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Gesundheit: Luxus im Labor

Was deutsche Hochschulen von Amerikas Spitzenuniversitäten lernen können

Im Fernsehen auf Kanal NY 1 muss sich der Präsident einer New Yorker Universität dafür rechtfertigen, dass seine Hochschule nur jeden zehnten Bewerber aufnimmt. Gleichzeitig schwärmen die Professoren der meisten amerikanischen Universitäten und Colleges jedes Jahr aus, um Bewerber für ihre Hochschulen zu interessieren: mit bunten Broschüren und leuchtenden Kugelschreibern. Die Unis wollen eben nicht alle Studenten, sondern bestimmte. Das ist eine der Voraussetzungen für die hohe Qualität der guten amerikanischen Hochschulen. Es gibt noch ein paar andere.

Zum Beispiel Autonomie. Zugegeben, etliche Präsidenten beklagen Versuche des Staates, die Hochschulautonomie in Frage zu stellen, zum Beispiel, indem sie Zulassungsquoten für ethnische Minderheiten festlegen, die Höhe von Studiengebühren beeinflussen wollen oder die Unis dazu auffordern, ihre Qualitätsstandards zu senken. Damit hat der Staat allerdings nur begrenzt Erfolg, denn er verliert an Einfluss. Der durchschnittliche Anteil des Staatszuschusses an den Hochschulhaushalten ist in den Universitäten Amerikas von 50 auf 27 Prozent gesunken, die Studiengebühren sind gleichzeitig um drei bis 30 Prozent gestiegen. Gleichzeitig stellt das Erziehungsministerium stolz fest, dass im Jahre 2000 rund 70 Prozent der Bevölkerung eine der 4182 Hochschulen des Landes besucht haben, für die die USA jährlich 200 Milliarden Dollar ausgeben.

Drei Millionen Beschäftigte arbeiten an den amerikanischen Hochschulen. Professoren der Columbia University erfreuen sich eines Jahresgehalts von 150 000 bis 400 000 Dollar (in Deutschland: 60 000 bis 120 000 Euro) und Präsidentengehälter von einer Million Dollar sind keine Seltenheit (in Deutschland maximal 94 000 Euro). In einem einzigen Jahr hat die Columbia University zur Verbesserung der Lehr-Lern-Technologie in den Hörsälen 140 Millionen Dollar ausgegeben, das entspricht der Hälfte des gesamten Jahresetats der Freien Universität Berlin. Und in Deutschland muss die Autonomie der Universitäten vom Staat noch errungen werden. Bürokraten verteidigen ihre Macht mit Zähnen und Klauen. Kein Wunder, dass Privatunternehmen in Deutschland wenig Neigung zeigen, in derart unterentwickelte Institutionen zu investieren – anders als in den USA, wo ein einziges Fundraising-Dinner, zu dem der Präsident der Columbia-University einlädt, 2,4 Millionen Dollar an einem Abend erbringt, womit das Stiftungskapital von 4,3 Milliarden Dollar weiter angereichert wird.

Wo sind Deutschlands „Big spenders“?

Wer politischerseits in Deutschland die USA als Beispiel für Exzellenz zitiert, muss zur Kenntnis nehmen, dass, um bei Columbia zu bleiben, dort der Jahresetat für eine Universität mit 17 000 Studierenden 2,3 Milliarden Dollar beträgt. Zum Vergleich: Für 43 000 Studenten stehen der FU jährlich rund 270 Millionen Euro zur Verfügung. Berlin gibt für 85 000 Studienplätze künftig nicht einmal mehr 900 Millionen Euro aus.

Wenn eine deutsche Universität amerikanische Qualitätsdimensionen erreichen soll, muss man ihr gestatten, Einnahmen zu erzielen. Der „operating plan“ der Columbia zeigt, woher das Geld kommt: über 500 Millionen Dollar jährlich aus Studiengebühren (also 26 500 Dollar pro Student), 450 Millionen Dollar vom Staat, rund 140 Millionen Dollar aus Patentverwertungen und fast eine Milliarde Dollar aus verschiedenen Quellen, von Forschungsaufträgen für die Privatwirtschaft bis hin zu schlichten Geldspenden, die allein fast 100 Millionen Dollar ausmachen.

Wo sind in Deutschland die „big spenders“, die in Sorge um die Zukunft des Wirtschaftsstandortes bereit wären, jährlich mehrere Milliarden in die Hochschulen zu geben? Sie existieren nicht. Nicht einmal die Summe für die Berliner-Münchener Privathochschule ESMT kam problemlos zustande, obwohl deren Stammkapital nur ein Viertel von dem betragen soll, was Columbia allein jährlich an Geschenken und Stiftungen erhält.

