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Gesundheit: Mehr Handwerk als Technik

Beim künstlichen Hüftgelenk hängt der Erfolg entscheidend vom Operateur ab

Von Rosemarie Stein

Es lohnt in jedem Alter: Von neunzig über Achtzigjährigen, die ein künstliches Hüftgelenk erhielten, lebten viereinhalb Jahre nach der Operation noch 75 Prozent. Und achtzig Prozent von ihnen konnten sich – weitgehend schmerzfrei – noch selbst in der eigenen Wohnung versorgen, durchschnittlich im 88. Lebensjahr. Mit solchen Fakten begründete der emeritierte Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik Basel, Erwin Morscher, sein Urteil: Der Hüftgelenkersatz sei zu jenem Eingriff geworden, „der die Lebensqualität am eindrucksvollsten und nachhaltigsten zu verbessern imstande ist“.

Trotzdem nannte Morscher seinen Vortrag auf dem Deutschen Orthopädenkongress „Hüftendoprothetik – quo vadis?“ Denn wohin die Entwicklung geht, sieht er mit einigen Bedenken. Weltweit bekommen jedes Jahr 1,2 Millionen Menschen eine „neue Hüfte“, und wegen der steigenden Lebenserwartung und der damit zunehmenden Arthrose werden es jährlich etwa zwei Prozent mehr.

Zwar könne man mit dem Erreichten eigentlich zufrieden sein, meinte Morscher, weil es heute annähernd perfekte Hüftendoprothesen gibt: In den Knochen integriert, normal belastbar, schmerzfrei und so dauerhaft, dass sie sich kaum noch lockern. Aber die Operationsergebnisse sind höchst unterschiedlich. Nach einer britischen Studie variieren die Überlebensraten des Hüftersatzes je nach Operateur um das Zwanzigfache.

Die Qualifikation der Ärzte und die in einer Klinik gesammelten Erfahrungen spielen noch immer die wichtigste Rolle für den Erfolg und erst in zweiter Linie das Prothesemodell, meinte Morscher. Er kritisierte, dass der Prothesenmarkt immer mehr überschwemmt werde von technischen Innovationen, die vor allem „aus marktwirtschaftlichen Gründen entwickelt würden“. Und die Ärzte wählen nach seiner Erfahrung ein Prothesensystem nicht auf Grund eingehender Studien aus, sondern erliegen oft der Faszination des Neuen und dem Marketing, ebenso wie die von den Medien beeinflussten Patienten. Aber „die Innovation von heute kann sehr wohl zur Wechseloperation von morgen werden“, meinte Morscher, der sich lieber auf das seit Jahren Bewährte verlässt. Auch habe man bisher keine Beziehung zwischen Preis und Qualität eines Modells finden können. Heute verwendet man zunehmend wieder die preiswerten zementierten Hüftschäfte.

In England zum Beispiel werden neunzig Prozent der künstlichen Hüftgelenke einzementiert und sind damit notfalls leichter auszuwechseln, in Österreich hingegen verankert man neunzig Prozent ohne Zement. Die Ergebnisse können in beiden Fällen vorzüglich sein, entscheidend ist nach Morscher die richtige Vorgehensweise.

Wie Kongresspräsident Werner Hein erläuterte, muss auch eine zementfreie Prothese von Anfang an stabil verankert sein, so dass die gefürchtete monatelange Schonung überflüssig ist. In Deutschland und der Schweiz bevorzugt man die Kombination einer nicht-zementierten Gelenkpfanne mit einem zementierten Schaft.

Als erfolgreichstes Verankerungsprinzip betrachtet Morscher das „Press-Fit-Prinzip“, wobei sich die Prothese – mit oder ohne Zement – in der Zeit nach der Operation noch zunehmend stabilisiert. Kritisch beurteilt er dagegen die mit Computerhilfe „maßgeschneiderten“ Prothesen, deren höhere Kosten er für ungerechtfertigt hält, weil ein besseres Ergebnis nicht nachgewiesen sei.

Auch der von Robotern assistierten orthopädischen Chirurgie stellt er keine gute Prognose, wohl aber der vom Computer gesteuerten Navigationstechnik. Die zuverlässige Berechnung und Überprüfung der angestrebten Position des Implantats würde die Ergebnisse vor allem weniger erfahrener Operateure verbessern.

Ein Schwachpunkt des Hüftgelenkersatzes sei noch die Reaktion des Knochengewebes. Er riet daher seinen forschenden Kollegen zu biologischem statt nur mechanischem Denken. Verbesserungen erwartet er von veränderten Prothesemodellen nur noch punktuell, im wesentlichen aber von der Weiterbildung und Schulung der Operateure: „Jeder Patient soll heute das Recht haben, von einem gut ausgebildeten Operateur operiert und mit einem Implantat versorgt zu werden, das den Test der Zeit überstanden hat.“ Deshalb forderte Morscher mit allem Nachdruck Qualitätskontrollen.

Man muss erst einmal klären, welche Modelle und Techniken angewandt werden, wie unterscheiden sich Erfolgs- und Komplikationszahlen je nach Prothesentypen, Verfahren und Kliniken? Dies wird mit Hilfe des „Deutschen Endoprothesen-Registers“ ermittelt, worüber der Marburger Hochschul-Orthopäde Heino Kienapfel berichtete.

Es existiert seit 1997, bisher gaben aber nur 43 Kliniken ihre Daten weiter. Danach wurden zwischen 1997 und 1999 nicht weniger als 178 unterschiedliche Schaft- und 174 Pfannentypen verwendet. Und nur 14 Prozent der Kliniken implantierten denselben Schafttyp mehr als 100-mal.

Von ihren Langzeit-Misserfolgen haben die Kliniken bisher oft nichts erfahren, denn die meisten Patienten suchen zur Auswechslung eines gelockerten Ersatzgelenks ein anderes Krankenhaus auf. Mit der Einführung der gesetzlichen Qualitätssicherung sind nun aber die Voraussetzungen für ein funktionsfähiges und flächendeckendes Register gegeben.

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