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Gesundheit: „Man sollte uns lassen!“

Berlin-Brandenburgische Akademie plädiert für Lockerung des Stammzellgesetzes

Das deutsche Stammzellgesetz blockiert die Forschung. Zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der am gestrigen Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. „Die derzeitige Rechtslage zur Arbeit mit embryonalen Stammzellen wird zunehmend zum Forschungshindernis und gefährdet den Forschungsstandort Deutschland“, sagte die Zellbiologin Anna Wobus vom Leibniz-Institut im sachsen-anhaltinischen Gatersleben.

Zwar freuen sich die Forscher, dass Grundlagenforschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen hierzulande inzwischen möglich ist und dass 17 Forschungsvorhaben vom Robert-Koch-Institut genehmigt wurden. Doch die strenge Stichtagsregelung des Stammzellgesetzes, mit der verhindert werden soll, dass Embryonen eigens für die „verbrauchende“ Forschung erzeugt werden, sei ein zu starkes Hindernis. Von 412 Zelllinien, die es weltweit gebe, seien nur 22 vor dem 1. Januar 2002 gewonnen und dürfen folglich in Deutschland eingesetzt werden, so berichteten sie. „Therapieorientierte Forschung erfordert aber neue, nach standardisierten Richtlinien gewonnene embryonale Stammzellen“, erklärte Wobus. Zudem sei die Rechtslage für deutsche Forscher unklar, die sich an internationalen Projekten mit Stammzellen jüngeren Datums beteiligen.

„Wir sind extrem schwierige Kooperationspartner“, stellte der Biochemiker Ferdinand Hucho fest. Er leitet bei der Akademie die Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht. Die Gruppe legte im September einen dicken Band zur Gentechnologie vor, als dessen Ergänzung und Aktualisierung sich der jetzt erschienene Bericht versteht. Notgedrungen selbstlose Partner zudem, deren eigenes Land von eventuellen Ergebnissen nicht angemessen profitieren würde.

Die Experten plädieren trotzdem nicht dafür, die Stichtagsregelung ganz zu kippen und die schwierige Debatte über ethische Fragen von neuem aufzurollen. Stattdessen propagieren sie die Idee eines „nachlaufenden Stichtags“: Der Gesetzgeber könnte statt eines fixen Datums ein Mindestalter festlegen, das die Zelllinien schon aufweisen müssen, mit denen geforscht werden darf.

„Im Grund weiß jeder, dass die Forschung mit adulten Stammzellen nicht ausreicht“, sagte Hucho mit Blick auf die Erkenntnisse, die sich nur im Vergleich der beiden Stammzellarten gewinnen lassen. Und er ergänzte: „Deutschland ist ein idealer Standort für die Grundlagenforschung, auch mit embryonalen Zellen, man sollte uns nur lassen!“

Eine Spitzenposition habe das Land dagegen bei der Forschung mit nicht-embryonalen „adulten“ Gewebestammzellen. „Deutschland, das kann man mit Recht sagen, ist in der Forschung mit adulten Stammzellen international führend“, fasste Wobus zusammen. So kamen die ersten klinischen Studien zum Einsatz der vielseitigen körpereigenen Vorläuferzellen im Kampf gegen den Herzinfarkt von den Unis in Rostock, Hannover, Düsseldorf und Frankfurt am Main. Ob und vor allem wie genau die Stammzellen aus dem Knochenmark, die Mediziner direkt ins Herz oder in die Herzkranzgefäße geben, tatsächlich heilen, ist umstritten.

Dass regenerative Medizin dieser Art in einer alternden Gesellschaft unverzichtbar sein wird, ist für Günter Stock, den neuen Präsidenten der Akademie, allerdings unstrittig: „Wir brauchen unbedingt Möglichkeiten, um verloren gegangene Körperfunktionen wiederherzustellen.“ Ihm wäre es deshalb auch lieber, wenn bei den Diskussionen zur Stammzellforschung von solchen Zielen die Rede wäre. „Wir sollten uns angewöhnen, mehr über das Produkt zu reden.“

Adelheid Müller-Lissner

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