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Gesundheit: Mehr Geduld mit der Grundlagenforschung

Experten halten Hoffnungen auf Therapien mit embryonalen Stammzellen für verfrüht

Wer hohe Erwartungen weckt, riskiert bekanntlich, sein Publikum zu enttäuschen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Stammzellforschung. „Es war ungut, so früh Hoffnungen auf Therapien mit embryonalen Stammzellen zu machen“, sagte Heike Mertsching vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen und Bioverfahrenstechnik am Freitag in Berlin. Mit dieser Aussage stieß die Zellbiologin beim diesjährigen Symposium der Deutschen Gesellschaft für Regenerative Medizin auf allgemeine Zustimmung. Vor allem die Arbeit mit embryonalen Stammzellen ist schließlich noch weit von der klinischen Anwendung entfernt.

Einig waren sich die Wissenschaftler – anders als die anwesenden Politiker – auch in dem Wunsch, man möge doch adulte und embryonale Stammzellen nicht ständig gegeneinander ausspielen. „Wir brauchen die Forschung mit beiden Zelltypen, um zu verstehen, wie sich adulte Stammzellen entwickeln“, sagte der Blutkrebs-Spezialist Gerhard Ehninger von der Uni Dresden.

Die Stammzellexperten standen bei ihrem Treffen noch ganz unter dem Eindruck einiger Nachrichten der letzten Wochen. Einen „deutlichen Schub für die Stammzellforschung in Richtung Anwendung“ erkennt darin Konrad Kohler, Koordinator des Zentrums für Regenerationsbiologie und Regenerative Medizin der Uni Tübingen. So gab Bundesforschungsministerin Annette Schavan vor knapp zwei Wochen bekannt, dass ihr Ministerium zwei neue Zentren für Regenerative Medizin fördern wird – eines in Berlin und eines in Leipzig. Einer der Schwerpunkte ist die „Translation“ von Grundlagenwissen in die klinische Praxis, deshalb sollen die Einrichtungen mit den zwei entsprechenden Exzellenzzentren der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in Hannover und Dresden eng kooperieren.

Ein paar Tage zuvor hatte DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker in einer Stellungnahme gefordert, das Stammzellgesetz mit seiner Stichtagsregelung zu überarbeiten. Besondere Aufmerksamkeit fand in der Fachwelt außerdem die Offenheit des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, für eine Neufestlegung des Stichtags, vor dem embryonale Stammzelllinien gewonnen sein müssen, mit denen in Deutschland geforscht werden darf. Derzeit liegt er beim 1.1. 2002. Neben dem Vorschlag, ein neues Datum festzulegen, ist auch die Idee eines flexibleren „nachlaufenden“ Stichtags im Gespräch.

Die Stammzellforscher stören sich vor allem an der juristischen Grauzone, in der deutsche Forscher derzeit agieren, wenn sie in internationalen Arbeitsgruppen mitwirken, die mit Zelllinien neueren Datums arbeiten. „Dabei liegt in der europäischen Kooperation doch unsere Stärke“, sagte Gerd Hasenfuß von der Medizinischen Hochschule Hannover mit Blick auf das siebte Forschungsrahmenprogramm der EU, in dem gerade in diesem Jahr erst ein Betrag von 50 Millionen Euro für die Forschung mit embryonalen Stammzellen bereitgestellt wurde.

Hasenfuß und seine Arbeitsgruppe sind dabei einem möglichen Ausweg aus dem Dilemma zwischen ethischer Problematik der Forschung mit embryonalen Stammzellen und mangelnder Flexibilität der körpereigenen adulten Stammzellen auf der Spur. Bei der Suche nach Wegen zur Reparatur von narbigem Herzinfarkt-Gewebe glauben sie im Hoden von Mäusen fündig geworden zu sein. Vorläuferzellen von Samenzellen, die dort in geringer Anzahl vorhanden sind, ließen sich in der passenden Umgebung der Zellkultur zu verschiedenen Typen von Herzmuskelzellen heranzüchten. Im Unterschied zu den schon spezialisierten Vorläuferzellen von Herzzellen erwiesen sich diese adulten Stammzellen als vielseitig. Die Kardiologen – deren Arbeit unter großer Beachtung der Fachwelt im Frühjahr in „Nature“ erschien – hoffen nun, die Pluripotenz dieser adulten Zellen eines Tages auch praktisch für ihre Patienten nutzen zu können. Zumindest für männliche Patienten könnte das eines Tages ein Therapieansatz sein. Unter anderem ist aber noch unklar, wie viel Hodengewebe gebraucht würde, um eine Zellkultur anlegen zu können, und ob die begehrten Vorläuferzellen sich auch bei älteren Männern in ausreichender Zahl finden. Kämen sie von Spendern, dann würde sich wieder das Problem der Abstoßung stellen. Bis auf weiteres verbieten sich also auch hier konkrete Therapie-Versprechungen.

Adelheid Müller-Lissner

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