt, hinter Bayern und Baden-Württemberg. Dennoch erreichten sie gerade genau den Durchschnitt der OECD-Länder. Dass das zu wenig ist, ist einer der wenigen Punkte, auf den sich Regierung, Lehrer, Schüler und Eltern derzeit einigen können.

Landeselternrat und GEW gestehen zwar ein, dass die derzeitige Zahl der Lehrer bei der demografischen Entwicklung nicht auf dem Stand von heute bleiben kann. Sie kritisieren aber, dass die Pläne der Regierung das Niveau der sächsischen Schulen deutlich senken werden. Das Kultusministerium hat eine einfache Gleichung aufgestellt: Wenn 50 Prozent der Schülerzahlen übrig bleiben, will die Regierung 70 Prozent der Lehrerstellen erhalten. Das Ministerium spare „mit dem Rasenmäher“, sagt Gisela Grüneisen, die Vorsitzende des Landeselternrates. Inhalte, Qualität, Klassengrößen und demografische Besonderheiten würden bei den Plänen nicht berücksichtigt. Die Gewerkschaft befürchtet, dass künftig zusätzliche Stundenangebote wie Förderunterricht oder Arbeitsgemeinschaften wegfallen werden. Außerdem könnten „Grundschüler länger als eine Stunde Fahrzeit zu ihrer Schule brauchen“, sagt Uschi Kruse, die stellvertretende Vorsitzende der sächsischen GEW.

Die Landesregierung weist die Vorwürfe zurück. Sie wolle eine bestimmte Anzahl von Stellen vorhalten, um aushelfen zu können, falls es in einzelnen Regionen oder Fächern zu einem Lehrermangel kommt. Außerdem werde sich „die Schüler-Lehrer-Relation verbessern“, sagt Ministeriumssprecher Dirk Reelfs. An den Gymnasien nach den Berechnungen des Ministeriums beispielsweise von jetzt 12,9 auf 10,9 im Jahr 2009.

Die Fronten zwischen dem Minister und den Lehrern scheinen verhärtet zu sein. Die GEW-Vorsitzende Sabine Gerold warf Flath vor, Lehrer „wie Waldarbeiter“ zu behandeln. Flath war früher Landwirtschaftsminister in Sachsen. Flath kündigte im Gegenzug an, er müsse Änderungskündigungen aussprechen, falls sich die Gewerkschaften nicht bewegten. Ob Regierung und Gewerkschaft sich heute einigen können, wenn sie die Verhandlungen über den Tarifvertrag wieder aufnehmen, scheint deswegen mehr als fraglich.

Am Freitag schließlich will Sachsens Kultusminister nach der vorläufigen Planung die Liste der Schulen veröffentlichen, die demnächst geschlossen werden sollen. Die Kürzungen sollen auf alle Fälle möglichst bald angekündigt werden – „um sie aus dem Wahlkampf herauszuhalten“, sagt Flaths Sprecher Reelfs. Als Schulschließer möchte im Bundestagswahlkampf in Sachsen keine Partei dastehen. Der Koalitionspartner SPD kündigte vorsorglich an, dass jede Schließung „einzeln geprüft“ werden müsse.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false