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Gesundheit: Mit Effet

Bei direkten Freistößen aus zentraler Position sind die Erwartungen an die Schützen enorm gestiegen Wie die Spieler einen Ball um die Mauer herum zwirbeln Der Ball kann durch Effet bis zu drei Meter abdriften

Fußball ist kein Billard. Aber der Effet gehört mittlerweile zum Repertoire jedes guten Schützen. Berühmt wurde der Brasilianer Roberto Carlos 1997 bei einem Turnier in Frankreich durch einen Treffer aus 35 Metern Entfernung: Der mit dem Außenrist angeschnittene Ball jagte um die französische Mauer herum. „Jeder dachte, der Ball geht vorbei“, sagt die Psychologin Cathy Craig von der Queen’s University in Belfast. „Aber im letzten Moment drehte er sich noch ins Tor.“ Raymond Ceulemans, König der Billardspieler, hätte es nicht besser machen können.

Craig hat Tests mit Spielern und Torhütern von Bayer Leverkusen, Schalke 04, vom AC Mailand und Olympique Marseille gemacht, um herauszufinden, ob sie vorhersagen können, wo ein Schuss mit starkem Effet ankommen wird. Wie sie im Fachmagazin „Naturwissenschaften“ berichtet, scheiterten selbst die Profis meist mit ihren Prognosen.

Gut gezwirbelte Bälle sorgen für die größten Überraschungen im Spiel. Man sieht sie oft in Standardsituationen: bei Eckbällen oder Freistößen. Bei den zurückliegenden Weltmeisterschaften machten solche Standardsituationen zwischen einem Viertel (1998) und bis zu einem Drittel (1990) aller Treffer aus. Die angreifende Mannschaft rückt dann weit auf und bringt viele Spieler in aussichtsreiche Schusspositionen. Vor allem bei direkten Freistößen aus zentraler Position sind die Erwartungen gestiegen.

David Beckham oder Zinedine Zidane haben lange an ihrer Schusstechnik gefeilt, um den Ball in eine Kurve zu zwingen. Den Freistoßspezialisten gelingt es immer wieder mal, unhaltbare Bälle im gegnerischen Netz zu versenken.

Ein aus 25 Metern Entfernung getretener Ball, der mit einer Geschwindigkeit von 90 Kilometern pro Stunde fliegt, erreicht das Tor nach nur einer Sekunde. Der Keeper kann die Flugbahn daher nicht lange verfolgen. Er muss schnell reagieren, um überhaupt an einen platzierten Ball heranzukommen. Ändert dieser während des Flugs seine Richtung, verkalkuliert sich der Torwart bei der Abwehraktion.

Leicht rotierende Bälle sind im Spiel gang und gäbe. Jeder Ball, der nicht genau in der Mitte getroffen wird, dreht sich im Flug um die eigene Achse. Trifft ihn der Schuh rechts von der Mitte, dreht sich der Ball linksherum, gegen den Uhrzeigersinn, und wird durch die während des Flugs an ihm vorbeiströmende Luft ebenfalls nach links abgelenkt (siehe Kasten). Oben oder unten getroffen, bekommt die Kugel einen Vorwärts- oder Rückwärtsdrall.

Unter den schlechten Torschüssen fallen vor allem jene auf, bei denen der Spieler den Ball weit unten trifft. Ein solcher Rückwärtsdrall gibt der Kugel Auftrieb, weil sich der Druck an der Oberseite verringert. Solche Bälle fliegen oft meterhoch übers Tor.

Der Torwart nutzt diesen Effekt gerne für weite Abstöße. Hier hat der Rückwärtsdrall eine ähnliche Bedeutung wie beim Golfspiel, wo der Spieler mit weiten Schlägen möglichst nah ans entfernte Grün heranzukommen versucht. Dabei dreht sich kleine Golfball mehrere Dutzend Mal pro Sekunde um die waagerechte Achse. Derart schnelle Umdrehungen des Balls kann kein Fußballer erzwingen. Muss er aber auch nicht. Für einen Sidespin im Fußball reicht eine geringere Drehzahl aus. „Damit der Ball bei einem 30 Meter weiten Flug einen Meter weit abgelenkt wird, muss er gut drei Umdrehungen machen, während er sich in der Luft befindet“, hat der britische Physiker John Wesson berechnet.

Das ist allerdings noch keine Kunst. Wer den Dreh raushat, schießt beim Freistoß mit einer Geschwindigkeit von 100 Stundenkilometern und bis zu zehn Umdrehungen pro Sekunde, schätzt Wessons Kollege Ken Bray. Mit reinem Sidespin ließen sich so schon aus einer Schussentfernung von 23 Metern „seitliche Abweichungen von bis zu 3,2 Metern erreichen“. Das ist fast die halbe Breite des Tores. Der Keeper mag sich bei einem solchen Freistoß lang und länger machen, der Ball entfernt sich weit und weiter vom angepeilten Ort.

