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Zukunftsaufgabe. Angesichts des demografischen Wandels wird der Kampf gegen Krebs immer wichtiger. Die moderne Medizin kann heute auch bei Älteren viel tun. Foto: dapd

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Gesundheit: Medizin für Langlebige

Auch im höheren Alter kann eine Krebsbehandlung noch aussichtsreich sein. Die Strategie sollte aber individuell auf den Patienten abgestimmt werden. Ein Kongressbesuch.

Dass Krebsmediziner ihren Patienten zum hundertsten Geburtstag gratulieren können, dürfte nicht allzu oft vorkommen. Maike de Wit, Chefärztin der Klinik für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie am Vivantes-Klinikum Neukölln, hatte kürzlich diese Freude. Sie hatte die Jubilarin sieben Jahre vorher kennengelernt, als die 93-Jährige mit einer ausgesprochen bösartigen Form von Lymphdrüsenkrebs in die Klinik kam. Glücklicherweise war sie ansonsten trotz ihres hohen Alters recht rüstig. Eine Chemotherapie konnte den Krebs zurückdrängen. Glücklicherweise vertrug die Patientin sie gut. Doch ein Jahr später fühlte sie einen Knoten in ihrer Brust. Die Hausärztin, bei der sie zuerst Rat suchte, schreckte davor zurück, der alten Dame wiederum eine belastende Therapie zu empfehlen. Auch Krebsspezialistin de Wit, bei der sie anschließend Rat suchte, war gegen eine Operation. Doch das bedeutete nicht: Den Krebs überhaupt nicht behandeln. De Wit verordnete ein Medikament aus der Gruppe der Aromatasehemmer, das weibliche Geschlechtshormone blockiert, die den Krebs in der Brust oft zum Wuchern bringen. „Alle halbe Jahre kommt die Patientin nun zur Kontrolle und um guten Tag zu sagen.“

Die Geschichte von der zweimal geheilten hundertjährigen Krebspatientin passte gut zum Thema des diesjährigen achten Berliner Krebskongresses, den das Clinical Cancer Center Berlin von Vivantes kürzlich in der Urania veranstaltet hat. Denn auch wenn wir alle die tragischen Fälle kennen, in denen Kinder, junge Männer und junge Frauen an Krebs erkranken: Die fehlerhaften Veränderungen der Zellen, die zu Krebs führen, sind eigentlich eine typische Alterserscheinung.

Mehr als die Hälfte der Bundesbürger, die in jedem Jahr an Krebs erkranken, sind über 70 Jahre alt. Das Durchschnittsalter bei Diagnosestellung liegt bei 67 Jahren. Für die Gesundheitspolitik bedeutet das: Angesichts des demografischen Wandels ist in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mit einer deutlichen Zunahme von Tumorerkrankungen zu rechnen. Für die behandelnden Ärzte bedeutet es: Sie werden mehr und mehr mit Patienten zu tun haben, die zugleich unter anderen, oft chronischen Krankheiten leiden. Und für die die aggressiven Behandlungen mit Stahl, Strahl oder Zellgiften oft zu belastend sind.

70-jährige Patienten nehmen heute im Schnitt schon vor der Krebsbehandlung fünf Medikamente, besonders häufig gegen hohen Blutdruck oder hohe Blutfettwerte, gegen Rheuma und gegen Schmerzen. „Diese älteren Menschen werden in Medikamentenstudien heute nur ausgesprochen unzureichend berücksichtigt“, kritisierte beim Kongress Wolf-Dieter Ludwig, Chefarzt der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie am Helios-Klinikum in Buch und Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). Dabei wäre das wichtig, denn Wirkstoffe werden im Alter oft schlechter aufgenommen, verteilen sich bei erhöhtem Anteil von Körperfett anders im Körper und werden vom Stoffwechsel auch weniger effektiv verarbeitet, falls körpereigene Enzyme nicht mehr so aktiv sind. Bei neuen Krebsmitteln ist zum Zeitpunkt der Zulassung zudem zwar einiges über die Wirkung, aber oft noch wenig über die Sicherheit und über Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln bekannt. Auch das sind Themen, die mit zunehmendem Alter der Erkrankten an Bedeutung gewinnen.

