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Mellon-Preisträger Peter Schäfer: „Die Neugier ist intensiver“

Mellon-Preisträger Schäfer über Judaistik in den USA und in Deutschland

Herr Schäfer, als Preisträger des Mellon Award erhalten Sie 1,5 Millionen Dollar. Was machen Sie mit dem Geld?
Das ist wie beim Leibniz-Preis für meine Arbeit bestimmt. Aber ein Unterschied zum Leibnizpreis ist, dass die Mellon Foundation für drei Jahre mein Gehalt bezahlt, um mich freizustellen. Die Uni kann mit dem Gehalt machen, was sie will. Nun ist Princeton keine arme Uni: Ich habe sie überredet, damit eine neue Professur für Hebräische Bibel einzurichten und sie nach den drei Jahren auf Dauer weiterzufinanzieren.

Was werden Sie machen?

Ich werde für zwei Jahre ein Lehrdeputat übernehmen, einige neue Kurse entwerfen, das dritte Jahr ist völlig frei für Forschung. Ich werde ein Projekt zum „Sefer Chassidim“, dem „Buch der Frommen“, mit dem FU-Institut für Judaistik, mit Jerusalem, Trier und Princeton fortsetzen. Das Buch ist zwischen 1150 und 1250 im Rheinland geschrieben worden, die wichtigste Quelle zum Zusammenleben von Juden und Christen im Mittelalter, mit vielen Alltagsgeschichten.

Zum Beispiel?
Wenn Juden in Speyer ihr Häuschen vor dem Dom verlassen, müssen sie sich bücken, weil ihre Eingangstür so niedrig ist. Man könnte meinen, sie verbeugten sich vor dem Gott der Christen. Das Buch fragt: Was sollen wir da tun? Wir drehen uns halb zur Seite und gehen schräg rückwärts aus dem Haus. Wir erfahren auch, dass die Juden nichtjüdische Bücher hatten. Dass sie sich mit christlichen Mönchen unterhalten haben.

Der höchst dotierte Wissenschaftspreis der USA wurde Ihnen zugesprochen, weil Sie in Europa die Entwicklung des Faches Jüdische Studien gefördert haben. Offiziell sind sie bis 2008 von der FU beurlaubt. Kommen Sie dann nach Berlin zurück?
Ich komme zunächst im Oktober dieses Jahres für ein Jahr ans Berliner Wissenschaftskolleg. Erst danach beginnen meine drei Mellon-Award-Jahre. 2008 werde ich 65 und damit an der FU emeritiert. In den USA kann ich so lange lehren, wie ich es wünsche. Meine Stelle an der FU wird dann neu ausgeschrieben. – Das zweite Projekt mit dem Mellon-Geld ist die Erforschung eines polemischen jüdischen Traktats gegen das Christentum: der „Geschichte Jesu“.

Von wann ist der Text?
Das wüsste ich gerne! Es ist einer dieser Texte, die sich im Laufe der Zeit anreichern, später wurde er auch ins Jiddische übersetzt. Ihre Wurzeln hat diese antichristliche Polemik im Talmud des 3./4. Jahrhunderts. Das dritte Projekt ist: Ich möchte antike Kosmologien weiter erforschen. Also jüdische Weltentstehungslehren nicht isoliert, sondern im Kontext der griechisch-römischen Umwelt sehen.

Seit 1998 sind Sie zwischen Berlin und Princeton gependelt, seit 2003 sind Sie ganz in Princeton. Was sehen Sie als Stärke des amerikanischen Uni-Systems?
Der große Vorteil sind die kurzen Wege für interdisziplinäre Zusammenarbeit. Hier kann ich mich zum Lunch im Faculty Club treffen mit Kollegen, kann mal eben über bestimmte Dinge ganz leicht reden. In Berlin treffe ich meine Kollegen auf schrecklichen, weitgehend langweiligen Fachbereichssitzungen, wo wir uns um Studienordnungen streiten. Hier treffe ich meine Kollegen immerzu. Und die Neugier der Kollegen ist intensiver, als ich es je in Deutschland erlebt habe.

