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Gesundheit: „Man kann mit Medikamenten durchaus etwas bewirken“

Der Alzheimer-Experte Matthias Riepe ist überzeugt, dass Arzneimittel den geistigen Verfall bei vielen Patienten bremsen können

Die Deutsche AlzheimerGesellschaft schätzt, dass im Jahr 2050 zwei Millionen Menschen in Deutschland demenzkrank sind und 100 Milliarden Euro benötigt werden, um sie zu behandeln. Sind solche Prognosen übertrieben?

Ich sehe die Gefahr sogar schon vor 2050. Denn man muss bedenken, dass schon 2025, also in 20 Jahren, bereits jeder dritte älter ist als 60. Von diesem Alter an wird Alzheimer deutlich häufiger.

Wie erkennt man Alzheimer?

Zu Beginn der Erkrankung besteht in der Regel eine Beeinträchtigung der Merk- und Erinnerungsfähigkeit. Im Vordergrund der Erkennung der Erkrankung steht daher bei Betroffenen und Angehörigen, diese Symptome wahrzunehmen und ernst zu nehmen.

Wenn man älter wird, wird man auch vergesslicher, das ist doch ganz natürlich.

Für Gedächtnisstörungen gibt es banale und häufige andere Ursachen als die Alzheimer-Krankheit. Unterscheiden kann das aber letztlich nur ein Arzt, der sich mit diesen Erkrankungen auskennt. Gedächtnisstörungen müssen abgeklärt werden. Das Vergesslichsein gehört nicht zum Alter wie der Schnee zum Winter.

Welche Rolle spielen die Medikamente bei der Behandlung?

Man kann heute mit Medikamenten durchaus etwas bewirken. Es gibt drei Wirkstoffe, die für die leichte bis mittelschwere Alzheimer-Erkrankung zugelassen sind: Donezepil, Galantamin und Rivastigmin. Sie alle gehören zur Gruppe der Cholinesterase-Hemmer und bewirken, dass ein Botenstoff der Informationsübertragung im Zentralnervensystem, das Acetylcholin, wieder vermehrt zur Informationsübertragung zur Verfügung steht. Für das mittelschwere bis schwere Stadium ist der Wirkstoff Memantine zugelassen. Dieses Medikament gehört zur Gruppe der Glutamat-Antagonisten.

Manche Ärzte bezweifeln die Wirksamkeit der Cholinesterase-Hemmer. So kommt der Allgemeinmediziner Hendrik van den Bussche von der Hamburger Uniklinik zu dem Schluss, dass „der wissenschaftliche Nachweis einer positiven Wirkung von Donezepil noch aussteht“.

Verglichen mit der Vielzahl von anders lautenden wissenschaftlichen Untersuchungen sind solche Stimmen sicher nicht die bestbelegten. Im Gegenteil, in den wenigen Studien, die den Therapieeffekt nicht zeigen, gibt es gravierende methodische Mängel. Auch Analysen unabhängiger Gutachter wie der Cochrane Collaboration haben ergeben, dass die in Deutschland zugelassenen Medikamente eine nachweisbaren Effekt haben. Eine klinische Besserung in Bezug auf die geistige Leistungsfähigkeit, Verhaltensauffälligkeiten und Aktivitäten des täglichen Lebens durch sämtliche der zurzeit verfügbaren Acetylcholinesterase-Hemmer und durch Memantine wird bejaht. Sogar eine Verminderung der Belastung für die betreuenden Angehörigen lässt sich messen.

Und wenn jemand sagt: Lasst uns das Geld lieber in die Pflege investieren?

Wenn man sich die Zahlen hochrechnet, muss man sagen, dass in einigen Jahren gar nicht genug Menschen zur Verfügung stehen, um diese Pflege durchzuführen. Mit dem Fortschreiten der Erkrankung brauchen die Patienten Rundumbetreuung. Wenn man dieses Stadium mit Medikamenten hinausschiebt, ist man auf dem sehr viel besseren Weg.

Wie der Tagesspiegel berichtet hat, traten bei zwei Studien mit dem Alzheimer-Mittel Galantamin mehr Todesfälle in der Gruppe der Patienten auf, die Galantamin bekamen. Untersucht wurde, ob man Alzheimer mit Galantamin vorbeugen kann.

Man muss diesen Beobachtungen, die an Patienten mit leichter geistiger Beeinträchtigung erhoben wurden, gründlich nachgehen. Für andere Personengruppen hat man eine solche Übersterblichkeit nicht beobachtet. Es könnte also auch sein, dass bei diesen beiden Untersuchungen die Ursache des statistischen Unterschiedes in den Todesfallraten an einer ungewöhnlich niedrigen Rate in der mit dem Scheinmedikament behandelten Gruppe liegt.

Welche Erfahrungen haben Sie mit Galantamin gemacht?

Da könnte ich eindrückliche Geschichten erzählen. Von Patienten, bei denen wieder Kartenspielen möglich war. Oder davon, dass es wieder leichter fiel, nachts die Toilette zu finden. Aber auch, dass Patienten insgesamt leistungsfähiger sind, ihre Finanzgeschäfte erledigen können oder unter Behandlung weiter für eine Zeit im Beruf bleiben konnten. Dies gilt für die anderen Substanzen wie das Donepezil und das Rivastigmin genauso.

Wie hoch war der Anteil der Patienten, denen es besser ging?

Wie heute in der Medizin üblich haben wir Daten für Behandlungseffekte in Gruppen von Patienten. Für den einzelnen Patienten kann der Erfolg besser oder weniger ausgeprägt sein. Insgesamt sollte man bedenken, dass die Alzheimer-Krankheit eine Erkrankung ist, die ständig fortschreitet. Auch eine Stabilisierung ist daher ein Erfolg.

Würden Sie empfehlen, das Mittel wegen der ungeklärten Todesfälle abzusetzen?

Ganz klar nein. Bei Alzheimer-Erkrankung gibt es keinen Hinweis auf eine erhöhte Todesfallrate unter der Behandlung mit Galantamin oder anderen Cholinesterase-Hemmern. Es lässt sich sogar bei Patienten mit Alzheimer-Erkrankung belegen, dass auch ein vorübergehendes Absetzen der Cholinesterase-Hemmer dauerhaften Schaden anrichten kann.

Das Gespräch führte Hartmut Wewetzer.

Matthias Riepe ist Professor für Gerontopsychiatrie an der Berliner Charité, Campus Benjamin Franklin. Er leitet die Gedächtnissprechstunde der Klinik.

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