Der Hinweis darauf, dass in Deutschland die Steuern zu hoch seien, ist nur die halbe Wahrheit, wenn man bedenkt, dass etliche Großkonzerne durch eine gezielte Verlustpolitik überhaupt keine Steuern bezahlen. Welche Voraussetzungen müssten also jenseits der Steuersenkung geschaffen werden, um die Finanzierungsbereitschaft der Unternehmen zu vergrößern?

Es müsste die Spur einer Aussicht geben, dass solches Geld nicht in Staatsuniversitäten vernichtet wird. Dazu gehört ein Verzicht auf jeden staatlichen Einfluss, die Etablierung starker Aufsichtsräte beziehungsweise Kuratorien, die in den USA nur eine Aufgabe haben: auf eine ausgeglichene Bilanz zu schauen. Jeder inhaltliche Einfluss auf die Wissenschaftspolitik der Universität ist verpönt. Außerdem können erfolgreiche Forschungsuniversitäten nur funktionieren, wenn sie unternehmerisch gesteuert werden. Amerikanische Unipräsidenten werden vom „board of trustees“ ausgewählt und suchen sich selbst ihre Vizepräsidenten und Dekane. In den Gremien sind Studierende oder Beschäftigte nicht vertreten.

Gleichwohl gibt es Mitbestimmung an den amerikanischen Unis. Sie ist in Gewerkschaften der Beschäftigten und der Studierenden organisiert. Eine Art Tarifvertrag regelt zwischen der Leitung und den Universitätsmitgliedern, was zu regeln ist: Professionelle Rechte und Pflichten, Arbeitszeit, Messung der Arbeitsleistung und Gehälter.

Eine dritte Voraussetzung für die Investition privater Mittel ist die Sicherung von Qualität. Sie beginnt bei der Auswahl der Studierenden, der mit viel Marketing-Aufwand betriebenen Suche nach „Future potentials“. Bewerber müssen zum obersten Leistungsdrittel ihrer High-School gehören, der SAT-I-Test ist zu bestehen, in einem Aufsatz, der von drei Gutachtern gelesen wird, haben die Bewerber ihre Interessen, Aktivitäten, besonderen Fähigkeiten und Qualitäten darzulegen, eine Studienberatung zu durchlaufen und in einem Interview ihre Eignung unter Beweis zu stellen. In Deutschland gibt es ein Abitur, dessen prognostischer Wert gering ist, und einen absurden Numerus Clausus.

Atmosphäre des Lernens und Wissens

Qualitätssicherung findet an amerikanischen Universitäten statt durch kontinuierliche Evaluation. Besonders die Qualität der Inhalte und der Innovationsgehalt der Lehrmethoden wird beurteilt. Der Studienerfolg ist übrigens bei den sportlich aktiven Studenten am größten, weil ihr sozialer Zusammenhalt sich leistungsfördernd auswirkt. Das gilt auch für die Studierenden, die auf dem Campus wohnen. Die Campus-Universität ist ein Lebensraum, der durch eine Atmosphäre des Lernens und Wissens und ein Klima von Toleranz und Respekt gekennzeichnet ist.

Fazit: Wenn Deutschland durch sein System der Hochschulbildung den Qualitätsstandard amerikanischer Spitzenuniversitäten erreichen und seine wirtschaftliche Innovationskraft in den nächsten 20 Jahren wenigstens auf den Stand der Sechzigerjahre bringen will, muss das gesamte System schnell und radikal verändert werden. Eine Investitionssteigerung um das Zehnfache des jetzigen Haushaltes muss stattfinden. Diese ist ohne schwerwiegende Einschnitte in Privilegien, Gewohnheiten und stabile Strukturen nicht denkbar. Das hieße aber auch, eine Güterabwägung zu treffen. Das hieße, eine hohe Selektivität des Bildungssystems zu akzeptieren. Das hieße auch, die Mitwirkungsrechte des Personals und der Studenten zu reduzieren, das hieße auch mehr kollektive Bildung und weniger Individualität. Und das bedeutet schließlich mehr Rigidität, Disziplin und schlicht mehr Arbeit.

Der Autor ist Präsident der FU Berlin. Auf Einladung der Fulbright-Kommission besuchte er in der vergangenen Woche verschiedene amerikanische Universitäten.

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