Noch gefürchteter als der Sidespin ist der Topspin, der fast nur bei Volley-Schüssen zu sehen ist. Nur wenige Fußballer können den Ball auch vom Boden weg in eine schnelle Vorwärtsrotation versetzen. Sie ziehen den Fuß dazu über den Ball. Stars wie Beckham neigen ihren Körper bei solchen Schüssen extrem zur Seite, immer in ähnlicher Manier (siehe Fotos). Ihr Freistoß kommt dann meist als Kombination aus Topspin und Sidespin angeflogen. Der Ball driftet zwar nicht ganz so weit zur Seite wie beim reinen Sidespin, hat aber eine besonders flache Flugbahn und rast noch schneller aufs Tor zu. Dem Keeper bleibt noch weniger Zeit zu reagieren.

Kaum ein Spieler schafft es, einen Ball zweimal auf dieselbe Weise scharf anzuschneiden. Der Ausgang eines Effet-Schusses hat auch für den Schützen etwas Ungewisses. Trotz dieses Risikos sieht man angeschnittene Freistöße, Eckbälle und Flanken heute öfter denn je.

Es gab sie aber schon lange, bevor der Hamburger Manfred Kaltz mit seinen Bananenflanken von rechts auf sich aufmerksam machte. Der brasilianische Mittelfeldregisseur Waldir Pereira, genannt Didi, gilt als einer der ersten Fußballer, der Schüsse mit Effet gezielt einsetzte und im Training perfektionierte.

Didis Karriere hätte schon beendet sein können, ehe sie überhaupt begonnen hatte. Im Alter von 14 Jahren verletzte er sich beim Spiel auf der Straße am rechten Knie. Es entzündete sich, und er musste sechs Monate im Rollstuhl sitzen. Doch nur zwei Jahre später begann er eine Profilaufbahn und gewann 1958 und 1962 mit seinem Team den Weltmeistertitel.

Gelegentlich wird darüber spekuliert, ob seine Verletzung die unglaublich krummen Dinger irgendwie begünstigte, die ihn berühmt machten. Didi schoss den Ball mit dem rechten Außenrist, „mit drei Zehen“, wie Brasilianer diese Schusstechnik umschreiben. Bei Freistößen zirkelte er oft links an der Mauer vorbei, der Ball machte einen Bogen und flog wie vom Seitenwind getrieben nach rechts aufs Tor zu. Der Schuss mit dem Außenrist gehört zur hohen Kunst des Fußballs. Auch Franz Beckenbauer schlenzte gern mit dem Außenrist. Häufiger sieht man Freistöße, die mit der sichereren Innenseite getreten werden.

Die Vorliebe der Profis ist an ihren Schuhen zu erkennen. Die Firma Adidas in Herzogenaurach hat Fußballschuhe berühmter Spieler in einer soeben eröffneten Halle ausgestellt. Beckenbauers rechter Schuh von 1974 hat drei Löcher auf der Außenseite, daneben sehen Fritz Walters Treter von 1954 aus wie neu.

Das Unternehmen hat sich einiges einfallen lassen, um die Haftung des Balls am Schuh und damit den Effet zu verbessern. Adidas produzierte in den 70er Jahren einen Schuh mit Noppen ähnlich wie bei Tischtennisschlägern. Noch putziger sieht ein Modell mit schuppenartigen Rippen aus. Selbst mit Haifischhaut sei experimentiert worden, erzählt der Sportwissenschaftler Michael Engelhaupt.

Getestet werden die Schuhe heute vom sichersten Schützen, den die Firma unter Vertrag hat. Sein Bein ist aus Eisen, der Fuß aus Kunststoff. So hämmert die Maschine im Testcenter in Scheinfeld die Bälle ins Tor: 1000 Schuss, immer an dieselbe Stelle. Eine Hochgeschwindigkeitskamera verfolgt das Geschehen. Beim WM-Ball 2006 habe die Abweichung maximal einen Essteller betragen, sagt Engelhaupt.

Den Schuhentwicklern kommt es auf die Wechselwirkung zwischen Ball und Schuh an. Ohne Reibung kein Effet. Auf der Innenseite des Schuhs von David Beckham sind Kontaktflächen aus Kunststoff zu sehen. Diese Idee brachte der britische Fußballer Craig Johnston vom FC Liverpool ins Spiel. „Sie bewirken eine höhere Griffigkeit beim Innenspann-Schuss“, sagt Engelhaupt. Damit könnten die Kicker die Bälle noch schärfer anschneiden.

Manchmal kommt ihnen auch der Wettergott zu Hilfe. Ein tückischer Aufsetzer auf nassem Rasen bringt den besten Torwart in Verlegenheit. Dann verringert sich die Reibung des Balles, er verliert beim Bodenkontakt weniger Energie und kommt schneller auf den Torwart zu als gewöhnlich. Und schwups – drin isser!

Näheres zum Thema:

John Wessen, „Fußball – Wissenschaft mit Kick“, Spektrum Akademischer Verlag, 244 Seiten, 15 Euro

Ken Bray, „Wie man richtig Tore schießt“, Pendo Verlag, 256 Seiten, 17,90 Euro

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