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Gesundheit: Mit der Spritze in den Unterricht

Kinder mit Diabetes müssen auch in der Schule ihren Blutzucker im Griff haben – nicht immer klappt das so gut wie bei der siebenjährigen Sophie

Sophie spielt Doktor: Katheterwechsel am Bauch des Schmusehasen. Kein reines Kinderspiel, denn alle zwei Tage wird es bei Sophie, 7, selbst ernst: Die Kanüle, die zum Infusionsset gehört, muss dann an ihrem Bauch gewechselt werden. Dieses Set schafft die Verbindung zu einer Pumpe, aus der Sophie den Stoff bezieht, den sie fürs Leben braucht: Insulin.

Bis zu 15 000 Kinder unter 14 Jahren leben in Deutschland mit Diabetes vom Typ 1(Jugendlichendiabetes). Auch in Berlin leidet jedes 600. Kind an der Stoffwechselkrankheit. Dabei zerstört das Immunsystem das Gewebe in der Bauchspeicheldrüse, das für die Bildung von Insulin zuständig ist. Insulin aber wird benötigt, um Traubenzucker aus dem Blut in die Zellen zu schleusen.

Anders beim Typ-2-Diabetes (Altersdiabetes): Dabei werden die Zellen, die das Insulin erkennen sollen, unempfindlich gegenüber dem Hormon.

Seitdem man Insulin ersatzweise spritzen kann, ist Sophies Krankheit nicht mehr lebensbedrohlich. „Was unsere Tochter braucht, sind Insulin und Selbstbewusstsein“, sagt ihre Mutter. Bei Sophie hat sich die Zuckerkrankheit schon bemerkbar gemacht, als sie zwei Jahre alt war. Seit vier Jahren muss sie nicht mehr jeden Tag mehrere Spritzen über sich ergehen lassen, denn die Pumpe gibt ständig Insulin ab. Passend zum aktuellen Blutzuckerspiegel und zur geplanten Mahlzeit kann auf Knopfdruck eine zusätzliche Menge abgerufen werden.

Diese Art der Therapie ist heute für Kinder und Jugendliche Standard – ob mit der Spritze, einem stiftartigen „Pen“ oder per Pumpe. Trotzdem müssen die Kinder ihren Blutzuckerspiegel mehrmals am Tag kontrollieren und das Verhältnis zwischen den beim Essen aufgenommenen Kohlehydraten und dem Insulin ausbalancieren. Dabei brauchen vor allem kleinere Kinder Hilfe.

Wie diese Unterstützung aussehen kann, war ein Thema beim Treffen der Gesellschaft für Kinder und Jugendliche mit Diabetes (ISPAD) in Berlin. Wenn Kinder schon als Babys Insulin bekommen müssen, werden die Eltern im Umgang mit den Spritzen und Pumpen geschult. Aber wer hilft kleinen Diabetikern im Kindergarten oder in der Grundschule? „Ich wollte die Lehrer schon vor der Einschulung meiner Tochter schulen“, sagt Sophies Mutter. Sophie muss nämlich – wie viele andere Kinder – auch während des Unterrichts ihren Blutzuckerspiegel kontrollieren, eventuell Insulin nachpumpen oder etwas essen.

Besonders heikel wird es, wenn die Kinder beim Spritzen Hilfe brauchen. „Lehrer können sich in Deutschland sogar strafbar machen, wenn sie Kindern mit Diabetes helfen“, sagt Thomas Danne von der Medizinischen Hochschule Hannover. Der Generalsekretär der ISPAD und seine Kollegen wollen das dringend ändern, denn „einerseits erkranken immer mehr Kinder in jungen Jahren, andererseits verbringen sie heute mehr Zeit in Schulen und Kindergärten“.

Eine Lösung könnte aus Schweden kommen. Dort werden inzwischen die nötigen Handgriffe, die Eltern an ihren Kindern mit Diabetes vollziehen, als „Home Care“ eingestuft: Sie sind damit keine medizinischen Maßnahmen, und Eltern dürfen sie an andere Erwachsene delegieren. Nicht nur an Großeltern und Babysitter, sondern auch an Erzieher und Lehrer.

Eine Studie, die Barbara Anderson vom Baylor College in Texas in Berlin vorstellte, hat gezeigt, dass die Betreuung von Schülern mit Diabetes nur in Luxemburg ausreichend ist. Selbst in den USA, wo es immerhin Schulkrankenschwestern gibt, sei die Situation unzureichend. „Dabei müssen Kinder mit Diabetes ganz normal am Schulalltag und auch zusammen mit ihren Freunden am Sportunterricht teilnehmen können, um Selbstachtung und Selbstvertrauen zu gewinnen“, sagt die Psychologin.

Sophie konnte schon vom ersten Schultag an den Bluttest selbst machen und ihre Insulinpumpe bedienen. Nur beim Ablesen der Werte und der Bestimmung der Dosis muss jemand helfen.

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