Wie ist denn im Vergleich das Interesse der Studenten für Religion? In Princeton gibt es ein Department of Religion.
Das genau hätte ich mir für Berlin gewünscht! Wir haben da ganz verschiedene Gebiete: American Religion, Islam, Far East, Judentum, Christentum. Auch mit meinem Schwerpunkt Spätantike bin ich eingebunden in einer Unterabteilung „Religion in der Spätantike“. Da treffe ich mich regelmäßig mit Kollegen, die Christentum, griechisch-römische Religion oder Judentum behandeln. Diesen Zwang zum interdisziplinären Ansatz habe ich auch für mich selbst, in der Lehre und bei Vorträgen, als sehr gut empfunden.

Liegt diese Unbefangenheit an der amerikanischen Religiosität, an der multikulturellen Gesellschaft?
In Deutschland hat meine Generation Jüdische Studien aufgebaut, musste es als eigenes Fach durchsetzen. Das war mit unvermeidlichen Abgrenzungstendenzen verbunden. Dieses Problem hat in den USA nie bestanden.

In Deutschland hat das auch historische Gründe.
Das Judentum wird hier in den USA nicht isoliert, sondern immer im Austausch mit anderen Religionen gesehen.

Eine solche Öffnung hieße in Deutschland auch: Jüdische Studien aus einer philosemitischen Szene herauszuholen. Obwohl die Entwicklung des Faches dadurch sicher zunächst politisch gefördert worden ist.
Natürlich. Das Fach musste sich gegen Antisemitismus behaupten. Gegen die Theologie und gegen die Orientalistik.

Auch bei Jüdischen Gemeinden in Deutschland gibt es ja Abgrenzungsprobleme: die Sorge, Identität zu verlieren. Wie gut ist in den USA der Kontakt zwischen Jüdischen Gemeinden und Jüdischen Studien?
Viel natürlicher. Auch ein Grund, warum ich mich hier sehr wohl fühle. Es gibt das Programm Judaic Studies, das ich leite, ganz akademisch. Dann gibt es für die Studenten ein Center for Jewish Life, wo sie koscheres Essen bekommen, wo eine Synagoge eingebunden ist: um ihr jüdisches Leben zu stärken. Ich habe dort nachher Lunch mit meinen Studenten, um ihre Arbeiten durchzusprechen. Diese Zusammenarbeit ist hier ganz normal. Das ist für einen Deutschen befreiend.

Ihrer Forschung geht es immer wieder um Schnittmengen von Christentum und Judentum.
Ich sehe Bewegungen, die sich gegenseitig beeinflusst haben. In meinem Buch „Mirror of his Beauty“ ging es um die Weiblichkeit Gottes – von der Bibel bis zur frühen Kabbala, der Hochpotenz jüdischer Mystik. Um 1200 formuliert ein Buch, das in der Provence erscheint, erstmals die kabbalistische Vorstellung von einer weiblichen Potenz in Gott. Diese Vorstellung hat Wurzeln in der Antike. Aber ich versuche zu zeigen, warum das im 12. Jahrhundert gerade dort herauskommt: Weil in diesem Jahrhundert die Marienverehrung in Frankreich geradezu explodiert.

Könnten beide Religionen heute wieder näher zusammenrücken?
In vielen meiner Arbeiten geht es mir darum zu zeigen, wie Judentum und Christentum, bei allen Verfolgungen, aller Polemik, in einem Diskurs standen. Das Judentum hat manches durchaus auch vom Christentum aufgenommen! Diese Erkenntnisse könnten für das christlich-jüdische Gespräch hilfreich sein. Aber wir in Deutschland sind wohl – etwas zugespitzt gesagt – die Allerletzten, die dem Judentum so etwas erzählen müssen.

Das Gespräch führte Thomas Lackmann.

Peter Schäfer (63) hat als Judaist den höchstdotierten Wissenschaftspreis der USA erhalten. Er lehrt in Princeton, zuvor an der FU Berlin. In Tel Aviv erhält er jetzt die Ehrendoktorwürde.

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