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MEDIZIN Männer: Der Erforscher des Skeletts

JULIUS WOLFF Knochen interessierten die Mediziner bis Mitte des 19. Jahrhunderts wenig: Was kaputt ist, wächst meist wieder zusammen.

JULIUS WOLFF

Knochen interessierten die Mediziner bis Mitte des 19. Jahrhunderts wenig: Was kaputt ist, wächst meist wieder zusammen. Warum das so ist? Die unergründlichen Kräfte der Natur reichten ihnen als Begründung. Bis sich eines Tages der pfälzische Bauingenieur Karl Culmann und der Chirurg Julius Wolff über den Weg laufen. Culmann hatte berechnet, wie die Streben eines Metallkrans liegen müssen, um stabil zu sein. Und Wolff fällt auf, dass Knochen auch auf diese Weise konstruiert sind: Ihre Bälkchen verhalten sich fast identisch zu den Metallstreben des Krans – nicht zufällig gewachsen, sondern statisch perfekt. Julius Wolff ist begeistert. Er verwendet 35 Jahre seines Medizinerlebens darauf, die Baupläne für ein ziemlich altes Gebäude, den menschlichen Körper, zu rekonstruieren. Es ist fast die Arbeit eines Architekten.

Wolff wird 1836 in Märkisch Friedland geboren. Die Stadt ist ein belebtes Handelszentrum und Julius' Vater Vizebürgermeister und Chef eines florierenden Kaufhauses. Der Sohn legt schon früh einen erstaunlichen Ehrgeiz an den Tag. Mit 13 macht er sich auf den Weg nach Berlin und meistert dort das Gymnasium Zum Grauen Kloster mit Bravour – und großem Heimweh nach Friedland. Diese Verbundenheit bleibt ihm. Einem Neffen soll er gestanden haben: „Zu den erhebendsten Augenblicken meines Lebens zählen zwei: Der erste, da ich in den Bahnhof Roma, der zweite, da ich in den Bahnhof Märkisch Friedland eingefahren bin.“

In Berlin eröffnet er nach seiner Habilitation eine Privatklinik. Sie wird vor allem von zahlungskräftiger Kundschaft aufgesucht, die der bedürftigen Klientel der Charité aus dem Weg gehen will. In jeder freien Minute forscht Wolff an der Knochenstruktur und entwickelt dadurch, vermutlich ohne es zu wissen, ein neues medizinisches Fachgebiet: die Orthopädie. Wolffs Privatklinik wird 1894 als erste Poliklinik für orthopädische Chirurgie in die Universität aufgenommen. Seine Forschungen hatte der Arzt im „Gesetz der Transformation der Knochen“ zusammengefasst, das bis heute als Standardwerk des Fachs gilt: Die Knochenform ist durch mechanische Gesetze bestimmt. Verändert sich etwas an der Beanspruchung des Knochens, passt er sich in seiner Form an. Fehlgestellte Knochen wie etwa beim Klumpfuß können in der Kindheit durch diese Erkenntnis unblutig durch Schienen in die richtige Stellung gebracht werden. Die Berliner verleihen dem Arzt dafür den Spitznamen Knochen-Wolff. Für Wolff ist das Gesetz aber mehr: ein Beitrag zu Darwins Evolutionstheorie. Sogar in den einzelnen Bestandteilen der Lebewesen setze sich das Zweckmäßige durch.

1902 erleidet der Arzt einen Schlaganfall. Drei Tage später stirbt er an dessen Folgen.

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