Doch die behandelnden Ärzte können nicht anhand des Jahrgangs einer älteren Dame oder eines älteren Herrn erkennen, wie die Medikamente bei ihnen wirken werden. „Es hat überhaupt keinen Sinn, auf das kalendarische Alter zu schauen“, sagt Ludwig. Weit wichtiger ist, wie gesund die Menschen ansonsten sind, bei denen gerade Krebs diagnostiziert wurde, wie fit sie sich fühlen und wie aktiv sie im Leben stehen. Mediziner sprechen schon länger von der Bedeutung des „biologischen Alters“.

Es ist nicht zuletzt für die Entscheidung zu einer Operation maßgeblich. „Wir müssen außerdem darauf hören, was unser Patient selbst möchte“, betonte der Chirurg Ulrich Adam, Chefarzt am Vivantes-Humboldt-Klinikum. Er berichtete von mehreren Patienten über 80, die bei vergleichbarer Ausgangslage ganz unterschiedliche Entscheidungen für sich selbst getroffen haben. Entscheidungen, die respektiert werden müssen.

Zunehmend haben es die Krebsspezialisten allerdings auch mit alten Menschen zu tun, die unter einer Demenz leiden und selbst nicht mehr zustimmungsfähig sind. Dann müssen Therapieentscheidungen oft im Gespräch mit den Bevollmächtigten, den Angehörigen oder den gesetzlichen Betreuern getroffen werden, eventuell unter Berücksichtigung dessen, was der Patient früher in einer Patientenverfügung niedergelegt hat.

Bei rund 70 Prozent der alten Patienten sei eine Chemotherapie mit zellgiftigen Substanzen möglich, wenn man die Dosis entsprechend anpasse, sagte beim Kongress der Krefelder Altersmediziner Andreas Leischker. In vielen Fällen sei das auch trotz mehrerer chronischer Krankheiten eine sinnvolle Option. Für die Einschätzung sei aber auch wichtig, ob der oder die Betroffene zu Hause Medikamente selbstständig nehmen oder auch regelmäßig in die Praxis des Arztes zur Chemotherapie kommen kann.

Auch wenn ein chirurgischer Eingriff, eine Bestrahlung oder eine Chemotherapie mit dem Ziel, den Krebs zu besiegen, nicht möglich erscheint, kann die moderne Medizin viel für die Erkrankten tun: Oft sogar mit denselben Methoden, aber mit einer anderen Zielsetzung. Sie heißt „palliativ“ und hat das Ziel, den Betroffenen auf ihrem letzten Lebensabschnitt Linderung zu verschaffen.

Und was kann ein älterer Mensch tun, um dem Krebs vorzubeugen? Echte Vorsorge sei ein Thema für junge Menschen, dämpfte Jörg Beyer, Krebsspezialist und Chefarzt am Vivantes-Klinikum Am Urban, die Erwartungen. Zwar ist es nie ganz zu spät, seinen Lebensstil völlig umzukrempeln, nicht mehr zu rauchen, Übergewicht abzubauen und sich mehr zu bewegen. Doch all das ist wirksamer, wenn es früher einsetzt.

Bleibt die Frage nach dem Nutzen der Früherkennung im höheren Lebensalter. Eine Frage, auf die es keine einheitliche Antwort gibt, wie Beyer auf dem Kongress zeigte: So ist etwa für das Prostata-Karzinom bewiesen, dass viele Männer, bei denen die Diagnose gestellt wurde, zwar mit, aber nicht an der Erkrankung sterben – sondern an einem der anderen Leiden, die sie gleichzeitig haben. Beim Brust- oder Darmkrebs sieht es anders aus. Ältere Menschen, die noch eine Lebenserwartung von mindestens zehn Jahren haben, können hier wirklich von der Früherkennung profitieren.

Beyer plädiert dafür, dass Ärzte die Entscheidung für Früherkennungsuntersuchungen wie auch für Behandlungen zusammen mit ihren Patienten ganz individuell treffen. „Dabei sollte man den allgemeinen Gesundheitszustand betrachten und keine starren Altersgrenzen festlegen.“ Dass Menschen nach zwei erfolgreichen Krebsbehandlungen ihren Hundertsten feiern, ist selten. Aber völlig unmöglich ist es nicht.

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