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Gesundheit: Mehrsprachigkeit: Wird nur die Elite mehrere Sprachen sprechen?

Englisch, so scheint es, ist nicht mehr von Platz eins zu verdrängen. Wer als Schüler seine erste Fremdsprache zu wählen hat, entscheidet sich heutzutage meist für das Englische.

Englisch, so scheint es, ist nicht mehr von Platz eins zu verdrängen. Wer als Schüler seine erste Fremdsprache zu wählen hat, entscheidet sich heutzutage meist für das Englische. Auch in den romanischen Ländern Spanien und Italien, ist das Französische, der leichten Lernbarkeit zum Trotz, nicht mehr die beliebteste Fremdsprache. Was haben wir von der Dominanz des Englischen zu halten? Verträgt sich diese Entwicklung mit einem Europa der kulturellen Vielfalt? Ist es vor allem jungen Menschen zu empfehlen, allein auf die Modesprache zu setzen, statt eine Sprachenwahl zu treffen, die ihnen ganz andere Berufschancen eröffnet?

Die Pessimisten meinen, dass das zunehmend grenzenlose Europa vom Englischen überspült wird. Andere glauben an die "Kraft der Selbstkorrektur". "Wie sieht es in Europa, dem Sprachraum ohne Grenzen aus", fragte die Gesellschaft zur Förderung des internationalen Informationsaustausches (S.E.C.co) auf einer internationalen Tagung in der Staatsbibliothek Unter den Linden.

Die Vorgabe zumindest ist eindeutig: Die EU, die das Jahr 2001 zum "Jahr der Europäischen Sprachen" ausgerufen hat, bekennt sich klar zum Reichtum und Wert der sprachlichen und kulturellen Vielfalt in der Union. Erklärtes Ziel ist die Förderung der Mehrsprachigkeit. "Im Unterschied zu den Vereinigten Staaten von Amerika wird die Europäische Union als eine vielsprachige Gesellschaft aufgebaut", sagte der Präsident des Europäischen Sprachenrates, Wolfgang Mackiewicz. Doch obwohl die "verschiedenen Sprachen als Träger des Reichtums der europäischen Kultur betrachtet" werden, hat laut Mackiewicz in vielen Staaten das Englische eine Vormachtstellung errrungen. Anders gesagt: Es sei eine "unbefriedigende Breitenwirkung" festzustellen. Wenn es nicht gelinge, die Bürger von der Bedeutung der Sprachenvielfalt zu überzeugen und sie zum Sprachenlernen zu motivieren, bestehe die Gefahr, "dass sich so etwas wie eine mobile mehrsprachliche Elite etabliert und mangelnde Sprachkenntnisse zur sozialen Ausgrenzung führen".

Frankreichs Schutzbestimmungen

Das Lernen von Sprachen ist das eine. Die Pflege von Sprachen das andere. Sprachen dienen der Verständigung. Sie sind aber auch identitätsstiftend. Und hier öffnet sich eine ganz andere Frage. Muss etwas geschützt werden, das so wichtig ist für das Selbstgefühl des Einzelnen oder der Nation? Muss man, wie Frankreich es tut, Sprachschutzbestimmungen erlassen, um diesen Wert zu erhalten? Die Franzosen sind jedenfalls von der Notwendigkeit solcher Maßnahmen überzeugt und begrüßen in der Mehrheit "eine Politik, die sich gegen die Allmacht des Englischen richtet", wie Jean-Paul Chalancon von der Französischen Botschaft in Berlin erklärte. "In Frankreich ist man der Überzeugung, dass Sprache durch die kulturellen Erzeugnisse lebt und dass folglich jedes Land etwas für seine eigene Sprache tun soll." Nur indem die eigene, besondere Kultur gestärkt werde, könne die europäische Vielfalt erhalten bleiben. Allerdings verschwieg der Attaché auch nicht eine gewisse französische Schizophrenie, dass nämlich die meisten Eltern, wenn es darum geht, die erste Fremdsprache für das Kind zu wählen, sich für Englisch entscheiden. Der Glaube an die Nützlichkeit des Englischen sei geradezu übermächtig, obwohl es "ein großes Bedürfnis nach Arbeitskräften gebe, die Deutsch können - doch das nehmen die Eltern gar nicht wahr".

Ein weiterer Schwerpunkt der Tagung war die Integration von Zuwanderern "Ist es wichtiger, schnelle Einsprachigkeit zu erzielen oder beide Sprachen gleich zu gewichten?", fragte die Moderatorin, Tagesspiegel-Redakteurin Dorothee Nolte. Die Antwort der Fachleute ist eindeutig. Die Herkunftssprache muss auf jeden Fall beherrscht und beibehalten werden. Nicht allein aus Gründen der Identität, auch unter pragmatischen Gesichtspunkten. Berlins Ausländerbeauftragte Barbara John sprach von einem "Schatz an Muttersprachen", der nicht vorschnell geopfert werden dürfe. "Die vielen fremden Sprachen sind ja Werte, Potenzen, Chancen." John verwies auf "Erfolgsmodelle", die der Zweisprachigkeit dienen - zum Beispiel die Mütterkurse, in denen ausländische Mütter Deutsch lernen, während die Kinder in der Schule sind. Barbara John sparte aber nicht mit Kritik: Die Goethe-Institute würden bei dem Bemühen um Mehrsprachigkeit zu wenig beteiligt. Aber vor allem liege "in den Universitäten der Hase im Pfeffer; im Gebiet Deutsch als Zweitsprache stagnieren wir wissenschaftlich".

Unterricht für Zuwanderer

Vom Wert der Mehrsprachigkeit ist auch Rita Süssmuth, Vorsitzende der Unabhängigen Kommission für Zuwanderung, überzeugt. Sie warnte eindrücklich vor der Vernachlässsigung der Muttersprachen. Diese nützten nicht nur dem Land, sondern vor allem "der eigenen Entwicklung". Der Spracherwerb des Deutschen durch die Zuwanderer müsse "kulturell eingebunden" werden. Als Beispiel für ein Land, in dem Sprachenvielfalt lebendig ist, ohne dass die nationale Identität brüchig wird, nannte Süssmuth die Schweiz. "Die Schweiz bricht auch nicht auseinander obwohl sie drei Sprachenteile aufweist." Aber so weit ist Deutschland noch lange nicht. Ihr Vorschlag für die nahe Zukunft sieht 600 Stunden Sprachunterricht für Zuwanderer vor, und zwar unabhängig von der Herkunft als "Angebot für alle". Man müsse "verhindern, dass Ausländer der ersten, zweiten und dritten Klasse entstehen". Sie hoffe sehr, dass sich der Bund an der Finanzierung verstärkt beteiligen werde, denn der Blick in andere Länder zeige klar: "Die wichtigste Investition ist die in Bildung."

Tom Heithoff

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